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"Die meisten wissen gar nicht mehr, was wir für gute Rohstoffe im Erzgebirge haben"

In den Weltkriegen war Lithium aus Zinnwald gefragt. Mit dem Ende der DDR endete abrupt die Erkundung von Rohstoff-Lagerstätten. Zu voreilig?

Von Franz Herz
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Wolfgang Schilka sitzt hier über alten Karten mit Ergebnissen aus früheren Erkundungen nach Zinn, Lithium und vielen andere Rohstoffen.
Wolfgang Schilka sitzt hier über alten Karten mit Ergebnissen aus früheren Erkundungen nach Zinn, Lithium und vielen andere Rohstoffen. © Egbert Kamprath

In der Bergbaugeschichte der letzten 100 Jahre im Erzgebirge wurden viele Erkenntnisse gesammelt. Sächsische.de sprach mit dem Geologen Professor Wolfgang Schilka darüber, was an Wissen noch oder schon vorhanden ist.

Herr Schilka, immer wieder beziehen sich die Mitarbeiter der Deutsche Lithium bei ihren Erkundungen auf Unterlagen aus DDR-Zeiten. Worum handelt es sich dabei?

Mitte der 1980er-Jahre begann eine groß angelegte Erkundung in der DDR. Sie war aber nicht angelegt auf Lithium, weil Lithium zu dem Zeitpunkt keine Rolle mehr gespielt hat. Lithium wurde ja eingesetzt in der Zeit des Zweiten Weltkrieges vor allen Dingen für Schweißelektroden im U-Boot-Bau, zum Teil auch im Flugzeugbau. Nachdem die DDR Anfang der 1960er-Jahre festgelegt hatte, wir bauen keine Flugzeuge mehr, verschwand Lithium aus dem Fokus.

Wann hat denn das Interesse an Lithium eingesetzt?

Im Ersten Weltkrieg hat man begonnen, Glimmer systematisch mittels Magnetscheidung aus Resten der Zinnaufbereitung zu gewinnen. Von da an hat man sich für das Lithium ganz stark interessiert. Als 1924 der Zinnbergbau in Konkurs gegangen war, ist die Lithiumproduktion weitergelaufen. Glimmer ist in der Aufbereitung des Stahlwerkes Becker in Zinnwald weiter gewonnen worden. Dort gab es selbst in der Krise Ende der 1920er-Jahre eine kleine Lithiumproduktion aus Haldensanden. Das lief nicht mehr untertägig, aber was an der Oberfläche lag, hat man weiter verarbeitet. Das Stahlwerk Becker hatte ursprünglich in Zinnwald Wolfram als Zuschlagstoff für die Stahlherstellung erzeugt. Das spielte aber nach dem Krieg keine Rolle mehr.

Historisches Gemäuer: Heute noch steht das Gebäude der ehemaligen Stahlwerk Becker AG in Zinnwald. Das Unternehmen hatte dort einst mit der systematischen Gewinnung von Lithiumglimmer begonnen.
Historisches Gemäuer: Heute noch steht das Gebäude der ehemaligen Stahlwerk Becker AG in Zinnwald. Das Unternehmen hatte dort einst mit der systematischen Gewinnung von Lithiumglimmer begonnen. © Egbert Kamprath

Was war mit dem Rohstoff Lithium?

Das spielte weiter eine Rolle. Diese Produktion wurde im Zweiten Weltkrieg richtig straff hochgefahren. Es entstanden zwei neue Aufbereitungen zusätzlich zu der ehemaligen des Stahlwerkes Becker. Ende der 1930er-, Anfang der 1940er-Jahre hat die Metallgesellschaft da, wo heute das Waldhotel ist in Geising, eine neue Aufbereitung gebaut, eine richtig gute Flotationsanlage. Die existierte bis 1945 und ist dann von den Russen demontiert worden. Diese Anlage hat auch untertägiges Erz verarbeitet.

Zusätzlich hat die Gewerkschaft Zinnwalder Bergbau, die eigentlich Zinn-Wolfram abbauen sollte, dann oben am Militärschacht (in Böhmisch-Zinnwald) ebenfalls mit einer Flotation Lithium-Produkte gewonnen. Ende des Zweiten Weltkrieges haben also drei Lithium-Aufbereitungen in Zinnwald gearbeitet.

Und nach dem Zweiten Weltkrieg?

