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Debatte um Waffenlieferung sorgt für Riss durch den Osten

Schwere Waffen für die Ukraine? Die Antwort trennt nicht nur Sachsens Familien, sondern auch enge Parteifreunde - wie Kultusminister Piwarz und Regierungschef Kretschmer. Was das bedeutet - eine Analyse.

Von Thilo Alexe
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In Sachen Waffen sind CDU-Kultusminister Christian Piwarz (l.) und Sachsens MP Kretschmer entzwei.
In Sachen Waffen sind CDU-Kultusminister Christian Piwarz (l.) und Sachsens MP Kretschmer entzwei. © Imago Images/Montage: SZ-Bildstelle

Die unterschiedliche Sicht auf den Umgang mit Russland wird auch in Sachsens Landeskabinett immer deutlicher. Nicht nur SPD und Grüne ticken dabei anders als Regierungschef Michael Kretschmer. Auch CDU-Kultusminister Christian Piwarz unterscheidet sich in der Frage der Waffenlieferungen von seinem Chef. Was bedeutet das für das politische Geschäft?

Ostdeutsche Regierungschefs waren bis zum Kriegsbeginn russlandfreundlich

Bis zum Angriff auf Ziele in der Ukraine positionierten sich alle ostdeutschen Länderchefs russlandfreundlich – über Parteigrenzen hinweg. Der Erfurter Linke Bodo Ramelow warb für ein Ende der nach der Krim-Annexion verhängten Sanktionen. Die Schweriner Sozialdemokratin Manuela Schwesig engagierte sich für die Pipeline Nord Stream 2 sogar mit einer umstrittenen Stiftung. Kretschmer traf Russlands Präsident Wladimir Putin in St. Petersburg. Das hat wirtschaftliche, aber eben auch soziologisch-kulturelle Gründe. Menschen, die in der DDR aufwuchsen, haben häufig eine besondere Beziehung zu Russland – etwa durch Erlernen der Sprache, Freundschaften und Besuche. Die Fragen sind nun: Wie wirkt das angesichts des Krieges fort? Und wie reagiert die Politik?

Kretschmer distanziert sich von der Bundes-CDU

In einer CDU-Präsidiumssitzung soll Kretschmer Unterstützung für den offenen Brief von 28 Schauspielern und anderen Prominenten gezeigt haben, die vor der Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine warnen. Der Regierungschef sprach offenbar davon, dass das Schreiben die "Mehrheitsmeinung der Gesellschaft" abbilde – und auch seine eigene. Spannend ist, dass Kretschmer seit Jahresbeginn als Vize der Bundes-CDU amtiert. Er stellt sich gegen den bislang in den Ost-Parteiverbänden beliebten Vorsitzenden Friedrich Merz. Der wiederum hofft, dass seine Position pro Waffenlieferung auch der CDU bei den Landtagswahlen im Westen hilft. In NRW, wo am 15. Mai gewählt wird, muss CDU-Regierungschef Hendrik Wüst um eine weitere Amstzeit bangen.

Die sächsische Union reagiert uneinheitlich

Bei der jüngsten CDU-Regionalkonferenz im Freistaat erhielt Kretschmer am Dienstagabend Applaus für seine Position. Offenbar trifft er in Sachsen einen Nerv. Bundespolitisch ist es komplizierter. Die sieben sächsischen CDU-Bundestagsabgeordneten distanzierten sich – ungewöhnlich – per Pressemitteilung von Kretschmer und verwiesen darauf, dass sie den Parlamentsbeschluss für Waffenlieferungen mitgetragen haben. Kultusminister Piwarz, der in der Sachsen-Union bereits mehrfach für andere, noch zentralere Ämter gehandelt wurde, unterzeichnete eine Petition, die sich "ein anderer offener Brief an Olaf Scholz" nennt. Darin wird die rasche Ausstattung der Ukraine mit Waffen gefordert. Zudem machen sich die Unterzeichner für ein Energieembargo gegenüber Russland stark. In der Landtagsfraktion, die Kretschmer neulich bei der Coronapolitik widersprach, ist das Stimmungsbild nicht so eindeutig. "Ich habe Verständnis für beide Seiten", sagte der parlamentarische Geschäftsführer Sören Voigt unlängst.

Parteien räumen frühere Positionen

Inwiefern diese Unterschiede in der sächsischen CDU interne Machtfragen spiegeln, ist offen. Ohnehin gilt: Corona hat gezeigt, dass bei zentralen Themen eine klare Linie für alle Parteien nicht immer leicht zu finden ist. Dazu kommt: Auch SPD und Grüne haben frühere prorussische und pazifistische Positionen geräumt. Die Landesverbände bekennen sich zum Kurs der Ampel und kritisieren Kretschmer. Doch intern ist das alles nicht so unumstritten, wie es klingt. Im April verkündete die frühere sächsische Bundestagsabgeordnete Marlies Volkmer ihren Austritt aus der SPD. Die Sozialdemokraten seien keine Partei des "Ausgleichs" mehr, betonte sie und kritisierte das Ja zu Waffenlieferungen.

Das Thema spielt eine Rolle bei der Landratswahl

Außenpolitik wird in Berlin gemacht. Daher sind die unterschiedlichen Sichtweisen auch innerhalb des Kabinetts nicht unbedingt ein Hemmschuh für die alltägliche Arbeit. Zumal Kretschmers Position keine isolierte ist. Italiens Premier Mario Draghi legte am Dienstag im EU-Parlament in seiner Rede nicht den Akzent auf Waffenlieferungen, sondern forderte Bemühungen um einen Waffenstillstand. Das Thema, das auch in Sachsen die Bevölkerung beschäftigt, könnte durchaus bei den Landrats- und Bürgermeisterwahlen im Sommer eine Rolle spielen. Die AfD rechnet sich Chancen aus, die CDU-Dominanz bei den Landräten zu brechen. Sie lehnt Waffenlieferungen ab und macht das im gerade beginnenden Wahlkampf auch deutlich. Kretschmer will das Thema aber nicht der AfD überlassen.

Anmerkung: In einer früheren Version war der Nachname von Frau Volkmer unkorrekt wiedergegeben. Wir bitten um Entschuldigung.