Leben und Stil
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Mit dem Ranger auf Tour in Deutschlands größtem Laubwald

Der Hainich ist Thüringens einziger Nationalpark und Unesco-Welterbe. Eine Erkundungstour in luftiger Höhe und auf traumhaften Wegen.

Von Steffen Klameth
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Wald, so weit das Auge reicht: der Baumkronenpfad im Nationalpark Hainich.
Wald, so weit das Auge reicht: der Baumkronenpfad im Nationalpark Hainich. © Johannes Hulsch/Nationalpark Hai

Früher, sagt Helge Graßhoff, hatte er einen tollen Job. Er war Waldarbeiter im Hainich, einem riesigen Forst in Thüringen – der größte zusammenhängende Laubwald in Deutschland. 16.000 Hektar voller Bäume. Viel Arbeit für einen Waldarbeiter.

Dann kam die Wende, und Graßhoff musste den Beruf wechseln. Heute ist er 62 und hat wieder, wie er sagt, einen tollen Job – am gleichen Ort. Er ist Ranger im Nationalpark Hainich, dem einzigen Nationalpark Thüringens.

Der ist zwar nur knapp halb so groß wie das gesamte Waldgebiet. Aber zu tun gibt es für einen Ranger auch hier genug. Kontrollgänge, Führungen, Schulbesuche. Nur Bäume fällen, das ist vorbei.

Bäume schützen statt fällen: Der ehemalige Forstarbeiter Helge Graßhoff ist jetzt als Ranger im Hainich unterwegs.
Bäume schützen statt fällen: Der ehemalige Forstarbeiter Helge Graßhoff ist jetzt als Ranger im Hainich unterwegs. © Steffen Klameth

Wenn Bäume im Hainich fallen, dann fallen sie von allein. Aus Altersschwäche. Oder weil der Sturm stärker war. Oder weil sie verdurstet sind. „Unter uns ist Muschelkalkboden“, erklärt Graßhoff, „letztes Jahr hatten wir viele Verluste.“ Er zeigt auf eine umgestürzte Buche: „Den Rest haben die Waschbären erledigt.“

Gesucht: Reitters Strunksaftkäfer

Der kaputte Stamm liegt gleich neben dem Eingang zum Baumkronenpfad. Als dieser 2005 eröffnet wurde, war er einer der ersten in ganz Deutschland. Vier Jahre später wurde er noch mal verlängert und mit Rastplatz und Hängebrücke ausgestattet.

Mehr als einen halben Kilometer kann man nun in bis zu 30 Metern Höhe durch die Wipfel spazieren und kommt dabei nicht nur mit den Baumkronen auf Tuchfühlung. Ganz in der Nähe klopft ein Buntspecht.

„Ich bin hier!“, übersetzt der Ranger das Signal, „der Vogel markiert sein Revier.“ Die Rufe des Kleibers deutet er als Schimpferei. Und die Meise, die singt einfach so vor sich hin. Nur der Wendehals hat sich gerade abgeduckt.

Auch von Reitters Strunksaftkäfer fehlt jede Spur. Man wüsste gern, wie er aussieht, schließlich gilt er als Urwaldrelikt. Biologen hatten ihn in Deutschland bereits für ausgestorben erklärt – bis man das etwa fünf Millimeter kleine Tierchen vor 25 Jahren im Hainich wiederentdeckte.

Militärische Nutzung

Für die Hüter des eben gegründeten Nationalparks war das der untrügliche Beweis, dass der Hainich auf dem besten Weg ist, wieder das zu werden, was er vor langer Zeit einmal war: ein Urwald.

Viele Jahre sah es gar nicht danach aus. Hier wurde gnadenlos gefällt und gerodet, später auch geschossen. Die deutsche Wehrmacht errichtete einen Truppenübungsplatz, nach dem Zweiten Weltkrieg rollten sowjetische Panzer, schließlich testete die NVA verschiedene Waffensysteme, und zum Schluss rückte auch noch die Bundeswehr an.

Die militärische Nutzung hatte aber auch etwas Gutes, sagt Helge Graßhoff: „Rund 1.500 Hektar waren Sperrgebiet, dort ist der Wald am ursprünglichsten.“ Die Schattenseite: Bis heute vermutet man Munitionsreste und Blindgänger.

Besucher sollten also schon aus eigenem Interesse auf den Wegen bleiben.