1945 wurde die Lagerstätte geteilt. Von tschechischer Seite hat man sich für das Lithium gar nicht mehr interessiert, aber auf deutscher Seite schon noch. Man hat 1954/55 eine untertägige Bohrkampagne gemacht mit zehn Bohrungen. Die Ergebnisse waren eigentlich recht optimistisch. Damals schon gab es also Erkenntnisse, dass in Zinnwald ausreichende Lithiummengen vorhanden wären für eine Produktion. Dann kam relativ überraschend das Aus, weil einfach die Bedingungen nicht mehr da waren, das in der DDR zu verarbeiten. Das Material ist in der Nähe von Goslar in Langelsheim im Westharz weiterverarbeitet worden, also in Niedersachsen. Die haben sich dann später aus anderen Ländern mit Material versorgt. Die DDR hatte keine Hütte mehr, wo sie das hätten aufarbeiten können. Damit hörten die Erkundungen auf Lithium auf.

Aber es wurde dann doch weiter erkundet?

Ja, aber mit dem Fokus auf Zinn. In zwei Phasen wurde Zinn erkundet, einmal schon Mitte der 1960er-Jahre, aber nur sporadisch um festzustellen, wie gut die vorhandenen Lagerstätten im Erzgebirge denn sind. Die Ergebnisse haben wirklich nur bestätigt: Ja wir haben im Erzgebirge genügend Zinnlagerstätten in Ehrenfriedersdorf, Gottesberg, Mühlleiten und Altenberg. Ernst wurde es, weil es wegen eines Embargos immer schwieriger wurde, auf dem Weltmarkt gewisse Metalle zu bekommen. Da hatte man beschlossen, Zinn und Aluminium aus eigenen Rohstoffen in der DDR herzustellen. Das ist bei Zinn gelungen. Die DDR hat sich mit den Lagerstätten Altenberg und Ehrenfriedersdorf selbst versorgt. Da hat man dann begonnen, großflächig weitere Lagerstätten zu erkunden.

Kam da Lithium wieder in den Fokus?

Nein, ausschließlich Zinn mit eventuellen Nebenprodukten. Lithium spielte zu dem Zeitpunkt nicht die entscheidende Rolle. Es wurden aber sporadisch Lithium-Analysen gemacht, die ich auch jetzt gut verwenden konnte für die Voreinschätzung der Vorkommen in Sadisdorf, Schenkenshöhe und Hegelshöhe bei Falkenhain und Sachsenhöhe bei Bärenstein, wo ebenfalls noch Lithiumvorkommen sind, aber beschränkter im Vergleich zu Zinnwald.

Wo wurde in den 1980er-Jahren erkundet?

Alle potenziellen Lagerstätten im ganzen Erzgebirge wurden betrachtet. Der Schwerpunkt lag aber im Osterzgebirge. Hier wurden Bohrungen im Bereich der Sachsenhöhe, der Hegelshöhe, der Schenkenshöhe und Sadisdorf gemacht. Sadisdorf war der Schwerpunkt, weil davon wusste man am meisten. 1979 haben wir Altenberger Geologen, damals so halb illegal kann man sagen, den Kupfergrübner Stollen aufgemacht und von dort an schon immer Erkundungsarbeiten untertägig durchgeführt. Dort sind über 20 Bohrungen gemacht worden, wobei aber nicht alle geplanten gemacht werden konnten.

Warum nicht?

Vorher kam das Ende der DDR. Damit sind wir an dem Knackpunkt. Es gibt nur Abbruch-Dokumentationen und keine Abschluss-Dokumentation dieser ganzen Arbeiten. Irgendwo mittendrin wurden die beendet. Die Mitarbeiter mussten aufhören zu arbeiten, wurden teilweise entlassen. Es hat sich damals keiner Gedanken gemacht: Was ist denn mit diesen eigentlich wertvollen Unterlagen machbar?

Aber heute wird doch daran angeknüpft.

Wir haben uns im Geo-Kompetenzzentrum in Freiberg gesagt, wir müssen jetzt was unternehmen und einen Steckbriefkatalog mit Förderung des sächsischen Wirtschaftsministeriums erarbeitet. Dort sind alle bekannten sächsischen Lagerstätten erfasst und eingeordnet nach dem Stand der Erkundungen. Interessant wurde das Ganze in den 2000er-Jahren, weil die Rohstoff-Preise so explodiert sind. Die meisten Leute wissen gar nicht mehr, was wir eigentlich für gute Rohstoffe hier im Erzgebirge haben. Das gilt bundesweit. Die Schließung in den 1960er-Jahren sind im Emsland passiert, im Schwarzwald, im Rheinischen Schiefergebirge. Auch dort gibt es genügend Lagerstätten, die aus heutiger Sicht rentabel zu betreiben wären. Ich habe den Studenten in meinen Vorlesungen erklärt: Wir sind kein rohstoffarmes Land, sondern wir haben einfach nur vergessen, dass wir Rohstoffe haben in Deutschland. Außer Sachsen, wo es eine Rohstoffinitiative gibt, fühlt sich kein anderes Bundesland für seine Rohstoffe verantwortlich.

