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Turow-Aus: Übertreibt der Grubenbesitzer?

PGE fährt in Brüssel und Tschechien eine Werbekampagne gegen die EU-Klage. Die wirft bei einem Experten schwerwiegende Fragen auf.

Von Thomas Christmann & Klaus-Peter Längert
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Müssen Kraftwerk und Grube ihren Betrieb einstellen, sind Tausende Menschen von Arbeitslosigkeit bedroht.
Müssen Kraftwerk und Grube ihren Betrieb einstellen, sind Tausende Menschen von Arbeitslosigkeit bedroht. © Matthias Weber/photoweber.de

Seit Kurzem macht der fast vollständig in staatlichem Besitz befindliche Grubenbetreiber PGE in einer Werbekampagne auf die wirtschaftlichen Folgen aufmerksam, sollten Grube und Kraftwerk Turow ihren Betrieb vorzeitig einstellen müssen. Mit Plakaten in Tschechien und in Brüssel zeigt das Unternehmen, dass die Schließung zum Verlust von Arbeitsplätzen in der Region und der Green Deal (Grünes Land) zum Grim Deal (Düsteres Land) führt.

Hintergrund ist die Klage Tschechiens im Februar vor dem Europäischen Gerichtshof. Polens Nachbar fordert bis zu einem Urteil den Abbau-Stopp in Turow, fürchtet den Verlust von Trinkwasserquellen, Umweltverschmutzung und Lärm in den Grenzorten. Auch Deutschland ist davon betroffen, weswegen Zittau eine Beschwerde bei der EU einreichte. In Polen spaltet das Thema die Gesellschaft. Doch statt die Entscheidung abzuwarten, hat Polens Klima- und Umweltminister Michal Kurtyka die bis 2026 laufende Abbau-Genehmigung Ende April um weitere 18 Jahre verlängert.

Zweifel an den Zahlen

Zweifel an den Folgen für ein vorzeitiges Turow-Aus äußert auf einem polnischen Wirtschaftsportal Pawl Czyzak von der Stiftung Instrat. Diese bezeichnet sich selbst als Denkfabrik, die unter anderem zu den Themen Wirtschaft, Energie und Umwelt forscht und berät. Nach seinen Worten manipuliert PGE die Zahlen. In jeder neuen Äußerung des Betreibers würden es mehr, die ihren Job verlieren, berichtet Pawl Czyzak. Seiner Auffassung nach hätte Turow aber keinen so großen Einfluss auf den Arbeitsmarkt.

Noch voriges Jahr sollten im Komplex 3.600 Menschen beschäftigt sein, einschließlich der damit verbundenen Branchen sogar 15.000. Jetzt stellt PGE fest, dass nach Abschaltung des Komplexes 80.000 Menschen ihre Lebensgrundlage verlieren würden. Der Entwurf des Territorialplans für eine gerechte Transformation besagt hingegen, dass in den mit dem Komplex verbundenen Gesellschaften lediglich 1.800 Arbeitsplätze vom Aus betroffen sind - mit Kraftwerk und Tagebau also etwa 5.300. "Auf welche Art ist die Zahl der Geschädigten plötzlich um ein Vielfaches gestiegen?", fragt er.

Der Experte stellt gleichfalls die Argumente um die Unentbehrlichkeit Turows aus der Perspektive der energetischen Sicherheit in Frage. "Die Produktion von Elektroenergie in Turow ging in den vergangenen fünf Jahren von 7,4 auf 5,2 Terawattstunden zurück", berichtet er. Diese umfasst also laut Pawl Czyzaks lediglich 3,28 der inländischen Stromproduktion und nicht 7, wie PGE behauptet.

Trauriges Mädchen auf Plakaten

Inzwischen hat die neue Werbekampagne die Umweltschutzbewegung Extination Rebellion angestachelt, darauf zu reagieren. Sie setzt sich durch Aktivitäten bürgerlichen Ungehorsams gegen das Aussterben von Tiergattungen und für den Kampf gegen die Klimakrise ein.

Im Fall von Turow zeigt PGE auf Plakaten ein trauriges Mädchen, versehen mit dem Schriftzug in Englisch: "Weshalb wollt ihr meiner Familie die Lebensgrundlage wegnehmen? Grünes Land, kein düsteres Land. Turow 2044.“ Die belgische Abteilung der Umweltschutzbewegung nutzt in einer eigenen Kampagne das Gesicht des Mädchens. Allerdings mit folgendem Schriftzug: "Weshalb werdet ihr nicht tätig, solange dafür noch Zeit ist?" Das könnte nach Extination Rebellion die Frage jedes Kindes zur Zukunft nach der Klimakatastrophe sein.

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