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Ein Edeka-Markt als Seismograph für die Ängste der Bundesbürger

Öl ist ausverkauft, Nudeln werden knapp. Experten warnen bereits vor den nächsten Mangelwaren. Worauf Verbraucher sich einstellen müssen und wie sie reagieren sollten.

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Blick in einen Edeka-Markt
Blick in einen Edeka-Markt © Archiv/Norbert Millauer (Symbolfoto)

Von Heike Jahberg

Der Edeka-Markt auf der Truman-Plaza im Berliner Stadtteil Zehlendorf ist ein guter Seismograph für die Ängste der Bundesbürger. Als der erste Corona-Lockdown verhängt wurde, kauften die überwiegend gutbürgerlichen Kunden den Supermarkt praktisch leer. Jetzt, zwei Jahre später, gibt es wieder Lücken im Sortiment. Sonnenblumenöl ist vergriffen, obwohl jeder Kunde nur noch eine Flasche bekäme. Auch Nudeln und Mehl sind nur noch in Restposten vorhanden. Deutschland hamstert wieder.

Grund ist der Krieg in der Ukraine. Das osteuropäische Land liefert in Friedenszeiten 86 Prozent des Sonnenblumenöls, das in der Europäischen Union verbraucht wird. Zusammen mit Russland ist die Ukraine zudem ein wichtiger Getreidelieferant. Doch wegen des Kriegs wird weder geerntet noch gesät.

Zudem hat Russland sämtliche Getreideexporte Richtung Westen eingestellt. Weizen ist teuer, aber vor allem die hohen Energiekosten machen der Lebensmittelwirtschaft zu schaffen.

Appelle, das Hamstern zu unterlassen, verpuffen

Die Hiobsbotschaften häufen sich. Die Bäcker warnen vor steigenden Preisen, die Geflügelwirtschaft befürchtet, ab August die Versorgung mit Eiern aus Deutschland nicht mehr sicherstellen zu können. Futtermittel seien inzwischen so teuer, dass die Hühnerhalter keine neuen Legehennen mehr in den Stall setzen, heißt es beim Verband.

Auch die Kartoffelproduzenten sehen die Versorgungssicherheit in Gefahr. Die großen Fleischverarbeiter verhandeln längst mit dem Lebensmittelhandel über kräftige Preisaufschläge für Fleisch und Wurst. Zewa-Hersteller Essity hat wegen des Mangels an Zellstoff und der teuren Energie schon Ende Januar erneute Preiserhöhungen für Toilettenpapier angekündigt. Aldi verteuert 400 Produkte.

Die Konsumenten sind verunsichert. Sie kaufen Sonnenblumenöl, weil es das vielleicht bald nicht mehr gibt. Und Mehl und Nudeln, weil diese vielleicht bald noch teurer werden. Die Appelle des Lebensmittelhandels, das Hamstern zu unterlassen, verpuffen.

"Bitte verhalten Sie sich solidarisch und kaufen Sie nur das, was Sie unmittelbar benötigen", bittet Christian Böttcher, Sprecher des Bundesverbands des Deutschen Lebensmittelhandels. "Wir appellieren an die Solidarität der Verbraucher und Verbraucherinnen", sagt auch Constanze Rubach von der Verbraucherzentrale Niedersachsen. Vergeblich.

Der Handel verspricht: Es ist genug für alle da

Dabei betonen Handelsketten in seltener Einigkeit, dass es keinen Anlass zur privaten Vorratshaltung gibt. Edeka versichert, man könne eine ausreichende Versorgung sicherstellen. Auch Lidl betont, es könne schlimmstenfalls bei einzelnen Produkten zu Lieferengpässen kommen. Der Drogeriediscounter Rossmann spricht von "kurzfristigen Engpässen". Es gebe aber keine "nennenswerten Lieferprobleme bei Hygieneartikeln und Speiseölen", heißt es auf Tagesspiegel-Anfrage.

