SZ + Wirtschaft
Merken

Wie das Lieferkettengesetz auch kleine Unternehmen in Sachsen trifft

Mit dem Lieferkettengesetz sollen große Unternehmen zur Achtung von Menschenrechten und Nachhaltigkeit verpflichtet werden. Doch die geben die Aufgaben häufig an ihre Zulieferer weiter. Zwei kleine Unternehmen aus Sachsen berichten.

Von Connor Endt
 4 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Barbara Flachs Unternehmen ist vom Lieferkettengesetz betroffen - sie beschäftigt zehn Mitarbeiter.
Barbara Flachs Unternehmen ist vom Lieferkettengesetz betroffen - sie beschäftigt zehn Mitarbeiter. © ronaldbonss.com

Es ist Anfang 2023, als Barbara Flach einen besonderen Brief bekommt. Es ist ein Fragebogen von einem Großkunden, den Flachs Unternehmen ALF MedTech aus Radebeul regelmäßig mit Medizinprodukten beliefert. Viele Fragen soll Flach beantworten. Hat ihr Unternehmen einen Menschenrechtsbeauftragten? Haben sie und ihre Mitarbeiter eine Grundsatzerklärung abgegeben? Und: Kennt sie eigentlich die genauen Wege ihrer Lieferanten?

Der Fragebogen ist teil des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, in der Umgangssprache eher als Lieferkettengesetz bekannt. Das Gesetz trat am ersten Januar 2023 in Kraft und verpflichtet Unternehmen zur Achtung von Menschenrechten und nachhaltigem Wirtschaften. Eigentlich gilt das Gesetz für Firmen, die mindestens 3.000 Mitarbeiter beschäftigen. Doch die Realität sieht anders aus.

Kleine Unternehmen sind auch vom Gesetz betroffen

"Wir waren überrascht, weil wir dachten, das ist für uns irrelevant", sagt Flach. "Hier arbeiten weniger als zehn Menschen." Was sie zu dem Zeitpunkt nicht weiß: Viele große Unternehmen geben Anforderungen aus dem Lieferkettengesetz an ihre Zulieferer weiter. So lief es auch bei ALF MedTech. Gut drei Wochen hat Barbara Flach Zeit, um alle Fragen zu beantworten.

Sie liest sich in das Thema ein und bittet dann die Industrie- und Handelskammer (IHK) um Hilfe. Von der IHK bekommt sie Dokumente und Links zugeschickt. "Das hat sehr gut funktioniert", sagt Flach.

Der Nachweis der Lieferketten fällt dem Unternehmen aus Radebeul einfach, weil es nur vier Zulieferer hat. "Wir haben darauf geachtet, dass unsere Zulieferer verschiedene ISO-Zertifikate, zum Beispiel im Bereich Umweltmanagement, erfüllen und ihre Produktionsbedingungen transparent machen", sagt Flach. Drei Zulieferer sitzen in Europa, einer in Kanada. Erleichternd kommt hinzu, dass die Produktpalette von Alf MedTech überschaubar ist: Eine Handvoll Produkte bieten die Radebeuler an, etwa Desinfektionssysteme und Luftreiniger.

Bürokratie und Zeitdruck: Unternehmen kritisieren das Lieferkettengesetz

Auch Michael Jursch, Geschäftsführer von STEMA Metalleichtbau aus Großenhain, kritisiert das Lieferkettengesetz.
Auch Michael Jursch, Geschäftsführer von STEMA Metalleichtbau aus Großenhain, kritisiert das Lieferkettengesetz. © Stema

Bis zur Deadline gelingt es Alf MedTech, alle Anforderungen zu erfüllen. Grundsätzlich stehe sie hinter der Idee des Lieferkettengesetzes, so Flach. "Für kleine und mittlere Unternehmen ist es aber eine große Herausforderung, diese ganzen Informationen zu beschaffen."

Mit diesen Bedenken ist die Unternehmerin nicht allein. "Das Ziel des Gesetzes ist aus meiner Sicht vollkommen in Ordnung", sagt Michael Jursch, Geschäftsführer von STEMA Metallleichtbau in Großenhain. "Aber die handwerkliche Ausführung ist miserabel." Die Bedenken sächsischer Unternehmen, die über die IHK Dresden nach Berlin gebracht wurden, seien "wieder einmal unbeachtet" geblieben.

Genau wie Alf MedTech spürt das Großenhainer Unternehmen die Auswirkungen des Gesetzes bereits seit Jahresanfang. "Wir als Firma haben große Handelsketten als Kunden, die von mir schon kurz nach Inkrafttreten des Gesetzes verlangten, ich solle unterschreiben, dass meine Kette in Ordnung ist und ich alle Gesetzesvorschriften einhalte", so Jursch. "Wie soll ich aber prüfen, ob die Unterlegscheiben für unsere Produkte nicht in Kinderarbeit in Fernost hergestellt worden sind?" Für den Unternehmer ein Dilemma, das ihn möglicherweise sogar Geschäftspartner kosten könnte. "Unterschreibe ich nicht, wird mir bei der Auftragsvergabe angedroht, dies bei der Ausschreibung negativ zu berücksichtigen“, sagt Jursch. Für ihn und sein Unternehmen sei das „eine unmögliche Situation und noch dazu ein weiterer Bürokratie auf- statt -abbau“.

Auch die IHK Dresden bemängelt das Gesetz. "Manch einer weiß gar nicht, wo er anfangen soll, besonders, wenn es im Unternehmen wenige Erfahrungswerte oder methodisches Wissen in Bezug auf Nachhaltigkeitsfragen gibt", sagt Maximilian Meinert, stellvertretender Geschäftsführer für Standortpolitik und Kommunikation. Zudem gebe es aktuell keine Standards, Unternehmen seien mit "sehr unterschiedlichen Fragebögen und Auditformen konfrontiert".

Helpdesk in Berlin: 900 Beratungen in neun Monaten

Neben der IHK bietet auch der Helpdesk Wirtschaft und Menschenrechte kleineren Unternehmen individuell zugeschnittene Unterstützung an. „Wir sind seit Anfang des Jahres bei 900 Beratungen, insbesondere der Mittelstand meldet sich bei uns,“ sagt Katharina Hermann, die den Helpdesk leitet. Ein Großteil der Anfragen drehe sich um das Lieferkettengesetz. 14 Mitarbeitende und externe Berater helfen Unternehmen direkt von Berlin aus oder vor Ort, bieten Schulungen an und erarbeiten Online-Angebote. Das Angebot wird von der Bundesregierung gefördert, alle Angebote sind kostenfrei.

Der „KMU Kompass“ richtet sich explizit an kleine und mittelständische Unternehmen. Unternehmer können sich online durch ein Fragensystem klicken und bekommen Hilfe zur Umsetzung von Nachhaltigkeitsanforderungen. Zahlreiche Tipps und Leitfäden sind verlinkt, etwa eine Anleitung, wie ein Unternehmen eine Grundsatzerklärung formulieren kann. Mit dem Standards-Kompass ist es zudem möglich, Siegel und Initiativen zu analysieren und zu vergleichen.

"Ich finde es gut, dass wir uns mal mit diesen ganzen Fragestellungen beschäftigt haben", sagt Barbara Flach. "Wenn nicht direkt eine Notwendigkeit besteht sind das Themen, die man gerne mal wegschiebt."