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Experten-Streit zu Turow-Folgen für Zittau

Das Oberbergamt widerspricht der neuen Studie zu Bodensenkungen durch Turow nicht - die Zahlen sind ähnlich. Dennoch ist die Sicht der Behörde eine ganz andere.

Von Anja Beutler
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Turows Kraftwerk braucht Kohle aus der Grube nebenan - wenn es nach Polen geht noch möglichst lange.
Turows Kraftwerk braucht Kohle aus der Grube nebenan - wenn es nach Polen geht noch möglichst lange. © Petr David Josek/AP/dpa

Vor einem Monat haben diese Schlussfolgerungen aufgerüttelt in der Diskussion um Turow und die Kohle: Durch die für den Kohleabbau nötige Absenkung des Grundwassers sinkt Zittau - im Süden stärker als im Norden - und das macht sich auch durch Risse in Gebäuden bemerkbar. Hinzu kommen geologische Störungen in den Erdschichten unter der Stadt, die das Ganze uneinheitlicher und unberechenbarer machen. Das sagt die zweite Studie des Geologen und Geochemiker Ralf Krupp, die am 9. Dezember in einer Landtags-Anhörung in Dresden diskutiert wurde. Linken-Abgeordnete Antonia Mertsching, die gehofft hatte, dass diese klaren Worte zu einer Reaktion vor allem beim zuständigen Sächsischen Oberbergamt führen würden, sah sich schon nach der Sitzung getäuscht. Gegenüber der SZ erklärte die Behörde nun, wie ihre Sicht ist.

Was das Oberbergamt von der Studie von Krupp und den Ergebnissen hält, lässt sich dabei nicht wirklich beantworten, denn Oberberghauptmann Bernhard Cramer betonte, dass der Behörde und somit auch ihm "ein neues Schriftstück von Herrn Krupp zu bergbaubedingten Bodensenkungen" nicht vorliege. Insofern könne man keine Aussage dazu treffen. Alles, was er bei der Anhörung erläutert habe, sei daher keine direkte Antwort auf das neue Gutachten gewesen, sondern eine Darstellung der eigenen Erkenntnisse, betont Cramer in diesem Zusammenhang.

Daten zum Teil aus gleichen Quellen

Schaut man auf die Einschätzung, die Cramer von der Zittauer Lage abgibt, so fällt dabei vor allem eines auf: Bei den Daten, die angeben, wie stark sich Zittaus Stadtgebiet in den vergangenen Jahren gesenkt hat, unterscheiden sich beide Einschätzungen kaum. Kein Wunder, die Quellen sind in beiden Fällen die gleichen Messnetze, zusätzlich hat Krupp auch Satellitendaten einfließen lassen. In der Zeit von 2014 bis 2019 spricht er daher von einer flächendeckenden Senkung im Zittauer Stadtgebiet von bis zu zehn Millimetern im Jahr. Das Oberbergamt kommt mit seinen seit 2000 alle vier Jahre erhobenen Messdaten zum gleichen Ergebnis. Dass es Unterschiede zwischen Norden und Süden der Stadt gibt, ist - wie bei Krupp - auch hier festgehalten: von Senkungen bis zu 14 Millimetern am Külzufer bis zu etwa vier Zentimeter pro Jahr am nördlichen Stadtring. Allerdings spricht Krupp zudem von einer Zunahme der Senkung vom westlichen zum östlichen Stadtrand, also zur Grube hin, die das Oberbergamt nicht explizit benennt.

Die Tendenz, die das Oberbergamt aus den Zahlen entnimmt, ist eine Abschwächung der Bewegungen. Dabei sei das Senkungsgeschehen typisch für Bodenbewegungen bei Grundwasserentzug, wie er beim Bergbau üblich ist. Das Oberbergamt geht jedoch mit Blick auf die bisherigen Beobachtungen und die Erkenntnisse des Landesamtes für Umwelt, Geologie und Landwirtschaft zum Einfluss einer beabsichtigten Vertiefung des Tagebaus Turow auf das Grundwasser davon aus, "dass besagtes Vorhaben den Senkungsverlauf in Zittau nicht wesentlich verändern wird".

Oberbergamt: Gebäudeschäden nicht von Turow

Auch das Thema Gebäudeschäden sieht Cramer in einem anderen Licht: "Bei den gemessenen Ausmaßen der Senkung sind nach allgemeiner Kenntnis Schäden an Gebäuden ausgesprochen unwahrscheinlich, können aber nicht gänzlich ausgeschlossen werden", teilt Cramer mit. Dass die Standsicherheit von Gebäuden in Gefahr gerate, sei nicht zu erwarten.

Satellitendaten zeigen es: Je röter, desto stärker ist Zittaus Stadtgebiet 2014 bis 2019 abgesunken. Die weißen Linien sind tektonische Störungen (ZS - Zittauer Sprung; LS - Lusatia Sprung).
Satellitendaten zeigen es: Je röter, desto stärker ist Zittaus Stadtgebiet 2014 bis 2019 abgesunken. Die weißen Linien sind tektonische Störungen (ZS - Zittauer Sprung; LS - Lusatia Sprung). © SZ Grafik

Cramer bezieht seine Sicht zu Gebäudeschäden im Übrigen nicht nur auf die letzten fünf bis zehn Jahre. Das Oberbergamt habe als Sonderpolizeibehörde in den vergangenen Jahrzehnten zahlreiche Gebäudeschäden in Zittau untersucht und bewertet. "Die Schäden konnten ausnahmslos entweder auf kleinräumliche altbergbauliche Hinterlassenschaften im Stadtgebiet, auf unzureichende Gründung, beziehungsweise schlechten baulichen Zustand der Gebäude oder auf bis dato unbekannte historische Bauhohlräume - Keller - zurückgeführt werden", betont der Oberberghauptmann.

Messnetz ist ausreichend

Diese Haltung steht damit in deutlichem Gegensatz zu den Untersuchungen in der Zittauer Franz-Könitzer-Straße 20, wo von der Linkspartei und von Greenpeace finanzierte Gutachten von Ralf Krupp und einem Bausachverständigen nahelegen, dass die Ursache im Tagebaubetrieb Turow und der Grundwasserabsenkung liegt. Bernhard Cramer nimmt dazu keine Stellung - weil ihm das Gutachten nicht vorliege.

Auch Kritik von Gutachter Krupp, es gebe zu wenige Messpunkte im Zittauer Stadtgebiet - und auch auf polnischer Seite - um überhaupt verlässliche Aussagen treffen zu können, kann der Chef des Oberbergamtes nicht erkennen. Auf deutscher Seite werden seinen Angaben zufolge seit dem Jahr 2000 rund 150 Vermessungspunkte beobachtet, deren Daten alle vier Jahre ausgelesen werden. Dieses Netz aufzubauen, sei Ergebnis eines Kabinettsbeschlusses aus dem Jahr 1998 gewesen. Sowohl die Messpunkte als auch das gewählte Zeitintervall erachtet das Oberbergamt "als ausreichend und repräsentativ".