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Sächsische Stadtwerke wollen keine neuen Kunden

Strom sollte dieses Jahr billiger werden. Stattdessen melden Händler "ausverkauft". Strom und Gas sind teuer wie nie. Was Staat und Verbraucherschützer tun.

Von Georg Moeritz
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Viele sächsische Stromversorger schreiben, dass sie derzeit keine Preis-Angebote machen wollen. Doch laut Verbraucherzentrale lohnt sich Wechseln wieder.
Viele sächsische Stromversorger schreiben, dass sie derzeit keine Preis-Angebote machen wollen. Doch laut Verbraucherzentrale lohnt sich Wechseln wieder. © imago images

Dresden. Die Glashütte Freital lässt einen Teil ihrer Schmelzanlagen abkühlen und schränkt die Gläserproduktion ein, weil die Energiekosten zu hoch wurden. Der Zweiradspezialist Mathias Lemke mit Werkstatt in Nünchritz bei Riesa musste einen neuen Gashändler suchen, weil der bisherige die Jahresrechnung von 2.000 Euro auf voraussichtlich 4.500 Euro erhöhte. Und der Dresdner Rentner Rainer Ruchatz fuhr zum Klingeln zu seinem Stromversorger Energiehaus Dresden eG, weil dort niemand ans Telefon ging. Das sächsische Unternehmen stellte die Lieferung von Strom und Erdgas ein.

Seit Wochen herrscht Ausnahmezustand auf dem Energiemarkt. Strom und Gas sind "so teuer wie nie", sagt Andreas Eichhorst, Vorstand der Verbraucherzentrale Sachsen. Dabei sollte Strom zu Jahresanfang eigentlich billiger werden: Der Staat senkte die EEG-Umlage, die einen Teil des Strompreises ausmacht, von 6,5 auf 3,72 Cent.

Prompt kündigten etwa die Stadtwerke Döbeln an, einen Privatkundentarif von 27,47 auf 26,6 Cent pro Kilowattstunde zu senken. Doch zu diesem Preis ist kein Vertrag zu bekommen: "Ausverkauft" schreiben die Stadtwerke Döbeln groß und rot auf ihre Preistabelle. Stattdessen müssen Neukunden sich in Döbeln auf 39,57 Cent einstellen.

Strom ist ausverkauft, jedenfalls zu diesem Preis. Wie die Stadtwerke Döbeln schreiben auch andere sächsische Versorger, dass sie derzeit keine Angebote machen wollen. Auch Gas ist teuer wie nie.
Strom ist ausverkauft, jedenfalls zu diesem Preis. Wie die Stadtwerke Döbeln schreiben auch andere sächsische Versorger, dass sie derzeit keine Angebote machen wollen. Auch Gas ist teuer wie nie. © Georg Moeritz

Eins Energie in Chemnitz: Angebote erst ab Frühjahr

Die Stadtwerke Weißwasser schreiben ebenfalls, ihr Kontingent sei "bereits ausgeschöpft". Laut Geschäftsführerin Katrin Bartsch verzichtet das Unternehmen möglichst auf Neukunden und bietet die günstigeren Preise nur Bestandskunden. Erst im Frühjahr werde es wohl wieder Angebote für Neue geben, teilt der Chemnitzer Stadtwerke-Nachfolger Eins Energie mit.

Kann Strom wirklich ausverkauft sein? Nein, tatsächlich liefern die sächsischen Stadtwerke weiterhin Strom an ihre Kunden. Außerhalb der Städte sind die beiden Regionalversorger Sachsen-Energie (Marke Enso) und Envia-M zuständig. Sie nehmen pflichtgemäß Haushaltskunden aus ihrer Region auf, wenn deren bisherige Händler nicht mehr liefern. Aber erst mal wird das teuer.

Etwa 40 Energiehändler in Deutschland haben in den vergangenen Wochen ihr Geschäft aufgegeben oder gingen pleite. Bekannte Marken wie Stromio und Gas.de teilten ihren Kunden mit, wegen einer "nie dagewesenen Preisexplosion an den europäischen Energiehandelsplätzen" könnten sie nicht mehr handeln.

