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Perlen der polnischen Provinz - eine Reisereportage

Die Kopernikusstadt Toruń lockt mit Festivals und Pfefferkuchen, während in Bydgoszcz ein polnisches „Klein-Berlin“ entstanden ist. Eine Reise an die Weichsel verbindet beide Städte.

Von Lucy Krille
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Der Frachtschiffverkehr ist vorbei, aber der Tourismus in Bydgoszcz lebt. Symbolisch dafür stehen das Museumsschiff Lemara und die Solarschiffe, auf denen eine Kanalfahrt gebucht werden kann.
Der Frachtschiffverkehr ist vorbei, aber der Tourismus in Bydgoszcz lebt. Symbolisch dafür stehen das Museumsschiff Lemara und die Solarschiffe, auf denen eine Kanalfahrt gebucht werden kann. © Lucy Krille

Auf den Terrassen der Bydgoszczer Restauracijas dudelt Popmusik, auf der Brücke zur Altstadt spielt ein Mann Mundharmonika. Nebenan singen Jugendliche vor dem Stadtmuseum, nachdem sich eine Anwohnerin über die laute Musik vor ihrer Wohnung beschwert hatte und die Band umziehen musste.

Die ältere Dame scheint sich noch nicht an den neuen Geist in Bydgoszcz (deutsch Bromberg) gewöhnt zu haben. Die Stadt inmitten von Polen pulsiert, gerade am Wochenende. Die städtische Tourismusagentur spricht sogar vom „Klein-Berlin“. Tatsächlich gibt es schon seit Ende des 19. Jahrhunderts eine Direktverbindung zwischen beiden Städten.

Davon zeugen vor allem die gut erhaltenen Jugendstilgebäude, die Berliner Architekten in Bydgoszcz gebaut haben. Aber auch die Lebendigkeit erinnert an die deutsche Hauptstadt: Nicht nur im Musikviertel mit dem Instrumentenspielplatz, dem Sinfoniespringbrunnen und den Musikschulen schweben Töne durch die Luft und wummern Bässe über den Asphalt.

Wasser ist die Lebensader in Bydgoszcz

Auf der Mühleninsel finden im Sommer Konzerte statt, das Areal ist vor allem bei jungen Leuten beliebt. Sie treffen sich auf neu hergerichteten Bänken aus Holzpaletten, die zwischen Wasserbecken und Wiesen stehen. Auf der Dachterrasse des alten Speichergebäudes, das Schauplatz für viele Kunstwerkstätten und Workshops ist, kann man dem Treiben entfliehen, und das sogar kostenlos.

Von dem Ziegelgebäude aus öffnet sich der Blick über die Innen- und die Altstadt. Dazwischen glitzert der Fluss Brahe, der die Mühleninsel umarmt und später in die Weichsel fließt.

Wasser ist die Lebensader von Bydgoszcz. Zu Zeiten Friedrich des Großen wurde ein Kanal zwischen Weichsel und Oder gebaut, um die Stadt an den Schiffshandel anzubinden. Jerzy Ratz ist 45 Jahre lang auf solchen Frachtschiffen mitgefahren. Vom Bromberger Kanal aus ging es in den Süden Polens, nach Weißrussland oder Deutschland.

Kostenlose Kajaktouren auf dem Bydgoszczer Kanal

Gern erinnert sich Ratz an Städte wie Berlin oder Dresden. Er stammt aus einer Schifferfamilie, auch seine Tochter arbeitete bis vor Kurzem an Bord. Heute zeigt der Rentner Schulklassen und Touristen auf der 43 Meter langen „Lemara“, wie es einst auf einem Frachtschiff zuging. Sie ist ein Bydgoszczer Original, 1937 in der hiesigen Schiffswerft gebaut. Nachdem sie 2006 in den Ruhestand verabschiedet wurde, kaufte die Stadt das Schiff und gestaltete daraus ein Museum. Ein Grammophon, eine Kajüte und Schlafkojen, sogar eine originale Jukebox sind zu sehen und erzählen Geschichten aus anderen Zeiten.

Jerzy Ratz, ehemaliger Seemann, führt heute über das Museumsschiff Lemara.
Jerzy Ratz, ehemaliger Seemann, führt heute über das Museumsschiff Lemara. © Lucy Krille

Die vielen Schleusen und das Niedrigwasser in den Wasserstraßen machten den Frachtschiffverkehr in der Region immer unwirtschaftlicher. Heute werden der Bydgoszczer Kanal und die Brahe nur noch touristisch genutzt. Im Kanalmuseum können Kajaks für zwei Stunden kostenlos ausgeliehen werden.

Nicht weit vom Liegeplatz der „Lemara“ gibt es auch eine Ausleihstation für Kanu-, Motor- und Tretboote. Wer es bequemer mag, kann eine Fahrt auf einer solarbetriebenen Wassertram mieten. Fast lautlos gleitet das Boot an der Altstadt vorbei und durchfährt zwischendurch eine Schleuse.

Zwei schmucke Altstädte in unmittelbarer Nachbarschaft

Für die Bootsfahrt und andere Attraktionen wie das Seifenmuseum sollte man möglichst vorbestellen, denn die Tickets sind begehrt. Immer mehr internationale – darunter vor allem deutsche – Touristen besuchen die 340.000-Einwohner-Stadt. Während die kleinere Nachbarstadt Toruń (deutsch Thorn) eigentlich bekannter und lange auch beliebter war, hat Bydgoszcz mittlerweile aufgeschlossen.

