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Autos aus Holz und Reifen aus Löwenzahn

Die Bio-Wirtschaft gilt als ein Hoffnungsträger für den Strukturwandel in den Kohleregionen – und nicht nur dort. Immer mehr Firmen in Mitteldeutschland steuern um.

Von Sven Heitkamp
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Christoph Alt und Angela Grimmer, beide sind Gründer der Firma Ligenium, die Transportwagen aus Holz herstellt.
Christoph Alt und Angela Grimmer, beide sind Gründer der Firma Ligenium, die Transportwagen aus Holz herstellt. © Andreas Seidel

Eigentlich sind fahrerlose Transportfahrzeuge aus Stahl, die Material an die Roboterinseln und Produktionsstraßen in der Autoindustrie bringen, längst Standard. Christoph Alt aus Chemnitz hat sich trotzdem gewagt, die Geschichte noch einmal neu zu denken – und mit seinen drei Gründerkollegen der Firma Ligenium innovative robuste Ladungsträger für den industriellen Einsatz aus leichtem Birken- und Buchensperrholz geschnitzt. „Um Ladung zu transportieren, wird häufig ein Vielfaches an Leergewicht bewegt“, sagt der 39-jährige Maschinenbauer. „Für dieses Dilemma haben wir eine nachhaltige Lösung gefunden.“ Der Vorteil: Die Trägersysteme aus Holz sind nicht nur viel leichter, flexibler und sparen eine Menge Energie – sie wirken als CO2-Speicher im besten Fall sogar klimaneutral.

Als Pionier für Leichtbauwerkstoffe sind die Ligenium-Kreationen inzwischen bei namhaften Unternehmen im Einsatz, darunter im VW-Konzern, beim Maschinenbauer Trumpf in Neukirch und beim Baukonzern Goldbeck. Hervorgegangen ist die heute zehnköpfige Firma 2018 nach jahrelanger Forschungsarbeit als Ausgründung aus der TU Chemnitz. Und sie gehört einer neuen, schnell wachsenden Zukunftsbranche an: der sogenannten Bioökonomie. Der Trend durchzieht alle Wirtschaftsbranchen, die für Produkte, Prozesse und Dienstleistungen auf nachwachsende biologische Ressourcen und innovative ökologische Verfahren setzen: Plastikflaschen aus organischem Granulat und kompostierbare Kaffeekapseln, Autoreifen aus Löwenzahn-Kautschuk und Sitze aus Rhabarberleder, Textilien aus Holz und Nahrungsmittel aus Insektenmehl. Bioökonomie ist bereits ein Inbegriff des Wandels: weg von der Erdöl-basierten Produktion hin zu einer Wirtschaft der nachwachsenden Rohstoffe. Zugleich gilt die Bioökonomie als große Chance beim Kohleausstieg.

Nach Schätzungen der Metropolregion Mitteldeutschland wird bereits heute mit biobasierten Produkten und deren Herstellung etwa ein Fünftel des Wirtschaftsumsatzes in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen erzielt. Jeder zehnte Beschäftigte in der Region lasse sich Unternehmen der Bioökonomie zuordnen. Und der Anteil soll weiter steigen. Bei einem ersten mitteldeutschen Bioökonomiekongress Anfang der Woche in Altenburg unterschrieben 23 Akteure eine Absichtserklärung für weiteres Wachstum: „Gemeinsam wollen wir Mitteldeutschland zur Bioökonomieregion entwickeln, in der leistungsfähige biobasierte Prozesse und innovative Produkte erforscht, produziert und vermarktet werden.“ Beispiele gibt es bereits viele. Das Holzbau-Kompetenzzentrum in Dresden etwa, vor einem Jahr im Auftrag und mit Fördermitteln der Ampelkoalition gegründet.

