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Chinesen wollen den ID.4 nicht

VW enttäuscht bei seinen Absatzzahlen in China. Mitte November zog der Konzern sogar seinen Leiter dort ab. Ist das ein Alarmzeichen für eine Branche?

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Zwickau: Ein Volkswagen ID.4 fährt zur Auslieferung über einen Parkplatz mit weiteren Neuwagen.
Zwickau: Ein Volkswagen ID.4 fährt zur Auslieferung über einen Parkplatz mit weiteren Neuwagen. © dpa-Zentralbild

Von Fabian Kretschmer

Ausgerechnet bei den Wolfsburgern ist das China-Geschäft derzeit deutlich ins Stottern geraten. Dabei hat wohl kaum ein anderes deutsches Unternehmen so sehr vom Boom im Reich der Mitte profitiert wie Volkswagen. Die jüngsten Absatzzahlen der Wolfsburger in Fernost sind jedoch ziemlich enttäuschend: Während der Automarkt in der Volksrepublik insgesamt wächst, verliert der Marktführer seit einigen Monaten bereits deutlich an Boden. Mitte November wurde zudem Spitzenmanager Stephan Wöllenstein überraschend von seiner China-Leitung abgezogen.

Insbesondere der ID.4, der unter großem Trommelwirbel als Volkswagens Hoffnung für die Elektro-Verkehrswende vermarktet wurde, konnte die Erwartungen bislang nicht erfüllen. Auf der Online-Plattform Weibo zeigen sich Chinas anspruchsvolle Kunden bisweilen enttäuscht: „Behandelt Volkswagen seine Kunden wie Trottel? Schauen Sie sich nur mal das Fahrwerk, die Beschleunigung oder die Ausstattung an – alles weit entfernt von Tesla und ähnlich wie bei heimischen Autos. Es gibt keinen Grund, den ID.4 zu kaufen“, kommentiert ein Nutzer.

Vollzieht sich also bei VW, was auch der gesamten Autobranche in China drohen könnte? Kritiker wiederholen schließlich bereits seit Jahren die Befürchtung, dass die heimischen Unternehmen die von Peking forcierte Verkehrswende hin zu Elektroautos verschlafen hätten.

Mit nüchternem Blick auf die Zahlen gibt es zumindest keinen Grund für Untergangsstimmung: Abseits von Volkswagen schlagen sich die deutschen Autoproduzenten weiterhin sehr solide. Daimlers Gewinnmargen sind trotz generell leicht rückläufiger Absatzzahlen im dritten Quartal wieder angestiegen, was vor allem an der starken Nachfrage der Chinesen im Luxus-Segment liegt. Auch BMW hat in den ersten neun Monaten des laufenden Jahres rekordverdächtige 670.000 Fahrzeuge in China ausgeliefert, fast ein Fünftel mehr als noch 2020. Doch der Erfolg in China bietet nicht nur Grund zur uneingeschränkten Freude. Steigende Profite in der Volksrepublik führen schließlich auch zu einer zunehmenden Abhängigkeit auf einem Markt, der immer mehr nach politischen Spielregeln funktioniert. Die Staatsführung verstärkt derzeit nicht nur den Druck auf internationale Unternehmen, ihre Wertschöpfung im Inland zu erhöhen und sensible Technologie bereitzustellen. Auch fordert Peking immer öfter politische Solidarität ein. Bei Volkswagen spiegelt sich das in einer Fabrik in der abgelegenen Region Xinjiang wider, wo laut Menschenrechts-NGOs hunderttausende Uiguren in politischen Umerziehungslagern interniert sind und teils auch Zwangsarbeit verrichten müssen. Marktwirtschaftlich macht die Fabrik keinen Sinn.

Doch kritische Töne sind von den Unternehmen nicht zu erwarten, denn die chinesische Zentralregierung reagiert äußerst sensibel selbst auf leise Untertöne. H&M wurde etwa im Frühjahr Opfer eines staatlich orchestrierten Boykotts, nur weil der Textilkonzern aufgrund möglicher Zwangsarbeit keine Baumwolle mehr aus Xinjiang bezogen hatte.

Wie viel Abhängigkeit tut noch gut?

Während die Schweden jedoch einen Rückschlag auf dem für sie viertwichtigsten Markt verkraften können, wäre dies für die deutsche Autobranche ein ungleich drastischerer Schlag. Laut einer Schätzung der Unternehmensberatung Ernst and Young verkauft die deutsche Autobranche bereits vier von zehn Neuwagen in der Volksrepublik China. Beim Premiumsegment dürfte der Wert weit darüber liegen: Mercedes verkauft locker zwei Drittel seiner Maybachs im Reich der Mitte – obwohl der chinesische Staat eine empfindliche Luxussteuer auf die Nobel-Karosserien erhebt.

Mit der Wende hin zur Elektromobilität dürfte zudem die Abhängigkeit in Bezug auf die Zulieferketten deutlich steigen. Denn China verfügt über nahezu 80 Prozent der weltweiten Kapazitäten zur Herstellung von Lithium-Ionen-Batterien.

Insofern ist die alles entscheidende Frage nicht unbedingt, ob Deutschlands Autobauer in China kurzfristig an Wettbewerbsfähigkeit verlieren werden. Stattdessen wäre es Zeit für eine Debatte darüber, wie viel Abhängigkeit vom chinesischen Markt der Branche langfristig guttut.