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Waldheimer muss fast das Fünffache mehr für Gas bezahlen

Ein Rentnerehepaar Hofmann aus Waldheim soll in der Woche 70 Euro für Gas bezahlen. Auch die Kosten für den Strom schnellen in die Höhe. Was nun?

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Das Ehepaar Hofmann ist sauer. Ihnen wurde von Gas.de der Vertrag gekündigt. Deshalb mussten sie übergangsweise das Gas von Mitgas beziehen.
Das Ehepaar Hofmann ist sauer. Ihnen wurde von Gas.de der Vertrag gekündigt. Deshalb mussten sie übergangsweise das Gas von Mitgas beziehen. © Lutz Weidler

Von Rasmus Wittrin

Waldheim. Der Prozess, der zu einer wöchentlichen Gasrechnung von 70 Euro für das Waldheimer Rentnerehepaar Petra und Peter Hofmann führt, beginnt am 7. Dezember 2021 mit einer "unerfreulichen Nachricht".

So heißt es in dem Kündigungsschreiben des Billiggasanbieters gas.de, das per Mail ankommt. Der Gasliefervertrag sollte bis zum Juli 2022 laufen bei einer monatlichen Abschlagsrechnung von 59 Euro.

Plötzlich ohne Gasvertrag

Plötzlich steht das Ehepaar Hofmann ohne Gasvertrag da. Erst einmal ist das nicht besonders schlimm. Denn das Gas wird weiter geliefert. In Deutschland ist der Versorger, der die meisten Haushalte in einem Gebiet versorgt, zur unterbrechungslosen Weiterversorgung von Haushalten ohne Vertrag verpflichtet. Ersatz- beziehungsweise Grundversorgung heißt das.

In Waldheim ist Mitgas der Grundversorger für Gas. Dieser Tarif ist allerdings meistens teurer als langfristigere Tarife, weil das Gas kurzfristig nachgekauft werden muss.Die Hofmanns sind nicht allein: Im Grundversorgungsgebiet von Mitgas wurden etwa 5.300 ehemalige gas.de-Kunden von MITGAS übernommen, sagt Cornelia Sommerfeld. Sie ist Pressesprecherin der enviaM-Gruppe, wozu auch Mitgas gehört.

Das sei ein extremer Kundenzuwachs, heißt es in einer Mail des Konzerns. Deutschlandweit wurde gar hunderttausenden von Kunden einseitig der Gasvertrag gekündigt, oftmals von Anbietern wie gas.de, die bisher eine Versorgung zu niedrigen Preisen anboten.

Gaspreise um mehr als 400 Prozent gestiegen

Der Anbieter gas.de begründet die Kündigungen mit einer "nie dagewesenen Preisexplosion an den europäischen Energiehandelsplätzen". In der Spitze seien die Gaspreise auf den Beschaffungsmärkten "um mehr als 400 Prozent" im Vergleich zum Vorjahr gestiegen, heißt es vom Unternehmen.

Dass die Gaspreise in den letzten Monaten stark anstiegen, bestätigen auch Zahlen des Statistischen Bundesamtes und der Vergleichsportale Check24 und Verivox. Bis Mai 2021 lagen die Einfuhrpreise für Erdgas noch unter dem Jahresdurchschnitt von 2015. Gegen Jahresende erreichten sie fast die dreifache Höhe. Deutschland bezieht den Großteil des verwendeten Erdgases als Importe. 2018 lag der Anteil bei 95 Prozent, laut dem Amt.

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Zeitgleich haben sich auch die Gaspreise in der Grundversorgung laut Check24 zwischen August 2021 und Februar 2022 etwa verdoppelt. Der Ukraine-Krieg verstärkt diese Preissteigerung noch. Seit Anfang 2022 haben sich die Beschaffungskosten für Erdgas verzehnfacht, sagt Sommerfeld.

Für den Zeitraum zwischen dem 3. Dezember 2021 und dem 23. Februar 2022, als Hofmanns von Mitgas beliefert wurden, kam eine Gasrechnung von 825,54 Euro zusammen. Auf die Woche gerechnet sind das rund 70 Euro. Dabei nutzt das Ehepaar nach eigener Aussage nur vier Heizkörper.

Verbraucherzentrale: Schadensersatzanspruch prüfen

Die Gründe für den rasanten Anstieg seien, so Sommerfeld, vielfältig: Die erhöhte Nachfrage nach dem wirtschaftlichen Stillstand in der Corona-Krise vor allem in Asien traf auf niedrige Erdgas-Speicherstände in Deutschland und geringere Stromproduktion aus Windenergie, was unter anderem von Erdgaskraftwerken ausgeglichen wurde.