Die Mission: Bauen mit Holz forcieren und unterstützen, durch Beratung, Aufklärung, Begleitung. Erste Projekte sind bereits umgesetzt. „Wir haben 70 Jahre lang verlernt, mit Holz zu bauen“, sagt Geschäftsführer Sören Glöckner. „Jetzt wollen wir Lust machen, den nachwachsenden Baustoff wieder einzusetzen.“ Mehrgeschossige Gebäude, tragende Wände, Aufzugswände, Fluchtwege, Fassaden – all das könne sehr wohl aus Holz gebaut werden. Daher werde es im Juni auch in der Sächsischen Bauordnung anderen Baustoffen gleichgestellt. Der Holzvorrat in Sachsen sei enorm – und pro Jahr wächst eine Menge von 100.000 Eisenbahnwaggons nach.

Die Bioraffinerie von UPM in Leuna wächst. Mehrere Destillationskolonnen, die größte mit einer Höhe von 60 Metern, werden für die Aufstellung auf der Baustelle vorbereitet. Ab 2023 sollen auf der Basis von Holz chemische Grundstoffe für Verpackungen, Auto
Die Bioraffinerie von UPM in Leuna wächst. Mehrere Destillationskolonnen, die größte mit einer Höhe von 60 Metern, werden für die Aufstellung auf der Baustelle vorbereitet. Ab 2023 sollen auf der Basis von Holz chemische Grundstoffe für Verpackungen, Auto © Jan Woitas/dpa

Zu einem Leuchtturm der Bioökonomie entwickelt sich indessen ausgerechnet auch das ehemalige Chemiedreieck Leuna, das schon bei Trendsettern in Kalifornien einen guten Ruf genießt, erzählt Joachim Schulze, Geschäftsführer des Vereins Bio-Economy in Leuna. Biotech-Erfindungen, die von Start-ups in Los Angeles oder San Diego gemacht werden, würden mangels Fermentierungs-Kapazitäten in den USA in Leuna skaliert und produziert. In Leuna stehen dafür das Fraunhofer-Zentrum für Chemisch-Biotechnologische Prozesse und die Firma EW Biotech mit ihrem Know-how und ihren Anlagen bereit. „In Kalifornien wird gesagt: Wenn du wachsen willst, besorgt dir einen Reisepass“, erzählt Experte Schulze, der die Branche berät.

Gleich neben EW Biotech baut der finnische Papierkonzern UPM zurzeit für 750 Millionen Euro eine Bioraffinerie. Mehr als 100 Mitarbeiter sollen künftig aus Buchenholz aus nachhaltiger deutscher Forstwirtschaft erneuerbare Füllstoffe für die Gummi-Industrie sowie Biokunststoffe für PET-Getränkeflaschen herstellen. Die Lizenz dazu stammt von Coca-Cola gemeinsam mit einem chinesischen Biotech-Spezialisten, UPM sorgt in Leuna ab Ende 2023 für die Massenproduktion, sagt Konrad Gebauer von UPM. Bioraffinierung sei ein starkes Wachstumsfeld des traditionellen Papierkonzerns. Auch Verbio, führender Produzent von Biodiesel, Bioethanol und Biomethan in Europa mit 900 Mitarbeitern, hat seinen Sitz im nahen Zörbig. Biokraftstoffe spielen eine wichtige Rolle beim Klimaschutz: Nach Verbandsangaben haben sie allein 2020 den Ausstoß von zwölf Millionen Tonnen CO2vermieden.

„Ohne Bioökonomie ist die Klimaneutralität Deutschlands und Europas nicht denkbar“, sagt Daniela Thrän, Co-Vorsitzende des Deutschen Bioökonomierates und Bereichsleiterin am Deutschen Biomasseforschungszentrum (DBFZ) in Leipzig. Mitteldeutschland sei als Vorzugsregion der Agrarwirtschaft mit den industriell-wissenschaftlichen Kernen besonders als Bioökonomie-Region geeignet. Das Dresdner Wirtschaftsministerium sieht das ähnlich: „Viele Branchen haben sich schon auf den Weg gemacht“, sagt Abteilungsleiterin Barbara Meyer. „Und wir haben das Potenzial, noch besser zu werden.“