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Strom und Wärme fürs Dorf: "100 Prozent kohlendioxidfrei"

Vor fast zehn Jahren kaufte Andreas Reitmann das einstige Ebay-Dorf Liebon zwischen Bautzen und Kamenz. Er verwirklicht hier seinen großen Traum.

Von Tilo Berger
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Andreas Reitmann möchte aus dem Vierseithof von Liebon, das zwischen Bautzen und Kamenz liegt, einen Energie- und Erlebnishof machen, der sich vollständig selbst mit Energie versorgt.
Andreas Reitmann möchte aus dem Vierseithof von Liebon, das zwischen Bautzen und Kamenz liegt, einen Energie- und Erlebnishof machen, der sich vollständig selbst mit Energie versorgt. © Steffen Unger

Göda. Ein Gabelstapler mit Holzbalken surrt um die Ecke. Der Mann hinterm Lenkrad hat sich dick eingemummelt. Eisiger Wind faucht um den Vierseithof. Niemand würde jetzt bemerken, wenn sich der Fahrer ins Warme zurückzöge. Er wäre als Chef der Baustelle auch niemandem Rechenschaft schuldig.

Doch was macht er, kaum vom Stapler herabgestiegen? Er bahnt sich einen Weg zwischen gackernden Hühnern zum sonnigsten Flecken zwischen den vier alten Häusern, die alle zum Grundstück Liebon Nummer 1 gehören. Der Mann schaut zum Himmel und strahlt wie der Stern, der Licht und Wärme zur Erde schickt.

Die Sonne gehört zu den wichtigsten Verbündeten von Andreas Reitmann, der sich in dem Mini-Dorf, das zu Göda gehört, einen Lebenstraum verwirklicht. Bald ist es zehn Jahre her, dass der damalige Mittvierziger das als Ebay-Dorf bekanntgewordene Liebon, das zwischen Bautzen und Kamenz liegt, kaufte. Der vormalige Besitzer wollte den Vierseithof, Liebons einziges Grundstück, im Internet loswerden. Was erst lange nicht klappte - bis Andreas Reitmann zuschlug.

Ein Niedrigenergiehaus mit einem Mantel aus Holz

Der Mann mit Wurzeln im Rheinischen ist nach Liebon gekommen, um zu bleiben. Er möchte hier seinen Lebensabend verbringen, aber bis dahin hat er noch ganz viel vor. Er spricht von vier Phasen, in denen er aus dem Geviert uralter Häuser den Energie- und Erlebnishof Liebon machen möchte. Bis 2032 soll Phase vier Geschichte sein. Dann ist es genau 700 Jahre her, dass Liebon unter dem Namen Leuhobel zum ersten Mal urkundlich erwähnt wurde.

Phase eins hat Reitmann geschafft: das Wohnhaus. Wie es vor ein paar Jahren aussah, lässt sich mit Blick auf die anderen drei Gebäude leicht erahnen. Jetzt trägt das Niedrigenergiehaus einen Mantel aus Holz. Es gibt Wohnungen und Ferienwohnungen, hinter der schmucken Fassade leben inzwischen 20 Menschen, davon fünf Kinder. Eine Sechs-Zimmer-Wohnung wäre bald zu haben.

Das Dach und die Südseite des Wohnhauses sind fast vollständig bedeckt mit Fotovoltaik-Modulen. Sie fangen das Sonnenlicht ein, das eine Solaranlage in Strom und Wärme verwandelt. Eine große Batterie speichert den Strom für Zeiten, in denen die Sonne nicht scheint; ein 20.000-Liter-Pufferspeicher liefert für Wochen heißes Wasser für Heizung und Warmwasserversorgung.

Eine Stromtankstelle für alle

"Es ist meine Vision, dass wir uns mit Energie vollständig selbst versorgen", sagt der Mittfünfziger, der sich auch beruflich mit erneuerbaren Energien beschäftigt. "100 Prozent kohlendioxidfrei, wir verzichten auf die Verbrennung von Öl, Gas oder Holz.“

Fotovoltaik, Wärmepumpen, Heizstation - der Unternehmer will in dieser Hinsicht alles nutzen, was geht. Zum Beispiel eine Infrarot-Heizung. Sie soll die Sonne direkt in die Zimmer jenes Hauses leiten, das Andreas Reitmann sachlich Phase zwei nennt. Das Haus an der Nordseite des Vierseithofes bekommt keine Heißwasser-Heizung mehr, dafür Fotovoltaik auf dem Dach und an drei Seiten des Gebäudes. "Die Infrarot-Anlage wärmt nicht direkt die Luft, sondern Wände, Böden und Einrichtungsgestände. Die geben die Wärme dann kontinuierlich ab", erklärt der Bauherr.

