Dresden. Nach dem Europäischen Parlament hat am Dienstag auch der EU-Ministerrat das Europäische Chip-Gesetz gebilligt. Das ist der letzte Schritt in der Beschlussfassung. Damit können 43 Milliarden Euro aus staatlichen und privaten Mitteln fließen, um den Weltmarktanteil der Fabriken in der Europäischen Union an der Mikrochip-Produktion möglichst auf 20 Prozent bis 2030 zu verdoppeln. Infineon Dresden hat bereits eine Zusage für Subventionen zum Ausbau der Fabrik und schafft 1.000 zusätzliche Arbeitsplätze.
Der spanische Industrieminister Héctor Gómez Hernández sagte, mit dem Chip-Gesetz werde Europa eine Spitzenposition im weltweiten Halbleiterwettlauf einnehmen. Schon seien Ergebnisse zu sehen: neue Produktionsanlagen, neue Investitionen, neue Forschungsprojekte. Langfristig werde dies auch "zum Wiedererstarken unserer Industrie und zur Verringerung unserer Abhängigkeiten vom Ausland beitragen". Mikrochips werden hauptsächlich in Asien hergestellt, auch die USA fördern die Branche derzeit stark. Direkt aus dem EU-Haushalt sollen nun 3,3 Milliarden Euro fließen, die einzelnen Staaten subventionieren die Fabriken selbst.
Der Ministerrat teilte mit, derzeit sei Europa zu sehr von im Ausland hergestellten Chips abhängig, was während der Corona-Krise umso deutlicher zutage getreten sei: Die Industrie und andere "strategische Sektoren wie Gesundheit, Verteidigung und Energie" waren mit Versorgungsunterbrechungen und -engpässen konfrontiert. Zeitweise standen Autofabriken still, weil die Halbleiter fehlten. In neuen Autos stecken immer mehr Chips, oft mit Sensoren gekoppelt. Dazu tragen auch die Dresdner Mikrochipfabriken von Infineon, Globalfoundries, Bosch und X-Fab bei.
Kretschmer: Europäische Halbleiterallianz geplant
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) nannte das Gesetz einen bedeutenden Schritt zur Steigerung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit. Im September werde zudem eine Europäische Halbleiterallianz (Esra) gegründet, initiiert vom Freistaat Sachsen. Sie werde die wirtschaftliche und wissenschaftliche Zusammenarbeit vorantreiben, sagte Kretschmer.
Sachsens Regionalentwicklungsminister Thomas Schmidt (CDU) zeigte sich "überzeugt, dass die Stärkung dieser Schlüsseltechnologie die Basis dafür ist, dass unsere Wirtschaftsstandorte wettbewerbsfähig bleiben". Schmidt hatte als Berichterstatter im Ausschuss der Regionen am Gesetz mitgewirkt. Auch der Branchenverband Silicon Saxony e. V. in Dresden war beratend einbezogen. Schmidt sagte, der Chips Act könne nur ein erster Schritt sein. Das Gesetz müsse "immer wieder hinterfragt und neuen Entwicklungen angepasst werden". Die Branche brauche nicht nur Subventionen, in Europa müssten auch "regulatorische Wettbewerbsnachteile" abgebaut werden.
Mikrochip-Hersteller TSMC verschiebt Start in den USA
Infineon bekommt voraussichtlich eine Milliarde Euro Zuschuss aus dem deutschen Bundeshaushalt zu seinen fünf Milliarden Euro Ausgaben für den Neubau und die Maschinen. Neben der bestehenden Fabrik im Dresdner Norden ist bereits eine Großbaustelle entstanden. Von der Milliardensubvention sollen drei Viertel nach dem Chip-Gesetz bezahlt werden, ein Viertel aus einem anderen Förderprogramm namens Ipcei, das auch anderen Unternehmen in Sachsen zugutekommt.
Sachsen macht sich auch Hoffnung auf die Ansiedlung der ersten europäischen Mikrochipfabrik des Konzerns TSMC aus Taiwan. Die Entscheidung über die Investition in Europa soll voraussichtlich im August in Hsinchu fallen. TSMC hat allerdings vorige Woche angekündigt, der Produktionsbeginn seiner neuen Fabrik im US-Bundesstaat Arizona verschiebe sich auf 2025 - wegen des Mangels an qualifizierten Arbeitskräften. Zudem geht der Konzernumsatz stärker zurück als bisher erwartet, weil die Nachfrage nach Smartphones und Computern sinkt.
Globalfoundries besorgt wegen Staatshilfe für TSMC
Konkurrent Globalfoundries scheint unterdessen zu fürchten, dass TSMC zu stark vom Europäischen Chip-Gesetz profitieren könnte. Globalfoundries-Chef Thomas Caulfield sagte der Financial Times laut deren Bericht vom Dienstag, er begrüße zwar Wettbewerb. Doch die erwarteten Zuschüsse vom deutschen Staat für die erwartete TSMC-Chipfabrik könnten den Wettbewerb aushebeln. Caulfield sagte, falls ein dominanter Spieler in der Branche überproportional gefördert werde, könne das zu Abhängigkeiten von einem einzelnen Hersteller führen - und damit erneut zu anfälligen Lieferketten.
TSMC und Globalfoundries arbeiten beide als "Foundries": Sie stellen Mikrochips ausschließlich im Auftrag anderer Elektronikkonzerne her, die sie in deren Produkte einbauen. Globalfoundries beschäftigt in Dresden rund 3.200 Menschen, verlagert gerade eine Abteilung von dort nach Portugal und investiert auch in Frankreich. Ein Regierungssprecher sagte der Financial Times, Globalfoundries profitiere von Subventionen aus dem Ipcei-Programm. Aus dessen erster Runde habe der Konzern etwa 400 Millionen Euro bekomme und könne auch künftig Förderung aus diesem Programm erwarten.
Nach der Mikrochip-Industrie verlangen auch die Hersteller von Fotovoltaik-Technik mehr Zuwendung vom Staat. Am Montag hatte der Schweizer Konzern Meyer Burger mit Fabriken in Sachsen und Sachsen-Anhalt angekündigt, ein neues Werk in den USA zu bauen und dorthin Maschinen umzulenken, die ursprünglich zum Ausbau der Solarzellenfabrik in Bitterfeld-Thalheim dienen sollten.