Hat die Erkundung nur die schon benannten Orte erfasst?

Nein, das war flächendeckend. Es sind auch Untersuchungen gelaufen im Raum Niederpöbel, allerdings von der Wismut und auch nicht auf der Suche nach Zinn, sondern auf der Suche nach Uran mit einigen Nebeneffekten. Die haben in erster Linie Buntmetalle gefunden.

Die Deutsche Lithium hat ja neben der Bergbaulizenz für Zinnwald auch noch eine Erkundungslizenz für den ganzen Raum Altenberg. Spekulieren die darauf, dort noch mehr zu finden?

Die werden finden. Ich habe eine Vorschau gemacht für die Deutsche Lithium, bevor die sich um diese Erkundungsgebiete beworben haben, und aus den DDR-Ergebnissen alles aufgelistet, was an Lithium bekannt war. Da sind noch mehrere 10.000 Tonnen Lithium vorhanden. Es ist nicht ausgeschlossen, dass man auch noch andere Lithiumvorräte im Bereich des Schellerhauer Granits findet.

Wurde nur das obere Gebirge untersucht?

Das gesamte Osterzgebirge ist flächenhaft mit einer geochemischen Prospektion des Oberbodens überzogen worden.

Wie kann man sich so eine Prospektion vorstellen?

Alle 200 Meter ist eine Bohrung bis auf den anstehenden Fels gemacht worden. Ein bis zwei Meter tief, wie weit man eben mit der Hand reinkam. Dieses Material wurde untersucht. In speziellen Fällen wurde auch Festgestein analysiert, aber nicht flächendeckend. Zinn, Wolfram, Lithium, Fluor, alles, was man hier erwarten kann, ist damals untersucht worden, natürlich auch Uran und Thorium. Das hat aber die Wismut alleine gemacht.

Sind die Resultate noch vorhanden?

Die ganzen Bohrergebnisse liegen im Bohrkernlager in Großschirma. Es sind aus DDR-Zeiten viele Bohrkerne erhalten. Leider hat man aber 1991/92, nach der politischen Wende, viele Bohrkerne verkippt und nur gewisse Teile aufgehoben. Da ist einiges verloren gegangen. Wichtige Partien sind aber noch vorhanden.

Die Untersuchungsergebnisse liegen alle im Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie (LFULG). Was vor 1945 gemacht wurde, liegt im Bergarchiv in Freiberg. Die Unterlagen des LFULG sind seit Dezember 2022 öffentlich zugänglich unter https://www.digas.sachsen.de. Alle diese Unterlagen sind digitalisiert vorhanden, man muss nur die Zeit aufbringen und sich die ansehen. Dort sind auch alle die Abbruchberichte der Erkundung aus den 1980er-Jahren zu finden. Hinten steht dort immer: Das und das hätte noch gemacht werden müssen. Dies ist hilfreich für jemand, der dort weiterarbeiten will.

Das Problem bei dieser Erkundung ist, dass in manchen Lagerstätten nur ein, zwei Bohrungen stecken. Das ist zu wenig. Da müsste jemand noch mehrere Bohrungen machen. Das ist der Knackpunkt. Da will keiner ran. Die DDR hat als Staat erkundet, andere Länder machen das auch. Es gibt bei uns aber keinen Suchfonds mehr. Das hatte die Bundesrepublik in den 1970er-, 80er-Jahren noch.

Wie lange war die Erkundung eigentlich geplant?

Sie wäre ohne Abbruch bis 1992/93 gegangen. Ich weiß aber nicht, wie die Wismut sich verhalten hätte. Aber ab Mitte der 1980er-Jahre war die Wismut auch zugänglicher und hat all die Rohstoffe, die nicht radioaktiv waren, weitergemeldet an das Ministerium für Geologie.

Zur Person: Kenner der Geologie des Osterzgebirges

Prof. Dr. Wolfgang Schilka ist 71 Jahre alt, stammt aus Cottbus, hat Geologie studiert und in Freiberg seine Dissertation zur Geologie von Altenberg geschrieben. Er hat dann drei Jahre im Braunkohlentagebau gearbeitet, ehe er nach Altenberg wechselte. Hier arbeitete er 15 Jahre bei Zinnerz Altenberg, als Geologe, Werkdirektor und nach der Wende als Geschäftsführer bis 1992. Anschließend war er bei Geomin 15 Jahre lang für die Marmorgewinnung verantwortlich und fünf Jahre war er bei den Erzgebirgischen Fluss- und Schwerspatwerken in Niederschlag tätig. 20 Jahre lang lehrte er als Honorarprofessor an der Universität Marburg Lagerstättenkunde. Als Hobby geht er mit seiner Frau Sabine auf die Jagd.