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Reisetipp Weimar: Zu Besuch in Goethes Homeoffice

Das Arbeitszimmer des Dichters ist ein nationales Heiligtum. Umso schöner, dass man jetzt sogar in die Schubladen schauen kann – mit ungeahnten Folgen.

Von Steffen Klameth
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Gucken erwünscht, Zutritt verboten: Besucher an der Tür zu Goethes Arbeitszimmer.
Gucken erwünscht, Zutritt verboten: Besucher an der Tür zu Goethes Arbeitszimmer. © Gordon Welters

Das hölzerne Tintenfass schwebt durch die Luft. Eine befremdlich wirkende Greifhand hält es fest, wendet es hin und her, bis man den Standboden sieht. In feiner Schreibschrift steht da: „Tintenfass des Vaters. Wolfgang von Goethe“.

Das Tintenfass gehört zu den berühmten Einrichtungsgegenständen des noch berühmteren Arbeitszimmers des weltberühmten Dichters. Besucher von Goethes Wohnhaus in Weimar können es auf dem ovalen Tisch entdecken, der mitten im Raum steht – allerdings nur aus gebührender Entfernung.

Ein Metallgitter versperrt den Zutritt zu dem nationalen Heiligtum. Wächter achten darauf, dass sich niemand auch nur darüber beugt. Nichts darf berührt oder gar verschoben werden. Es ist wie eine Momentaufnahme vom 22. März 1832.

„Alles steht noch dort, wo es zu Goethes Ableben stand“, erklärt Petra Lutz bei einem Rundgang. „So exakt gibt es das aus dieser Zeit weltweit nicht noch mal.“

Jagdhaus mit der Geliebten

Johann Wolfgang von Goethe lebte von 1782 bis 1789 zunächst als Mieter in dem Haus am Frauenplan. Dann zog er mit seiner Geliebten Christiane Vulpius in eines der sogenannten Jagdhäuser, bis er drei Jahre später mit ihr an diesen Ort zurückkehrte und das Haus schließlich von Herzog Carl August von Sachsen-Weimar-Eisenach geschenkt bekam.

Seit 1885 ist es Museum, heute wird es von der Klassik Stiftung Weimar betrieben. All die Jahrzehnte war es der meistbesuchte Ort in Weimar – bis ihm das neue Bauhaus-Museum Konkurrenz machte.

Ein Rundgang durch das verwinkelte Gebäude gleicht einer Zeitreise. Die Dielen knarren, wie sie es vermutlich schon vor 250 Jahren getan haben. Gelber Saal, Brückenzimmer, Christianezimmer – man kann schnell die Orientierung verlieren. Hilfreich sind Audioguides oder die kostenlose App Weimar+, die in Wort und Schrift durch das Haus begleitet.

Oder man schließt sich einer Führung an und wird auf Details aufmerksam gemacht, die man sonst garantiert übersehen hätte. Etwa die Tabelle mit den Ankunfts- und Abfahrtszeiten der Postkutschen. „Mein Lieblingsobjekt“, verrät Petra Lutz. Sie ist Abteilungsleiterin im Goethe-Nationalmuseum.

Schauplatz vieler Werke

Goethe verbrachte über die Hälfte seines Lebens in dem Haus. Er ließ es nach seinen Vorstellungen umbauen und immer wieder umgestalten. Hier entstand ein Großteil seiner Werke, hier empfing er Besucher und zeigte ihnen seine gigantischen Sammlungen. Der Nachlass soll rund 50.000 Gegenstände umfassen, darunter über 7.000 Bände und mehr als dreimal so viele Mineralien.

Einige der Steine liegen in Vitrinen im Raum vor dem Arbeitszimmer – „noch so wie zu Goethes Zeiten“ –, während die Bibliothek bis auf wenige Ausnahmen ausgeräumt ist. Die Bände würden gerade restauriert, sagt Petra Lutz.

Man könnte sagen, dass an diesem Ort Geschichte greifbar wird – zumindest im übertragenen Sinne. Neuerdings gilt der Satz sogar ganz praktisch. Möglich macht es der sogenannte Goethe-Apparat, der am ersten Aprilwochenende im Dienerzimmer eingeweiht wurde.