Toruń und Bydgoszcz liegen nur eine Stunde entfernt, ein Tagesausflug oder eine Übernachtung in beiden Städten ist problemlos möglich. Nur wenige Stunden von Gdansk (Danzig) oder Warszawa (Warschau) entfernt, stehen hier schmucke Altstädte, die im Weltkrieg weitgehend verschont wurden. Während sich in Bydgoszcz viel ums Wasser dreht, gehören in der Studentenstadt Toruń das Kopernikushaus und das Lebkuchenmuseum unbedingt aufs Programm.

Der Astronom Nikolaus Kopernikus wuchs in Toruń auf. Dem, „der die Sonne und den Himmel zum Stehen brachte und die Erde in Bewegung“, widmet die Stadt ein eigenes Museum. Kopernikus sorgte im 16. Jahrhundert für Aufsehen, als er herausfand, dass nicht die Erde, sondern die Sonne das Zentrum des Universums ist. Sein heliozentrisches Weltbild setzte sich erst Jahre später durch.

Eigene Pfefferkuchen backen in Toruń

Die Menschen in Toruń sind stolz auf „ihren“ Kopernikus, auch wenn er die Stadt schon als junger Erwachsener verließ. Zum diesjährigen 550. Geburtstag findet noch bis September ein Weltkongress statt, bei dem sich Forscher aus aller Welt zu aktuellen wissenschaftlichen Themen austauschen. Außerdem soll das Leben und Wirken von Kopernikus bekannter gemacht werden.

Ein Blick über Torun, die Geburtsstadt von Nikolaus Kopernikus.
Ein Blick über Torun, die Geburtsstadt von Nikolaus Kopernikus. © VisitTorun

Nur ein paar Straßen vom Kopernikushaus entfernt kann man selbst nach alter Tradition Lebkuchen backen. Die Stadtführerin Aleksandra Molin presst das Teiggemisch aus Mehl, Honig und Gewürzen in eines der Holzmodel. „Das Lebkuchenhaus steht für Gastfreundschaft, das Herz natürlich für Liebe, und das Hufeisen soll Glück bringen“, sagt sie.

Während die Pfefferkuchen im Ofen backen, erfahren die Besucher im Pfefferkuchenhaus mehr über das alte Handwerk, das einst viele Bäcker in Toruń betrieben haben. Auch heute haben die Toruńer Pfefferkuchen das ganze Jahr über Saison. In der Manufaktur werden saftige Gebäcke mit Schokoladenüberzug hergestellt, die es zu kaufen lohnt. Die selbst gebackenen aus dem Museum sind härter und eher als Mitbringsel gedacht.

Kultur erleben in der Festivalstadt Toruń

Aleksandra Molin, die von allen nur Ola genannt wird, ist in Toruń geboren und lebt mitten in der Altstadt, die von Stadtmauern und Toren umgeben ist und zum Unesco-Welterbe zählt. „Ich liebe das, denn hier gibt es so viel Geschichte und Kultur“, sagt sie mit strahlenden Augen. Ihre Lieblinkskirche befindet sich aber in der „Neustadt“, die bereits im 15. Jahrhundert errichtet wurde und direkt an die Altstadt anschließt. Hier fängt ein Teufel an der Decke die bösen Gedanken der Betenden ab.

Ein paar Gehminuten weiter sind im größten Rathaus von Europa Ausstellungen zur Stadtgeschichte zu sehen. Im Ticket inbegriffen ist ein Besuch auf dem Turm.

Stadtführerin Aleksandra Molin backt mit den Touristen Pfefferkuchen.
Stadtführerin Aleksandra Molin backt mit den Touristen Pfefferkuchen. © Lucy Krille

Von oben blickt man auf schicke Dachterrassen und sanierte Kirchendächer. Die schlichten Gebäude aus dem Sozialismus sind oft modernen Architekturexperimenten gewichen. In gut erhaltenen gotischen Altbauten haben sich gemütliche Cafés, kleine Boutiquen und hippe Restaurants eingemietet.

„Wir sind offen gegenüber der EU“, sagt Ola, auch wenn sie weiß, dass das nicht alle ihre Landsleute so sehen. Hier in Toruń seien sie aber froh über die Fördergelder aus Brüssel. Damit werden auch Festivals unterstützt, etwa das Theatertreffen und das Lichtfestival im Sommer und das Filmfest im Herbst.

Günstig essen und tanken in Polen

  • Anreise: Mit dem Auto ca. 490 km nach Bydgoszcz, 530 km nach Torun (von Dresden). Mit dem Zug direkt von Berlin und Breslau nach Bromberg. Zwischen Bydgoszcz und Torun fahren regelmäßig Züge bis in die Nacht (35–45 Minuten).
  • Geld: Ein Euro entspricht etwa 4,5 polnischen Zlotys. In Museen und Restaurants ist auch Kartenzahlung möglich. Die Preise sind in Polen während der Inflation noch stärker gestiegen als in Deutschland. Eintritte und Restaurantbesuche sind trotzdem günstiger als bei uns oder in größeren polnischen Städten. Auch Tanken lohnt sich vor Ort: Ein Liter Benzin kostet etwa 1,47 Euro, Diesel 1,39 Euro.
  • Vor Ort: In beiden Städten sind alle Sehenswürdigkeiten fußläufig zu erreichen. Außerhalb der Altstädte fahren Straßenbahnen und Busse.
  • Die Recherche wurde unterstützt vom Polnischen Fremdenverkehrsamt.