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Ostdeutsche Landwirtschaft: "Bauernland wird Bankenland"

Ackerland wird mehr und mehr zur Spekulationsware. Dagegen soll das Agrarstrukturgesetz helfen. In Sachsen scheitert es aber an der CDU. Ein früherer CDU-Landwirtschaftsminister kritisiert sie dafür und erklärt die Hintergründe.

Von Luisa Zenker
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Steigende Lebensmittelpreise, demonstrierende Bauern, spekulierende Banken - die Agrarwelt scheint aus den Fugen zu geraten
Steigende Lebensmittelpreise, demonstrierende Bauern, spekulierende Banken - die Agrarwelt scheint aus den Fugen zu geraten © dpa

Herr Aeikens, der Job als Landwirt klingt attraktiv: familienfreundlich, naturnah, abwechslungsreich, systemrelevant. Warum sind die Landwirte trotzdem unzufrieden?

Das hat mit fehlender Anerkennung zu tun. Und mit der Bürokratie. Die hat sehr stark zugenommen. Zudem kommt in vielen Betrieben die ökonomische Lage hinzu, sie war in den letzten zwei Jahren im Durchschnitt gut, aber die Dürrejahre davor haben den Bauern zu schaffen gemacht. Es hat auch mit den Vorwürfen zu tun, dass die Landwirtschaft nicht umweltgerecht und tierwohlgerecht wirtschaftet.

Das ist auch gerechtfertigt. Die Landwirtschaft trägt zum Artensterben, zur Grundwasserverschmutzung und zum Klimawandel bei. Wissenschaftlich steht fest, dass sich in der Landwirtschaft vieles grundlegend ändern muss.

Es stimmt: Das Papier der Zukunftskommission von 2021 zeigt, dass die Landwirtschaft, so wie sie heute betrieben wird, auch negative Umweltwirkungen hat. Dieses Papier ist mit Zustimmung der landwirtschaftlichen Organisationen verabschiedet worden. Da gibt es einen Konsens zwischen der Wissenschaft, Agrar- und Umweltvertretern. Die Landwirte können wissenschaftliche Feststellungen nicht ignorieren. Die Gesellschaft wird das auf Dauer nicht hinnehmen. Sie verlangt eine tierwohl- und umweltgerechte Landwirtschaft. Um die Wirtschaftsweise aber entsprechend zu verändern, brauchen wir laut der Zukunftskommission jährlich zusätzlich sieben bis 11 Milliarden Euro an Finanzmitteln.

Die Landwirtschaft hat also die Erwartung, dass sie mehr Geld bekommt für die Ansprüche, die man an sie stellt

Ja, die Zukunftskommission hat mit ihrem Papier Erwartungen geweckt, aber nun wollte die Bundesregierung mal eben eine Milliarde beim Agrardiesel und bei der Kfz-Steuerbefreiung kürzen. Das hat das Fass zum Überlaufen gebracht.

Subventionen sind zurzeit eher Mangelware. Aber auch wir als Verbraucher könnten mehr bezahlen.

Die Frage ist, wenn wir mehr für eine Mehltüte oder eine Packung Milch zahlen, kommt das auch beim Bauern an, oder bleibt es zwischen dem Laden und dem Bauern irgendwo hängen. Das Zweite ist: Es gibt eine Lücke zwischen dem, was der Konsument sagt, und dem, was er tut. Vor dem Supermarkt sind fast alle bereit, mehr Geld für höhere Standards auszugeben. Im Einkaufskorb liegt dann häufig das Billigste. Der Deutsche hat bestimmte Konsumgewohnheiten, die ihn von den Bürgerinnen und Bürgern der meisten EU-Staaten unterscheidet. Wir neigen nun mal zum größeren Auto und geben vergleichsweise wenig für Lebensmittel aus.

In Sachsen wird derzeit über das Agrarstrukturgesetz diskutiert.