Für diese Phase zwei ist die Ladung des Gabelstaplers gedacht. Von dem Haus steht nämlich nur noch die alte Hülle, aber auch die bekommt einen Mantel aus Holz. Der gleiche Baustoff bedeckt die Fußböden. Auf ihnen sollen einmal die Mieter von acht Ferienwohnungen laufen. Eigentlich wollte Andreas Reitmann mit dem Nordhaus in diesem Jahr fertigwerden. Doch im Frühjahr gab es im Handel plötzlich kein Holz mehr. Blech, Beton - alles wurde teurer. Jetzt hofft der Lieboner auf die Fertigstellung im kommenden Frühjahr.

Denn aufs Geld muss er schon schauen. Es dauerte einst lange, bis er eine Bank von seinem Lebenstraum überzeugen konnte. Das Geld für eine Stromtankstelle besorgte er sich über Crowdfunding, zu deutsch Schwarmfinanzierung, wofür es im Internet spezielle Plattformen gibt, um Geldgeber für bestimmte Vorhaben zu finden. Jetzt kann jedermann in Liebon sein Elektro-Auto aufladen. Natürlich nutzt auch Andreas Reitmann selbst Strom als Treibstoff für seinen Pkw. In den sieben Garagen für die Mieter befinden sich ebenfalls Schnelllade-Stationen.

Unverbauter Blick aus dem Lehmhaus

Reitmann öffnet eine Tür zwischen dem dritten und vierten Haus zur Wiese dahinter. Mittendrauf steht eine kleine Bühne für Veranstaltungen und Konzerte, die es eigentlich auch dieses Jahr hätte geben sollen. Corona machte einen Strich durch die Rechnung.

Mit einem vielstimmigen "Mäh" kommen neugierige Kamerunschafe angelaufen. Auch sie gehören Andreas Reitmann, sie sollen das Gras kurz halten. "Phase drei", sagt er schmunzelnd und deutet auf das längste der vier Gebäude. Die Bruchsteine, aus denen es einst gebaut wurde, sollen bleiben. Die Fugen dazwischen will der Bauherr mit Lehm verputzen lassen. "Es gibt in der Oberlausitz guten Lehm, und es gibt Firmen, die damit umgehen können. Ein Großteil soll in Stampflehmbauweise gebaut werden, es gibt Lehmhäuser, die stehen seit tausend Jahren. Und werden sie irgendwann mal abgerissen, bleibt null Sondermüll zurück."

Auf der Wiesenseite soll das dritte Haus zudem einen flachen Anbau bekommen, darauf ein begrüntes Flachdach. Wer in ein paar Jahren in den etwa 15 Ferienwohnungen urlaubt, die Andreas Reitmann in diesem Haus und dem Flachbau plant, kann einen unverbauten Blick in Richtung Oberlausitzer Bergland genießen. Die Planungen starten im nächsten Jahr.

Das vierte und letzte Gebäude soll vom Aufbau her ähnlich werden, aber dazu gibt es noch keine Details. Aber 2032, dabei bleibt Andreas Reitmann, soll der Energie- und Erlebnishof fertig sein.

Liebon im Schnee - so malte die Künstlerin Marina Chekalina aus St. Petersburg das kleine Dorf mit Öl auf Leinwand. Die Kunstmalerin kommt regelmäßig auf den Energiehof, wo sie Inspiration für ihre Gemälde findet. So sind schon verschiedene Bilder von ihr
Liebon im Schnee - so malte die Künstlerin Marina Chekalina aus St. Petersburg das kleine Dorf mit Öl auf Leinwand. Die Kunstmalerin kommt regelmäßig auf den Energiehof, wo sie Inspiration für ihre Gemälde findet. So sind schon verschiedene Bilder von ihr © Marina Chekalina