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Ein neuer Stern für Jauer

Mercedes-Benz lässt in Polen elektrische Transporter bauen und schafft 2.500 Arbeitsplätze. Nicht weit erntfernt von der Grenze zu Sachsen.

Von Irmela Hennig
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Das Werk von Mercedes auf einer Darstellung der Sonderwirtschaftszone Wałbrzych. Das neue Werk soll auf einer Fläche vorn entstehen. Das gelb umrandete Gebiet rechts ist als Investitionsgebiet noch frei.
Das Werk von Mercedes auf einer Darstellung der Sonderwirtschaftszone Wałbrzych. Das neue Werk soll auf einer Fläche vorn entstehen. Das gelb umrandete Gebiet rechts ist als Investitionsgebiet noch frei. © Invest-Park

"Was für eine elektrisierende Nachricht!" Große Euphorie bei Emilian Bera, Bürgermeister der polnischen Stadt Jawor (Jauer). Die Kommune mit nicht einmal 23.000 Einwohnern kann erneut eine Großinvestition des deutschen Automobilherstellers Mercedes-Benz ankündigen. „Jawor wird das erste Mercedes-Werk der Welt sein, das ausschließlich elektrische Transporter produziert“, informiert Emilian Bera.

Das hatte auch der Leiter von Mercedes-Benz Vans, Mathias Geisen, vor einer Woche so angekündigt. Man errichte eine Fabrik für elektrische Transporter in Jawor, als reines Elektro-Werk. In allen anderen bestehenden Mercedes-Werken entstehen noch flexibel Vans mit Verbrennungs- und mit Elektroantrieb auf einer Linie. Laut Aussagen auf einer Pressekonferenz in Warschau zusammen mit dem polnischen Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki will der Konzern in den kommenden Jahren mehr als eine Milliarde Euro in das Werk investieren. Nach Berichten polnischer Medien sollen es konkret 1,3 Milliarden Euro sein. Diese Zahl bestätigte ein Unternehmenssprecher auf SZ-Nachfrage aber nicht. Die Entscheidung für Jawor hänge aber unter anderem noch von der Gewährung von Beihilfen ab, so hieß es.

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Zum geplanten Produktionsvolumen machte Mercedes-Benz keine Angaben. Nach Angaben des Ministeriums für wirtschaftliche Entwicklung und Technologie sollen durch die Investition mehr als 2.500 Arbeitsplätze geschaffen werden. Derzeit sind nach Unternehmensinformation rund 860 Leute bei Mercedes in Jawor beschäftigt. Der Standort, etwa 50 Kilometer südwestlich der niederschlesischen Hauptstadt Wroc³aw (Breslau) gelegen, war 2017 mit einem Motorenwerk gegründet worden. Produziert wird seit 2019, wie Maciej Tyszka kürzlich berichtete. Er leitet die Abteilung für Investoren-Dienstleistungen bei Invest-Park. Das ist eine der polnischen Sonderwirtschaftszonen; sie befindet sich in der Region Wałbrzych (Waldenburg). Jawor gehört dazu. Die Zonen haben seit 1994 mit für einen immensen Wirtschaftsaufschwung in Polen gesorgt. 14 wurden im Nachbarland ausgewiesen. Nach offiziellen Angaben sind über die Zonen bislang rund 112 Milliarden Euro an Investitionen gelaufen und 312.000 Jobs geschaffen worden.

Fabrik soll CO2-neutral sein

In den Zonen bot man Investoren unter anderem die Befreiung von Körperschafts-, beziehungsweise Einkommenssteuer an. Letztere ersetzt in Polen teilweise die Gewerbesteuer, die es gar nicht gibt. Es gab und gibt erschlossene und vorbereitete Baugrundstücke. Die Immobiliensteuer wurde mitunter befristet ausgesetzt. Auch aufgrund von EU-Vorgaben laufen die Zonen Ende 2026 aus. Seit 2018 können Neu-Ansiedler die Vorteile nicht mehr in Anspruch nehmen; nur bereits bestehende Abmachungen laufen noch. Wie sich die Neuregelung auf die geplante Mercedes-Fabrik auswirken wird, war nicht zu erfahren. Bürgermeister Emilian Bera sprach allerdings davon, dass es durchaus Konkurrenten gegeben habe. Auch andere Standorte wollten das Van-Werk. Konkret hieß es: „Hinter uns liegen sehr aktive und emotionale Verhandlungen und der Wettbewerb um den Investor“, so Bera.

Laut Mercedes-Sprecher Thomas Christian-Rosenthal will man „in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts mit der Produktion am Standort Jawor starten“. In polnischen Medien wird von einem Zeitraum zwischen 2025 und 2027 berichtet. Das Werk solle, wie weltweit inzwischen alle von Mercedes-Benz CO2-neutral produzieren. Sorge bezüglich fehlender Fachkräfte habe man nicht. Man schätze die Situation unter anderem auch in puncto Fach- und Arbeitskräfte positiv ein. Konkurrenz um Köpfe gibt es durchaus – mit Autoherstellern wie Toyota im nahen Wałbrzych, in der Nähe zur deutschen und tschechischen Grenze samt Jobangebot, mit der neuen Fabrik des Elektro-Autobauers Tesla in Grünheide an der brandenburgisch-polnischen Grenze. Gerade Tesla sei für junge Polen allein als Marke attraktiv, meinen Branchenkenner.

Rekord-Investitionsjahr 2021

Bürgermeister Bera ist überzeugt, dass mit der Ansiedlung gerade etwas für die junge Generation gewonnen wurde. In der Vergangenheit hatte die Stadt, die 1177 erstmals erwähnt wurde, vor allem mit Historie gepunktet. Besonders mit der evangelischen Fachwerk-Friedenskirche zum Heiligen Geist. Sie wurde 1655 fertiggestellt und ist inzwischen Unesco-Weltkulturerbe. Bis zur Corona-Pandemie zog sie Gäste aus aller Welt an, auch aus den USA und Japan. Das Schloss gilt zudem als eine der wenigen erhaltenen Stadtburgen Schlesiens. Jedes Jahr im August lockt Jawor zudem Tausende Menschen an mit dem Brot- und Pfefferkuchenfest. Das Gebäck hat hier eine lange Tradition. Dem steht nun moderne Elektromobilität gegenüber.

Laut Informationen der polnischen Zeitung Dzennik ist die Mercedes-Investition derzeit die größte durch ausländische Konzerne im Fahrzeugsegment. Volkswagen stecke umgerechnet 800 Millionen Euro in ein Crafter-Werk in Września. Das neue Stellantis-Werk in Gliwice (Gleiwitz) koste 280 bis 300 Millionen Euro. Die Polnische Investitions- und Handelsagentur habe errechnet, dass ausländische Unternehmen im Jahr 2021 mehr als 3,5 Milliarden Euro in Polen investiert haben. Das sind 800 Millionen Euro mehr als vor einem Jahr und 700 Millionen Euro mehr als im bisherigen Rekordjahr 2019. Das Geld sei vor allem aus den USA, Südkorea und Deutschland gekommen. (mit dpa)