Das derzeitige Bodenrecht privilegiert Anteilskäufe, sogenannte Share Deals, gegenüber normalen Flächenkäufen. Das hat gerade in den neuen Bundesländern zu Holding-Strukturen geführt mit Unternehmen, die zum Teil über 10 000 ha bewirtschaften. Sie gehören häufig Familien, die bisher nichts mit Landwirtschaft zu tun hatten. Diese Holding-Strukturen wachsen schneller als normale Betriebe, auch wegen der dahinterstehenden Finanzkraft.

Hermann Onko Aeikens, ehemaliger Staatssekretär im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft sowie Landwirtschaftsminister von Sachsen-Anhalt
Hermann Onko Aeikens, ehemaliger Staatssekretär im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft sowie Landwirtschaftsminister von Sachsen-Anhalt © BMEL

Wie funktionieren Holdingstrukturen?

Das sind komplizierte Geflechte, die sich in der Regel über verschiedene Standorte und Produktionsbereiche erstrecken. Die Inhaber leben meistens nicht auf dem Land, sondern in Großstädten. Dorthin werden dann Gewinne transferiert und Steuern bezahlt, nicht wie bei herkömmlichen Landwirten, die ihr Geld vor Ort ausgeben und Steuern an das Finanzamt in der Kreisstadt zahlen. Ein Beispiel aus Thüringen: eine Stiftung der Familie Albrecht, bekannt durch die Aldi Märkte, hat einen sehr großen landwirtschaftlichen Betrieb vom früheren Vizepräsidenten des Bauernverbandes erworben. In Brandenburg hat kürzlich ein Wohnungsbaukonzern, als Konkurrent zu einem einheimischen Landwirt, einen großen landwirtschaftlichen Betrieb erworben. Sogar Kreditinstitute kaufen inzwischen Betriebe, Bauernland wird Bankenland. Ich glaube nicht, dass die Gesellschaft diese Art der Landwirtschaft will.

Würde das sächsische Agrarstrukturgesetz helfen?

Ich meine ja, der sächsische Entwurf wird von vielen Fachleuten gelobt, da und dort muss vielleicht noch einmal Hand angelegt werden.

In Sachsen scheitert es aber momentan an der politischen Lage. Die CDU lehnt es ab.

Nach meiner Erfahrung sind die dagegen, die das Thema nicht verstanden haben, oder sie verdienen an den Umständen, die der Reform bedürfen.

Würden Sie sagen, dass die Landwirtschaft in Ostdeutschland in zu wenig Händen liegt?

Mehr Betriebe täten dem Wirtschaftsleben in den Dörfern gut. Ein Beispiel ist die KTG Agrar, ein Unternehmen, das ein Bayer aufgebaut hat. Er hat es geschafft in Ostdeutschland ca. 30.000 Hektar und im Baltikum ca. 10.000 ha zu bewirtschaften. Dann wurde das Unternehmen insolvent. Die Münchner Rückversicherung hat eine vierstellige Hektarzahl ins Eigentum übernommen, ein Großteil des deutschen Agrarbestandes ist an die Stiftung eines Bremer Bauunternehmers gegangen. Inzwischen fand ein Weiterverkauf an einen Investmentfonds statt. Sind das Entwicklungen, die gut sind für den ländlichen Raum? Wer denkt zum Beispiel an die Verpächter, die aufgrund dieser Geschäfte laufend mit neuen Eigentümern und Bewirtschaftern konfrontiert werden?

Wann sind Sie, aber auch die Landwirte zufrieden?

Die Politik muss verlässlicher werden: Wenn man dem Landwirt sagt, wenn du einen Stall nach bestimmten Kriterien baust, dann lassen wir dich 20 Jahre in Ruhe. Es braucht mehr Anerkennung für unsere Landwirte, und vor allem weniger Bürokratie.

Das Interview führte Luisa Zenker

Der aus einer nordfriesischen Landwirtschaftsfamilie stammende Hermann Onko Aiekens war von 2009 bis 2016 Landwirtschaftsminister von Sachsen-Anhalt, zwischen 2016 und 2019 arbeitete der Agronom und CDU-Politiker als Staatssekretär im Bundesministerium für Landwirtschaft. 2023 veröffentlichte er das Buch: „Unsere Landwirtschaft besser verstehen“