Zusätzlich werde der Preis durch die 2021 eingeführte CO2-Umlage für Erdgasprodukte belastet.

Aber: Sind steigende Preise ein Grund, einseitig einen Versorgungsvertrag zu kündigen? Die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen geht davon aus, dass das unzulässig ist und rät Betroffenen, einen Schadensersatzanspruch gegen das kündigende Unternehmen zu prüfen.

Dafür entscheidet sich nach Rücksprache mit seinem Anwalt auch Peter Hofmann. Gas.de bietet Hofmann daraufhin eine Vergleichszahlung in Höhe von 220 Euro, was er annimmt. Eine Rechtspflicht erkennt gas.de ausdrücklich nicht an.

Deutlich höhere Preise als beim Grundversorgungstarif

Unabhängig von dieser Frage sah sich Mitgas durch die vielen ungeplanten Neukunden von gas.de mit einem Problem konfrontiert: Das für die Bestandskunden langfristig eingekaufte Gas reicht nicht aus, um alle zu versorgen.

Deshalb muss Mitgas kurzfristig Gas nachkaufen. Aufgrund der hohen Preise sei das zu dem normalen Ersatz- und Grundversorgungstarif "nicht wirtschaftlich abdeckbar", sagt Pressesprecherin Sommerfeld.

Deshalb wird für alle ehemaligen Kunden von gas.de die Versorgung nur noch im Rahmen eines Sondervertrages gewährleistet, zu deutlich höheren Preisen als im Grundversorgungstarif. Konkret: 17,71 Cent pro Kilowattsunde im Sondervertrag gegenüber 9,07 Cent pro Kilowattsunde in der Grundversorgung.

Auch Stromvertrag gekündigt

Mitgas will nicht für die Versäumnisse eines Unternehmens mit "zweifelhaftem Geschäftsmodell", wie Sommerfeld sagt, aufkommen. Damit meint Sommerfeld wohl, dass besonders günstige, kleinere Versorgungsunternehmen laut Focus Online im Gegensatz zu größeren Versorgungsunternehmen nicht langfristig Gas einkaufen und deshalb stärker von kurzfristigen Preisschwankungen betroffen sind.

Als ob das nicht genug gewesen wäre, hatte Ende Dezember auch das Stromversorgungsunternehmen der Hofmanns, Stromio, einseitig gekündigt. Das bedeutete für das Ehepaar Mehrkosten in Höhe von etwa 100 Euro gegenüber ihrem alten Tarif, bis sie Ende Februar ein neues Versorgungsunternehmen fanden.

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Was angesichts der hohen Strom- und Gaspreise für ehemalige Kunden von gas.de und Stromio besonders bitter sein dürfte: Nach Spiegel-Informationen befürchtet die Bundesnetzagentur, dass gas.de und Stromio in den Wochen vor den massenhaften einseitigen Kündigungen ihre verbliebenen Strom- und Gasreserven zu deutlich höheren Preisen im Großhandel verkauft haben.

Zudem prüfe die Staatsanwaltschaft Düsseldorf, ob die Anbieter im Zusammenhang mit den Massenkündigungen eine Straftat begangen haben. Bundesverbraucherschutzministerin Steffi Lemke jedenfalls sprach laut Spiegel schon von "Vertragsbruch".

Neue Versorgungsunternehmen

Seit Ende Februar werden die Hofmanns von einem neuen Versorgungsunternehmen mit Strom und Gas versorgt. Bei den neuen Anbietern zahlen die Hofmanns jetzt trotzdem deutlich mehr als früher bei gas.de und Stromio: Gut 100 Euro für Strom, und knapp über 150 Euro für Gas pro Monat.

Und selbst darüber könnten sich die Hofmanns noch freuen: Viele Versorger bieten derzeit gar keine Tarife für Neukunden außerhalb der Grundversorgung an, darunter auch Mitgas.

"Zum Glück sind wir Rentner und haben die Zeit, uns damit zu beschäftigen", sagt Peter Hofmann halb lachend über die vielen Anwaltsschreiben und die Korrespondenz mit den Versorgungsunternehmen gebeugt. Er hofft, dass das Ganze bald abgeschlossen ist. Und das in seinem Postfach nicht die nächste "unerfreuliche Nachricht" von einem Energieversorger auftaucht.