Sicht bis zum Brocken

Wir steigen noch mal ganz nach oben auf den Aussichtsturm – 231 Stufen, wer es ganz genau wissen will – und schauen aus 40 Metern Höhe über das Blättermeer und in die Ferne. Bei guter Sicht soll sogar der Brocken zu sehen sein. Heute leider nicht. Also wieder runter und dem Ranger hinterher zur Waldpromenade: „Hier sollte man sich Zeit lassen und den Wald einfach genießen.“

Der Rundweg ist zwar nur einen reichlichen Kilometer lang, man könnte ihn also im Eilschritt binnen einer Viertelstunde ablaufen. Das aber wäre töricht und auch nicht im Sinne der Erfinder. Elf Stationen mit so hübschen Namen wie Wald-Wonne, Wald-Gespür und Wald-Sinfonie verführen zum Verweilen und Entdecken.

Mithilfe großer Trichter lauscht man in den Wald hinein, von bequemen Holzliegen schaut man in den Himmel und beobachtet das Wiegen der Wipfel, auf langen Baumstämmen sucht man die Balance. Da haben nicht nur Erwachsene ihren Spaß.

Manche Bäume sind bis zu 300 Jahre alt

Die Waldpromenade gehört zu einem Wanderwegenetz, das zusammengenommen rund 120 Kilometer lang ist. 20 Kilometer davon sind als Rundwege ausgeschildert. Es gibt aber auch einen Ort, um den die Wanderer einen großen Bogen machen müssen – einfach, weil es gar keine Wanderwege dahin gibt. Der Ranger nennt ihn Waldwiedereroberungsort.

„Dort hat jeder Baum einen Namen.“ Es ist nur eines von mehreren Forschungsprojekten, in denen das Ökosystem und die Auswirkungen des Klimawandels über einen langen Zeitraum beobachtet wird. Mehr als 10.000 Tier- und Pflanzenarten soll es im Hainich geben – eine unfassbare Vielfalt.

Besucher sehen natürlich zuerst die Bäume. Über 30 Arten hat man gezählt, allen voran die Rotbuche. Manche Exemplare sind bis zu 300 Jahre alt. Weil es nirgendwo sonst Kalk-Buchenwälder in dieser Ausdehnung gibt, gehört der Hainich seit 2011 zu einem Unesco-Weltnaturerbe-Verbund von 94 schützenswerten Buchenwäldern in 18 europäischen Ländern.

Wölfe ziehen nur durch

Die unberührte Natur lockt auch jede Menge Tiere. Wildschweine und Rehe, Füchse („werden nicht gejagt“) und Wölfe („ziehen hier nur durch“), Luchse und Wildkatzen. Sogar ein Goldschakal sei bereits in die Fotofalle getapst, sagt der Ranger.

Und dann sei da noch das Totholz: „Hier tobt das Leben!“ Insekten und Spinnen fühlen sich darin heimisch, genauso wie die Bechsteinfledermaus, eine von 15 Fledermausarten im Hainich. Und Reitters Strunksaftkäfer. Aber den hatten wir ja schon erwähnt.

Helge Graßhoff mag vor allem den Frühling im Hainich: „Das frische Blattgrün ist wunderschön.“ Und welcher Job hat ihm nun besser gefallen – Forstarbeiter oder Ranger? Der stämmige Mann mit dem ergrauten Bart weicht aus.

„Der Wechsel von der Nutzung zur Schonung war schon eine Umstellung“, gesteht er. Und wenn er vor einer großen Buche steht, erwische er sich noch heute manchmal bei dem Gedanken: „Wie wird die wohl fallen?“