Ein riesiger, gebogener Bildschirm mit 3,6 Millionen Pixeln zeigt einen Blick in Goethes Arbeitszimmer und hinaus in den Garten. Mit zwei Controllern – ähnlich jenen, die man von Computerspielen kennt – steuert man seine Schritte und die Greifarme auf dem Bildschirm.

Chaos nach kurzer Zeit

Und los geht die Entdeckerreise. Was steckt in dieser Schublade? Was steht auf jener Skizze? Was ist das Besondere an dem Tintenfass? Kurze Texte liefern die Antworten, auch die Pflanzen im Hausgarten werden erklärt. Die Greifarme können nicht nur Gegenstände bewegen, sondern auch Möbel verrücken.

Nach wenigen Minuten herrscht in Goethes Homeoffice ein heilloses Durcheinander. „Das ist auch so gewollt, denn der Raum war ständig in Bewegung“, sagt Alexander Methfessel, der als Digitaler Kurator maßgeblich an dem Projekt mitgewirkt hat.

Betreten möglich, Anfassen erwünscht: Alexander Methfessel am „Goethe-Apparat“, der Goethes Arbeitszimmer als Medienstation präsentiert.
Betreten möglich, Anfassen erwünscht: Alexander Methfessel am „Goethe-Apparat“, der Goethes Arbeitszimmer als Medienstation präsentiert. © Steffen Klameth

Fast zweieinhalb Jahre haben zehn Mitarbeiter der Klassik Stiftung sowie drei externe Firmen an dem Projekt gearbeitet. Das Inventar wurde gescannt, digitalisiert und in ein dreidimensionales Programm übertragen. Corona kam den Entwicklern wie gerufen, so konnten sie in aller Ruhe den Raum erkunden und erfassen.

Dabei beschränkten sie sich allerdings auf drei Möbelstücke und insgesamt zwölf Gegenstände. „Es wäre sonst einfach zu überladen gewesen“, sagt Methfessel. Er schließt nicht aus, dass künftig weitere Objekte und Räume auf diese Weise erschlossen werden. Das wäre schön und praktisch.

Generalsanierung ab 2025

Denn Ende 2025 wird das Goethe-Haus für voraussichtlich vier Jahre geschlossen. Das Museum soll generalsaniert und neu inszeniert werden. Der „Goethe-Apparat“ wäre dann zumindest ein kleiner Ersatz.

Rund 560.000 Euro hat das Projekt gekostet, sagt Stephanie Hock von der Kulturabteilung der Klassik Stiftung. Eine Investition, die sich auch für die Forschung gelohnt habe: „Wir haben viele neue Erkenntnisse gewonnen.“

Handschriftliche Notiz

So konnten die Wissenschaftler anhand der Tagebuchnotizen und der Löcher in den Dokumenten, die in den Schubladen lagern, nachvollziehen, wie Goethe an bestimmten Tagen gearbeitet hat.

Beim Tintenfass, das sonst nie jemand in die Hand nimmt, vermutet man übrigens, dass der handschriftliche Vermerk am Boden vom Enkel des Meisters stammt und mit „Vater“ des Meisters Sohn August von Goethe gemeint ist.

Bleibt nur eine Frage: Wie findet man am Ende des Tages alle verlegten Gegenstände im Goethe-Apparat wieder? Auch daran haben die Entwickler gedacht. Ein Druck auf die Taste „Zimmer aufräumen“ und alles ist wieder am rechten Fleck. Wünschte man sich auch für zu Hause.

Klassik & Moderne

  • Das Goethe-Nationalmuseum am Frauenplan ist täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Eintritt: Erwachsene 13 Euro, ermäßigt 9 Euro.
  • WeimarCard: 48 Stunden lang freier Eintritt in Museen, Teilnahme an Stadtführung und Nutzung des Stadtbusses (32,50 Euro).
  • MuseumsCard: Ein Jahr lang freier Eintritt in alle Museen der Klassik Stiftung Weimar. Erwachsene 49 Euro, ermäßigt 29 Euro.
  • Informativ: Die App Weimar+ (kostenlos) bietet zahlreiche Audio-/Texttouren durch Museen, Parks und die Innenstadt.
  • Themenjahr: Ausstellungen und Veranstaltungen zum Thema Wohnen unter www.klassik-stiftung.de/wohnen
  • Die Recherche wurde unterstützt von der Thüringer Tourismus GmbH.