Konkurrent dm berichtet von einer schwankenden Nachfrage bei Windeln, Babynahrung, Hygieneartikeln und Toilettenpapier. In einzelnen Märkten könne es zu temporären Lieferengpässen kommen. dm–Geschäftsführer Sebastian Bayer rät Kunden daher, sich über das Internet oder die dm-App einen Überblick zu verschaffen oder gleich online einzukaufen. "Viele Produkte sind in unserem Onlineshop derzeit verfügbar", sagte Bayer dem Tagesspiegel.

"Hamsterkäufe sind völlig unsinnig", kritisiert Bauernpräsident Joachim Rukwied. Bei Getreide ist Deutschland Selbstversorger. "Deutschlands Versorgung mit Getreide ist zumindest in diesem Jahr gesichert", verspricht Rukwied.

Sonnenblumenöl ist in vielen Supermärkten derzeit ausverkauft.
Sonnenblumenöl ist in vielen Supermärkten derzeit ausverkauft. © dpa/Stefan Sauer

Auch beim Speiseöl ist Panik unangebracht. Selbst wenn Sonnenblumenöl knapp werden könnte, gibt es in den Lagern genug Rapsöl. Der Raps in der Ukraine ist nämlich bereits geerntet, "es gibt keinen Versorgungsengpass", sagt Maik Heunsch, Sprecher des Verbands der ölsaatenverarbeitenden Industrie in Deutschland.

Hinzu kommt: Unter Ernährungsgesichtspunkten ist Rapsöl ohnedies die bessere Wahl als Sonnenblumenöl. Es enthält deutlich mehr der gesunden Omega-3- Fettsäuren. Und auch Olivenöl aus Spanien, Italien oder Griechenland gibt es in Hülle und Fülle.

Wer jetzt große Mengen bunkert, läuft Gefahr, später einen Teil der Lebensmittel im Müll entsorgen zu müssen. "Die Gefahr, dass die gehamsterte Ware verdirbt, ist groß", warnt Bauernpräsident Rukwied. "Diese Form der Lebensmittelverschwendung sollten wir vermeiden."

So lange halten sich Öl und Mehl

Schon jetzt werfen Verbraucherinnen und Verbraucher nach Angaben des Bundesagrarministeriums im Schnitt 75 Kilogramm Lebensmittel im Jahr weg. "Viele Öle sind, wenn sie kühl und dunkel gelagert werden, bis zu einem Jahr haltbar", weiß Jana Fischer, Ernährungsexpertin der Verbraucherzentrale Hamburg.

Wer sehr große Mengen kauft, tut sich aber möglicherweise selbst mit der Jahresfrist schwer. Ein Trost: Öl kann oft auch noch mehrere Monate nach Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums verwendet werden. "Wenn das Produkt geöffnet wurde, verkürzt sich die Haltbarkeit", mahnt die Verbraucherschützerin jedoch.

Auch Mehl kann man oft noch mehrere Wochen oder Monate nach dem Mindesthaltbarkeitsdatum benutzen. Allerdings sollte das Mehl stets in verschlossenen Vorratsdosen aufbewahrt werden und nicht in der Papiertüte. Sonst könnten sich Lebensmittelmotten in den Vorräten einnisten. "Wenn Mehl von Schädlingen befallen ist, sollte es nicht mehr gegessen werden", warnt Fischer. "Wenn es muffig oder ranzig ist, ist es verdorben. Vollkornprodukte werden schneller ranzig."

Auch wenn das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe dazu rät, für Krisenfälle Vorräte anzulegen, sei ein solcher Notvorrat nicht zu verwechseln mit impulsiven Hamsterkäufen, meint die Verbraucherschützerin. "Während ein sinnvoll geplanter Vorrat gemeinschaftlich über Engpässe hinweghilft, sind gehortete Lebensmittel über den eigenen Bedarf hinaus als unsolidarisch einzustufen."