SZ + Politik
Merken

Wie ein kleines Stück Russland für Spannungen sorgt

Litauen schränkt den Warentransit in die russische Exklave Kaliningrad ein – der Kreml reagiert wütend. Das Gebiet an der Ostsee ist für ihn von höchster strategischer Bedeutung.

 4 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Güterwaggons stehen auf den Gleisen des Güterbahnhofs in Kaliningrad. Litauen hat Beschwerden Moskaus über die Beschränkung des Bahntransits hierhin zurückgewiesen.
Güterwaggons stehen auf den Gleisen des Güterbahnhofs in Kaliningrad. Litauen hat Beschwerden Moskaus über die Beschränkung des Bahntransits hierhin zurückgewiesen. © AP/dpa

Von Sandra Lumetsberger

Kleiner als Schleswig-Holstein und näher bei Berlin als an Moskau: Kaliningrad, das früher als Hauptstadt Ostpreußens noch Königsberg hieß, ehe es 1945 an die Sowjetunion abgetreten wurde, liegt zwischen Litauen und Polen an der Ostsee. Ein kleines Stück Russland also, bewohnt von zirka 450.000 Menschen, das sich gerade zu einem Nebenschauplatz im Ukraine-Krieg entwickelt.

Litauen hat am Samstag angekündigt, den Bahnverkehr zwischen Russland und seiner Exklave zu beschränken. Ware, die unter die EU-Sanktionen gegen Russland fallen, können nicht mehr mit der Bahn über Litauen nach Kaliningrad gebracht werden. Das betrifft etwa Baumaterialien, Metalle und technologische Güter. Im Kreml ist man darüber erzürnt und spricht von einer "beispiellosen" Entscheidung Litauens, die gegen alle Grundsätze verstoße.

Die litauische Regierung argumentiert, man setze nur EU-Sanktionen um. "Es ist nicht Litauen, das etwas tut - es sind die europäischen Sanktionen, die am 17. Juni in Kraft getreten sind", ließ Außenminister Gabrielius Landsbergis wissen. Er sprach zudem nicht von Blockade, sondern von Beschränkungen, die "in Konsultation mit der Europäischen Kommission und gemäß den Direktiven der Europäischen Kommission" umgesetzt worden sind.

Blick über die beleuchtete Uferpromenade in Kaliningrad.
Blick über die beleuchtete Uferpromenade in Kaliningrad. © dpa

Der Chef des russischen Nationalen Sicherheitsrats, Nikolai Patruschew, warnte den baltischen Staat nun vor "schwerwiegenden" Konsequenzen. "Russland wird auf solche feindseligen Aktionen natürlich reagieren", zitiert ihn die Nachrichtenagentur Interfax. "Entsprechende Maßnahmen werden auf interministerieller Ebene ausgearbeitet und bald verabschiedet. Sie werden schwerwiegende negative Folgen für die Bevölkerung in Litauen haben."

Was genau macht die Exklave für den Kreml so wichtig?

Sie ist vor allem ein militärisch und strategisch relevantes Gebiet, sagt der Russland-Experte Gerhard Mangott, Professor für internationale Beziehungen an der Universität Innsbruck. "Der Hafen ist wesentlich für russische Ostseeflotte, und es bietet sich die Möglichkeit, Waffen zu stationieren", sagt Mangott. Sie befinden sich damit in Schlagdistanz zu den Nachbarstaaten, die Mitglied in der EU bzw. Nato sind.

Russische Marine auf dem Übungsgelände der Ostseeflotte des Landes in Kaliningrad.
Russische Marine auf dem Übungsgelände der Ostseeflotte des Landes in Kaliningrad. © Vitaly Nevar/TASS/dpa

Bereits im Mai simulierten die Streitkräfte des Kremls mit dem atomwaffenfähigen Raketensystem Iskander-M einen Angriff. "Kaliningrad wäre sicher relevant für eine Militär-Aktion gegen Polen oder die baltischen Staaten", sagt Mangott, hält einen Angriff aber für unwahrscheinlich.

Die Angst im Baltikum

In den baltischen Staaten geht diese Angst schon länger um und sie ist seit dem Angriff auf die Ukraine nicht weniger geworden. Wenn etwa der russische Präsident Wladimir Putin, wie zuletzt beim Wirtschaftsforum in St. Petersburg, davon spricht, russische Erde zurückzuholen und den Krieg in der Ukraine mit dem Großen Nordischen Krieg (1700 bis 1721) von Peter dem Großen vergleicht, ist nachvollziehbar, dass die Menschen in Litauen, Estland und Lettland hellhörig werden.

Auch weil erst kürzlich der russische Abgeordnete Jewgeni Fjodorow in der Duma einen Gesetzesentwurf zur Aberkennung der Unabhängigkeit des Nachbarlandes Litauen einbrachte. In russischen Talkshows ist auch davon die Rede, eine Landverbindung zwischen Kaliningrad und dem "Kernland" Russland herzustellen. "Gerade in rechtsnationalistischen Kreisen wurde immer wieder gefordert, sich gewaltsam einen Zugang über den sogenannten Suwalki-Korridor zu verschaffen", sagt Experte Mangott.

Die Achillesferse der Nato

Der Suwalki-Korridor, ein zirka 65 Kilometer breiter Landstreifen zwischen Polen und Litauen, wird im Westen von Kaliningrad und im Osten von Belarus eingerahmt. Er ist die einzige Landverbindung zwischen den drei Baltenstaaten und den anderen Nato-Mitgliedern. Ein solch militärischer Durchstich auf Kosten Polens und Litauens wäre mit erheblicher Kriegsgefahr verbunden, sagt Mangott.

"Für den Fall eines Angriffs Russlands auf das Baltikum könnte ein Vorstoß auf die Suwalki-Lücke erfolgen. Einfach auch, um die Nato-Gebiete der baltischen Staaten vom Nato-Gebiet Polens abzukoppeln."

Ob es so weit kommt? Mangott glaubt derzeit nicht daran, dass sich die Spannungen militärisch entladen. Als Gegenmaßnahmen Moskaus rechnet er mit politischen Sanktionen, wie die Ausweisung des Botschafters oder Reduzierung des Botschafts-Personals. Wirtschaftliche Beschränkungen wären dagegen ohne große Wirkung. "Die Handelsverbindungen sind ohnehin nicht intensiv, die litauischen Häfen werden von Russland schon lange nicht mehr beliefert."

Dass der Streit weit größere Kreise zieht als zwischen Vilnius und Moskau zeigte sich am Dienstag. Moskau berief den EU-Botschafter Markus Ederer ins Außenministerium ein. Und warf der Europäischen Union vor, eine "Eskalation" des Konflikts zu schüren.