Energielieferung beendet: Der Dresdner Händler Energiehaus Dresden eG teilte seinen Kunden ebenso wie Gas.de und Grünwelt mit, dass von ihm keine Energie mehr zu erwarten sei. Stadtwerke und Regionalversorger mussten einspringen.
Energielieferung beendet: Der Dresdner Händler Energiehaus Dresden eG teilte seinen Kunden ebenso wie Gas.de und Grünwelt mit, dass von ihm keine Energie mehr zu erwarten sei. Stadtwerke und Regionalversorger mussten einspringen. © Georg Moeritz

Zwei Dresdner Energiehändler liefern nicht mehr

Die Dresdner Dreischtrom GmbH meldete Insolvenz wegen "Insolvenz unseres Vorlieferanten". Die Genossenschaft Energiehaus Dresden beendete die Energielieferung sogar für ihre Mitglieder, sodass das Rentnerehepaar Ruchatz automatisch zur Sachsen-Energie mit der Marke Drewag kam. Die lokalen Versorger müssen liefern – aber sie freuen sich nicht über Kunden, die in den vergangenen Jahren zu neu gegründeten Konkurrenzunternehmen gewechselt waren.

Zeitweise lockten immer mehr Sonderangebote, doch nun scheinen sich viele der jungen Handelsfirmen verkalkuliert zu haben. Sie konnten Gas und Strom nicht mehr billig nachkaufen, um ihre Verträge zu erfüllen. Manche dürften auf sinkende Einkaufspreise spekuliert haben, doch die blieben aus. Stadtwerke dagegen haben in der Regel schon Energiemengen für viele Monate im Voraus eingekauft.

Eins Energie in Chemnitz schrieb noch Mitte November in einer Pressemitteilung, bis Jahresende blieben die Preise stabil. Schließlich arbeite der Betrieb mit einem "bewährten, strategischen Beschaffungsprozess". Der helfe, historisch hohe Preissteigerungen abzumildern. Doch noch im Dezember erhöhte Eins Energie gleich zweimal die Strompreise für die "Ersatzversorgung", bis auf 73 Cent. Zum 20. Januar sanken sie wieder, blieben aber mit 53 Cent immer noch hoch.

Extra hohe Preise für Preishopper - laut Finanztest verboten

Der Grund: Die traditionellen Energieversorger mussten in kurzer Zeit Tausende zusätzliche Kunden auffangen und für sie Strom und Gas nachkaufen – eilig und deshalb mit wenig Verhandlungsspielraum. Die Envia-M-Tochterfirma Mitgas schrieb, sie wende nun speziell für die bisherigen Kunden von Gas.de einen Sondervertrag an. Denn es sei für Mitgas "wirtschaftlich nicht zumutbar", diese Kunden zu den sonst üblichen Preisen für "Grund- und Ersatzversorgung" zu beliefern.

Die Verbraucherschützer von Finanztip halten das für nicht erlaubt und raten betroffenen Kunden, statt des Sondervertrags den Preis für die Ersatzversorgung zu verlangen – und außerdem rasch wieder nach einem billigeren Lieferanten zu suchen. Auch die Verbraucherzentrale Sachsen (VZS) ist alarmiert. Laut ihrem Chef Eichhorst haben sich Hunderte verängstige Kunden gemeldet, die sich die neuen Preise nicht leisten können und befürchten, dass ihnen irgendwann Strom und Heizung abgestellt werden.

Vor allem die hohen Gaspreise machen vielen Sorgen, 64 Prozent der Sachsen heizen mit Gas. VZS-Referatsleiterin Stefanie Siegert rechnet vor, dass eine vierköpfige Familie in Zwickau, die zuletzt Stromio-Kunde war und nun als Neukunde bei den Stadtwerken eingestuft wird, zunächst rund 280 Euro mehr für Gas und rund 170 Euro mehr für Strom zahlen müsse – im Monat.

