Die Lammsteaks bei Aldi sehen aus wie immer: dunkle Verpackung mit drei saftig-leckeren Fleischstückchen und dem Markennamen Jack’s Farm darauf. Auch der Preis hat sich nicht verändert: 6,99 Euro. Was die meisten Kunden allerdings übersehen dürften: Die Fleischmenge in der Packung ist deutlich geschrumpft. Statt 400 sind jetzt nur noch 300 Gramm drin. „Das entspricht einer versteckten Preiserhöhung von 33 Prozent“, sagt Armin Valet von der Verbraucherzentrale Hamburg.
Kein Einzelfall, sondern Masche, die Shrinkflation (shrink zu deutsch schrumpfen) genannt wird. Seit vielen Jahren führen die Verbraucherschützer eine Mogelpackungsliste. Sie zeigt Produkte, bei denen Hersteller still und heimlich den Inhalt reduziert haben, während der Preis im Laden gleich geblieben ist. Dahinter steckt psychologisches Kalkül. Weil sich Kunden oft an den Preis eines Produkts gewöhnt haben, könnten sie durch eine klare Preiserhöhung vom Kauf abgeschreckt werden. Insofern wird sie lieber verschleiert. Valet spricht von Luftnummern, die auch wenig nachhaltig seien. Im Fall der Lammsteaks würden jetzt pro Tonne Fleisch fast 850 Verpackungen mehr benötigt. Gegenüber der Verbraucherzentrale rechtfertigt Aldi die Schrumpfpackungen mit „gestiegenen Marktpreisen, beispielsweise bedingt durch fehlende Transportkapazitäten beziehungsweise Lockdowns in den Erzeugerländern und stark gestiegene Rohwarenpreise bei Fleisch“.
Die Liste der Mogelpackung zählt inzwischen etwa 1.000 Einträge – viele davon nach Hinweisen aufmerksamer Verbraucher. Und sie wächst angesichts des aktuellen Preisdrucks im Handel deutlich schneller als sonst. Waren bislang vor allem Markenprodukte betroffen, nutzen Supermärkte und Discounter den Preistrick zunehmend auch für ihre Eigenmarken. „In den ersten sechs Monaten dieses Jahres stammte bereits jedes vierte Mogelprodukt von einer Eigenmarke“, so Valet. In den letzten Wochen seien sogar überwiegend Eigenmarken in die Liste aufgenommen worden.
Eine am 27. Mai in der Lebensmittelzeitung veröffentlichte stichprobenartige Untersuchung bestätigt diese Erkenntnis. Dabei zeigte sich, dass die Preise von Markenprodukten zurzeit nicht so stark steigen wie die von Eigenmarken des Handels. So kletterten zwischen Mitte März und Ende April bei 15 überprüften Lebensmitteln die Preise für Markenprodukte um durchschnittlich gut zwei Prozent. Bei den Produkten der Handelsmarken waren es hingegen 17 Prozent. Verbraucherschützer Valet sieht hier einen Trend, der vor allem Kundinnen und Kunden trifft, die aus finanziellen Gründen zu den preiswerteren No-Name-Produkten greifen. „Ein Garant für niedrige Preise sind diese Produkte nun wohl nicht mehr, auch wenn viele Supermärkte und Discounter damit werben“, sagt er. „Die für die Produktion der Handelsmarken gestiegenen Rohstoff- und Energiekosten sollen an die Kundschaft weitergegeben werden, ohne diese zu verprellen.“
Vier Beispiele für Shrinkflation
Dass der Einzelhandel stärker an den Preisen dreht, zeigt auch die deutlich gestiegene Anzahl an doppelten Preiserhöhungen auf der Mogelpackungsliste. Gemeint sind damit Produkte, bei denen nicht nur die Füllmenge reduziert, sondern zusätzlich der Preis vom Handel erhöht wurde. Betraf das in den letzten zwei Jahren durchschnittlich 18 Prozent der aufgenommenen Artikel, so sind es im ersten Halbjahr 2022 bereits rund 35 Prozent.
Ein Beispiel dafür ist Olivano’s Linsen-Bulgursalat Pikant von Netto Marken-Discount. Früher in einer 250-Gramm-Dose verkauft, sind seit Februar nur noch 200 Gramm Salat enthalten – die nun 99 statt 89 Cent kosten. Valet: „Die versteckte Preiserhöhung beträgt damit insgesamt 39 Prozent.“ Auf Anfrage der Verbraucherschützer weist Netto diesen Vorwurf zurück. Man habe die Kunden „transparent durch eine Anpassung der Grammaturangabe auf Verpackung sowie Preisschild informiert“. Der Verkaufspreis sei Ende März 2022 – bedingt durch die steigende Preisentwicklung – branchenkonform angepasst worden, was in keinem Zusammenhang mit der vorher erfolgten Grammaturumstellung stehe.
„Lange zeigten die Händler bei versteckten Preiserhöhungen mit dem Finger auf die Hersteller“, dazu Verbraucherschützer Valet, der Anbieter regelmäßig um Stellungnahmen zu verringerten Füllmengen bittet. „Doch was Verbraucher für ein Produkt bezahlen, dürfen laut Kartellrecht nur Supermärkte und Discounter festlegen.“ Hersteller könnten lediglich den Inhalt einer Packung verringern und eine unverbindliche Preisempfehlung geben. Die doppelte Preiserhöhung sei eine Win-win-Situation für beide – Lebensmittelindustrie und Einzelhandel.
Vor der Shrinkflation ist nicht mal mehr das Klopapier sicher. War es bisher beliebte Praxis, dass Hersteller die Anzahl der Blätter pro Rolle reduzierten, haben Kunden von Lidl jetzt einen besonderes dreisten Fall gemeldet. Bei der XXL-Aktionspackung Floralys Toilettenpapier blieb zwar die Blattzahl mit 200 Stück unverändert. Doch das einzelne Blatt ist im Vergleich zur Normalpackung von Floralys um etwa einen Zentimeter in der Höhe geschrumpft. Valet: „Das macht rund drei Meter weniger Papier – pro Rolle.“
- Liste der Mogelprodukte: www.vzhh.de/mogelpackungsliste