Was haben Goethes Wohnhaus, Anna-Amalia-Bibliothek und Stadtschloss gemeinsam? Alle gehören zum Welterbe-Ensemble „Klassisches Weimar“. Weniger bekannt, aber ebenso sehenswert ist der Park Belvedere mit Schloss (Foto) und Orangerie. Der einst barocke Park wurde später umgestaltet. Auch drei Weimarer Bauhaus-Stätten sind von der Unesco geadelt worden, darunter das erste Bauhaus-Musterhaus Am Horn, das vor genau 100 Jahren errichtet wurde.
www.klassik-stiftung.de
Was haben Goethes Wohnhaus, Anna-Amalia-Bibliothek und Stadtschloss gemeinsam? Alle gehören zum Welterbe-Ensemble „Klassisches Weimar“. Weniger bekannt, aber ebenso sehenswert ist der Park Belvedere mit Schloss (Foto) und Orangerie. Der einst barocke Park wurde später umgestaltet. Auch drei Weimarer Bauhaus-Stätten sind von der Unesco geadelt worden, darunter das erste Bauhaus-Musterhaus Am Horn, das vor genau 100 Jahren errichtet wurde. www.klassik-stiftung.de © Steffen Klameth
Nanu, die Dame kennt man doch!? Genau: Lisa Schubach gehört zum Team der Falknerei am Rennsteig, die durch die gleichnamige Doku-Serie im MDR-Fernsehen deutschlandweit bekannt wurde. Mehr als 30 Greifvögel werden von Familie Schubach ausgebildet und gepflegt. Täglich, außer montags, jeweils 15 Uhr, gibt es eine Flugshow, bei der Besucher in eine Jahrtausende alte Tradition eingeweiht werden – die Falknerei gehört zum immateriellen Kulturerbe der Menschheit.
www.rennsteigfalknerei.de
Nanu, die Dame kennt man doch!? Genau: Lisa Schubach gehört zum Team der Falknerei am Rennsteig, die durch die gleichnamige Doku-Serie im MDR-Fernsehen deutschlandweit bekannt wurde. Mehr als 30 Greifvögel werden von Familie Schubach ausgebildet und gepflegt. Täglich, außer montags, jeweils 15 Uhr, gibt es eine Flugshow, bei der Besucher in eine Jahrtausende alte Tradition eingeweiht werden – die Falknerei gehört zum immateriellen Kulturerbe der Menschheit. www.rennsteigfalknerei.de © Steffen Klameth
Für Ralf Fischer ist es das gesündeste Gemüse der Welt: Brunnenkresse. Seit 300 Jahren wird sie im Erfurter Dreienbrunnengebiet kultiviert. Die Gärtner nutzen dafür sogenannte Klingen – künstliche Becken, die von frischem Quellwasser gespeist werden. In der DDR kam der Anbau zum Erliegen, Familie Fischer belebte ihn in den 1990ern neu und schaffte es so auf die Landesliste immaterieller Kulturformen. Die Ernte gibt es nur in Fischers Hofladen und einigen Restaurants.
www.erfurter-brunnenkresse.de
Für Ralf Fischer ist es das gesündeste Gemüse der Welt: Brunnenkresse. Seit 300 Jahren wird sie im Erfurter Dreienbrunnengebiet kultiviert. Die Gärtner nutzen dafür sogenannte Klingen – künstliche Becken, die von frischem Quellwasser gespeist werden. In der DDR kam der Anbau zum Erliegen, Familie Fischer belebte ihn in den 1990ern neu und schaffte es so auf die Landesliste immaterieller Kulturformen. Die Ernte gibt es nur in Fischers Hofladen und einigen Restaurants. www.erfurter-brunnenkresse.de © Steffen Klameth
Die einen lieben sie, die anderen hassen sie: An Gartenzwergen scheiden sich die Geister. Ihre massenhafte Verbreitung startete im thüringischen Gräfenroda. Hier wurden die Gnome ab Ende des 19. Jahrhunderts aus Ton gefertigt und in alle Welt geschickt. Heute gibt es nur noch eine Firma in Thüringen, die Gartenzwerge – und neuerdings auch Pittiplatsch – in traditioneller Weise herstellt. In der „Zwergstatt“ kann man dabei zuschauen und mitmachen. www.zwergstatt-graefenroda.de
Die einen lieben sie, die anderen hassen sie: An Gartenzwergen scheiden sich die Geister. Ihre massenhafte Verbreitung startete im thüringischen Gräfenroda. Hier wurden die Gnome ab Ende des 19. Jahrhunderts aus Ton gefertigt und in alle Welt geschickt. Heute gibt es nur noch eine Firma in Thüringen, die Gartenzwerge – und neuerdings auch Pittiplatsch – in traditioneller Weise herstellt. In der „Zwergstatt“ kann man dabei zuschauen und mitmachen. www.zwergstatt-graefenroda.de © Steffen Klameth

Täglich geöffnet

  • Anreise: Von Dresden mit dem Auto rund 270 Kilometer.
  • Baumkronenpfad: Vom Parkplatz am Forsthaus Thiemsburg führt ein bequemer Weg zum Eingang. In der Nähe der Kasse befindet sich auch ein Aufzug. Der Pfad ist barrierefrei, der Aufstieg auf den Turm dagegen nicht. Wartezeiten möglich.
  • Öffnungszeiten und Preise: Täglich geöffnet, Tickets gibt es nur vor Ort. Erwachsene zahlen 12 Euro, daneben gibt es verschiedene Ermäßigungen. Die Eintrittskarte gilt auch für das Erlebniszentrum des Nationalparks. Bei Unwetter und Eis kann der Pfad gesperrt werden.
  • Rangertouren: Bis Ende Oktober jeden Mittwoch und Sonnabend, 13.30 Uhr.
  • Die Recherche wurde unterstützt von der Thüringer Tourismus GmbH.