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Zerreißt Turows Kohlehunger sein Haus in Zittau?

An Henry Smalas Haus gibt es seit drei Jahren große Risse. Mit einem Gutachten soll geklärt werden, ob Turow die Ursache ist - und man klagen kann.

Von Anja Beutler
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Henry Smala vor seinem Haus in der Franz-Könitzer-Straße in Zittau.
Henry Smala vor seinem Haus in der Franz-Könitzer-Straße in Zittau. © Matthias Weber/photoweber.de

Journalisten und Anwälte haben sich bei Henry Smala zuletzt die Klinke in die Hand gegeben: Sie kamen vom MDR und von Arte, von einer tschechischen Tageszeitung, von einer polnischen Kanzlei und von Greenpeace. Nicht, dass sich der 67-jährige Ruheständler je darum gerissen hätte. Gerissen sind vielmehr seine Hauswände - und das hat ihm die Aufmerksamkeit beschert. Denn dabei geht es auch um die Kohlegrube Turow.

Alles begann vor zwei, drei Jahren bei einem Plausch mit Horst Schiermeyer, seinem Nachbarn von der anderen Seite der Franz-Könitzer-Straße. "Du Horst, mein Haus reißt", habe er damals zu ihm gesagt. Und damit meinte er nicht nur die feineren Risse in der Fassade, die immer wieder auftreten und die er vor einigen Jahren an seinem rund 300 Jahre alten Haus hat ausbessern lassen. "Diesmal zog sich durch den 100 Jahre alten Anbau ein riesiger Riss", schildert Smala. Euro-Münzen oder seine Finger konnte Smala locker hineinstecken. Gezogen habe es durch den Riss auch und die Musik des Nachbarn von nebenan war immer besser zu verstehen.

In diesen Riss konnte Henry Smala seine Finger mühelos hineinstecken.
In diesen Riss konnte Henry Smala seine Finger mühelos hineinstecken. © Smala

Greenpeace engagiert sich für Klage in Polen

Der Plausch mit Schiermeyer brachte Smala in Kontakt mit Greenpeace. Schiermeyer engagiert sich bei den Grünen und hat sich bei der Anhörung zur Umweltverträglichkeitsprüfung für die Turow-Erweiterung im September 2019 in Bogatynia kritisch zu Wort gemeldet: Dass sich der Turower Kohleabbau in Form von Bodenbewegungen und damit Gebäudeschäden auf der Zittauer Neißeseite auswirke, haben die polnischen Behörden in seinen Augen vernachlässigt. Schiermeyer, der selbst Risse in den eigenen vier Wänden hat, bekam damals zu hören: Dass Turow für Bodenbewegungen auf deutscher Seite verantwortlich sei, sei nicht bewiesen und könne ja auch vom Olbersdorfer Tagebau kommen, erinnert sich Schiermeyer kopfschüttelnd. Der Olbersdorfer Tagebau ist seit 1991 geschlossen und ist seit 1999 geflutet.

Um genau dazu Klarheit zu schaffen, wurde durch Greenpeace bei Ralf Krupp, einem renommierten Geologen und Geochemiker, ein neuerliches Gutachten in Auftrag gegeben. Krupp hatte bereits 2020 für die Umweltorganisation ein Gutachten über die Auswirkungen der Grube Turow auf die deutsche Seite verfasst, dass vor allem wegen der bereits messbaren und noch zu erwartenden Absenkung Zittaus Aufsehen erregt hatte. In diesem Fall haben sich seine Untersuchungen nun auf die Rissbildungen in den Häusern konzentriert. Es war zu belegen, dass nicht Bau-, Materialmängel oder Untergrundgegebenheiten, sondern Turow für die Schäden an den Gebäuden verantwortlich ist.

Die These: Die Grube liegt wie die Stadt Zittau im sogenannten Zittauer Becken. Das Abpumpen von Grundwasser verändert Druckverhältnisse und Strukturen im Untergrund und führt zu Bodensenkungen, die über Risse in Bauwerken sichtbar werden. Ob Krupp dies mit seinem Gutachten beweisen konnte, soll am 9. Dezember Thema einer Anhörung im Sächsischen Landtag sein, kündigt Kerstin Doerenbruch, Pressesprecherin von Greenpeace Berlin an.

Warum beteiligt sich die Stadt Zittau nicht?

Mit dem Gutachten und dem Haus der Smalas sollte eigentlich vor einem polnischen Gericht Klage gegen den Grubenbetreiber PGE eingereicht werden. "Es wäre nicht sinnvoll, vor einem deutschen Gericht zu klagen, wenn man eine Anerkennung durch den Betreiber anstrebt", erklärt Doerenbruch, die in der Anti-Braunkohle-Kampagne der Greenpeace-Regiogruppe Ost engagiert ist. Doch daraus wird erst einmal nichts: "Wir haben Greenpeace erklärt, dass uns als Privatpersonen das dann doch eine Nummer zu groß ist", sagt Henry Smala. Schließlich wohne man in enger Nachbarschaft zu Turow - wer kann wissen, ob sich nicht jemand bei ihm "revanchieren" wollte, wenn er klagt?

Wenn er einer von mehreren Klägern gewesen wäre oder sich die Stadt Zittau engagiert hätte, wäre das etwas anderes gewesen, sagt er. Dass sich die Stadtverwaltung nicht mehr für das Problem interessiert, ärgert Smala ohnehin ein bisschen. Er hätte gehofft, dass man das ernster nehme. Ernst nimmt OB Thomas Zenker (Zkm) das Thema Turow durchaus, auch mit Greenpeace kooperiere die Stadt gut, bestätigt Kerstin Doerenbruch. Im MDR-Beitrag zu Turow erklärt Zenker jedoch, dass es die Kräfte der Stadt Zittau übersteige, "ein Baubüro aufzumachen, das alle einzelnen Schäden begutachtet". Es sei eben etwas anderes, auf der regionalen Ebene etwas bewirken zu wollen, als im Einzelfall etwas zu tun.

Freistaat muss sich stärker einsetzen

Bleibt die Frage, was das Gutachten - so denn ein direkter Zusammenhang zwischen Rissen wie im Haus von Smala und der Grube Turow nachgewiesen werden kann - am Ende bewirkt. Kerstin Doerenbruch hofft durchaus noch, dass vielleicht andere Betroffene den Schritt vor ein polnisches Gericht mit Greenpeace gehen würden. Vor allem aber wäre es an der Zeit, dass der Freistaat die Interessen der Grenzgebiete zu Turow viel stärker geltend machte.

Dass Rissbildung und die Grube bereits seit Jahren in einen Zusammenhang gebracht werden, beweist indes Dr.-Ingenieur Wolfgang Wacker aus Hainewalde, der vor 25 Jahren beim Hauskauf die Smalas direkt auf dieses Risiko durch den Turow-Bergbau hingewiesen hatte. Henryk Smala erinnert sich noch immer daran. Wacker selbst hatte seine Warnung damals ohne Studie oder dergleichen ausgesprochen - einfach aus der Erfahrung heraus, erklärt er. Denn in Zittau - gerade in der Innenstadt - so bilanziert Wacker, gebe es eigentlich kein Haus, das keine Risse habe.