Kontingent ausgeschöpft: Die Stadtwerke Weißwasser GmbH, ein Unternehmen des Veolia-Konzerns, hat den Tarifrechner auf der Internetseite gesperrt. Für Neukunden gibt es jetzt nur die teure Grundversorgung und Ersatzversorgung.
Kontingent ausgeschöpft: Die Stadtwerke Weißwasser GmbH, ein Unternehmen des Veolia-Konzerns, hat den Tarifrechner auf der Internetseite gesperrt. Für Neukunden gibt es jetzt nur die teure Grundversorgung und Ersatzversorgung. © Georg Moeritz

Vergleichsportale derzeit unvollständig

Zwar gibt es keine Kündigungsfrist in der Ersatzversorgung, doch die Suche nach einem neuen Billiglieferanten ist derzeit nicht so leicht wie in den vergangenen Jahren. Selbst die Drewag verrät auf ihren Internetseiten keine Preise, außer den hohen für die vorgeschriebene Grundversorgung. In Internet-Vergleichsportalen fehlen laut Siegert derzeit viele Lieferanten. Dafür stünden manchmal Tarife darin, die es derzeit nicht gebe. Wer suche, solle jedenfalls mehrere Portale nutzen - und darauf achten, dass beim Vergleich nicht etwa lange Kündigungsfristen von 12 oder 24 Monaten eingestellt sind.

Siegert nutzt zum Vergleichen beispielsweise die Seite www.mut-zum-wechseln.de, wirbt aber auch für die Beratung der Verbraucherzentrale. Die kenne örtliche Preise am besten. Die VZS berechnet 15 Euro für eine halbe Stunde Wechselberatung und 30 Euro für eine Stunde mit Rechts- und Energieberatung. Die Verbraucherschützer raten auch, es erneut mit Energiesparen zu versuchen - zehn Prozent der Kosten ließen sich damit immer senken.

Laut Finanztip hat sich "die Lage an den Märkten" jüngst etwas entspannt. Derzeit gelte die Faustregel: Strom sollte in der Regel nicht mehr als 37 Cent kosten, Gas nicht mehr als elf Cent. Gemeint ist der Arbeitspreis pro Kilowattstunde, dazu kommt der monatliche Grundpreis.

Heizkostenzuschuss für Juni angekündigt, auch bei Bafög

VZS-Chef Eichhorst hofft, dass die Energiewende gut vorankommt, denn erneuerbare Energie sei die günstigste. Mitte des Jahres würden sich die Preise wohl "normalisieren", aber Angebote wie in den vergangenen Jahren erwarte er nicht mehr. Wer jetzt einen Vertrag schließe, solle dennoch auf kurze Kündigungsfristen achten.

Im Juni will der Staat einen Heizkostenzuschuss für rund 2,1 Millionen Wohngeld- und Bafög-Empfänger zahlen: 135 Euro für Ein-Personen-Haushalte, 175 für Zweipersonenhaushalte, je weitere Person 35 Euro, bei Bafög pauschal 115 Euro.

Laut Verbraucherzentrale Sachsen ist dieser staatliche Zuschuss nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Berlin diskutiert auch darüber, die Stromsteuer zu senken, die EEG-Umlage früher abzuschaffen als geplant und mehr Hilfen für sozial Schwache zu bieten – wie in Polen, Belgien und Großbritannien auch.

Sachsen diskutiert fleißig mit: Der CDU-Landesvorstand etwa verlangte Ende Januar, die Energiesteuern auf ein europäisches Mindestniveau zu senken. Sachsens Handwerkstagspräsident, der Dachdecker Jörg Dittrich, lobte die Absicht, schon dieses Jahr die EEG-Umlage ganz abzuschaffen. Bisher war das für nächstes Jahr vorgesehen. Doch es müsse mehr Entlastungen geben - nicht nur für Haushaltskunden, sondern auch für kleine und mittelständische Betriebe.