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Reisetipp Binz: Im Mai wird die Bäderarchitektur gefeiert

Nirgendwo auf der Insel Rügen gibt es so viele Bäderarchitektur-Prachtstücke wie im Ostseebad Binz. Bei geführten Spaziergängen werden sie gefeiert.

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Blick aufs Binzer Kurhaus.
Blick aufs Binzer Kurhaus. © Binzer Bucht Tourismus/Christian

Von Ekkehart Eichler

Was dabei herauskommt, wenn Mann und Frau sich nicht einigen können, sehen Sie hier“, lenkt Günther Koberstein den Blick auf das Dach einer weißen Schönheit an der Binzer Strandpromenade. Dort oben nämlich rekelt sich eine nicht besonders liebreizende Sirene. Ihre Oberarme sind recht kräftig, ihre Züge seltsam maskulin. Die Erklärung: „Besitzer Meier hatte zunächst einen Poseidon mit Vollbart und Dreizack in Auftrag gegeben. Seine Frau hingegen ordnete beim Bildhauer eine Geschlechtsumwandlung an. Der Bart musste ab, ein Busen kam dran. Und so wurde aus Neptun schließlich eine Nixe.“

So geschehen im Jahr 1912, als aus dem Fischerdorf Binz in rasantem Tempo bereits das „Sorrent des Nordens“ geworden war. Mit Kurhaus und Seebrücke. Mit Herren- und Damenbad. Und einem Mondän-Flair, das die Prominenz aus Adel und Wirtschaft, Kunst und Kultur in vollen Zügen genießt: Im Kurhaussaal trifft man sich zu rauschenden Ballnächten, in der Kakadu-Bar zu Partys. Architektonischer Ausdruck des Booms: Die Bäderarchitektur hält Einzug in großem Stil. An der Strandpromenade und im Ortskern entstehen funkelnde Perlenketten von Villen, die auf den ersten Blick wie aus einem Guss wirken.

Doch weit gefehlt. Wie bei Diven nicht unüblich, hat jede eigenen Charakter und spezifischen Charme. Je nach Wünschen und Vorlieben des Bauherrn trägt die alte Dame mal Kleider aus Renaissance und Barock, mal aus Klassizismus und Gründerzeit, hin und wieder sogar ein Fachwerk-Korsett. Sie schmückt sich antik mit Tempelportalen und Säulen, mag aber auch dreieckige Giebel und auffällige Erker. Ihre Fensteraugen können exotisch-gotisch sein, aber auch jugendstil-stylisch oder bulläugig-maritim.

Eine irre Show-Truppe

Als Hingucker-Vorbauten lieben sie Holzloggien mit filigranen Schnitz- oder Metallarbeiten und auf dem Kopf – mal spitz, mal rund – kecke Hüte aus Türmchen oder Dachreitern. Sie kommen daher in alpenländischer Tracht, in nordischem Gewand und sogar in russischem Pelz. Kurzum eine irre Show-Truppe, die unter dem Namen Bäderarchitektur aufläuft. „Das ist halt keine eigenständige Kunst- oder Stilgattung“, stellt Gästeführer Koberstein nachdrücklich klar, „gerade im Mix der Stile und Epochen liegt der spezifische Reiz.“

Herausragende Beispiele dieser unbeschwerten Baukunst sind heute bei individuellen und geführten Spaziergängen durch den Ort zu bewundern: Hotel Granitz und Haus Sanssouci. Grandhotel und Strandhalle. Haus Königseck und Villa Sturmvogel. Haus Colmsee und Villa niXe. Haus Klünder und Villa Baltic. Dünenhaus und Villa Quisisana. Und so weiter und so fort. In Binz lassen sich über 60 Villen und Logierhäuser bewundern, die nach 1990 aufwendig restauriert wurden und heute erstrahlen wie einst zu Kaisers Zeiten.

Zum Beispiel die „Villa Salve“ von 1899. Ein traditionsreiches Haus, in dem schon Helmut Kohl, Angela Merkel, Uwe Seeler, Henry Maske oder das norwegische Kronprinzenpaar stilvoll residierten. Das Hotel im italienischen Neorenaissance-Stil mit Aphrodite am Dachfirst und Löwenskulpturen am Eingangsrondell blickt zurück auf eine bewegte Geschichte, etwa als Tagungsort einer Freimaurer-Loge, als Kindersanatorium und Kindergarten.

Auf Zeitreise zurück ins Kaiserreich

Die „Villa Haiderose“ an der Promenade wiederum ist ein Jugendstilbau, der heute als Fünf-Sterne-Appartement-Haus Gäste empfängt. Die „Haiderose“ besticht mit üppigen Holzschnitzereien an den Veranden und einem schmiedeeisernen Jugendstil-Balkon, der noch original erhalten ist. Wie es zur eigenwilligen Namensgebung kam, liegt bis heute im Dunkeln. Sicher ist nur, dass sich ein Förster aus Ostpreußen 1896 das Haus direkt ans Strandufer bauen ließ.

Platzhirsch unter all den Binzer Bäderarchitektur-Perlen aber ist zweifellos das Kurhaus. „Wir sind das meistfotografierte Haus in Mecklenburg-Vorpommern“, ist sich Oliver Gut absolut sicher. Täglich sieht er Heerscharen von Urlaubern vorbeiflanieren und die Kameras zücken, „selbst nachts stehen manche mit Stativen und Riesenrohren auf der Seebrücke für den ultimativen Schuss.“ Abertausende Fotos landen anschließend im Internet, „und auch unsere Gäste versorgen uns ausgesprochen reichhaltig mit Bildmaterial“, schmunzelt der General Manager des Travel Charme Kurhauses Binz, das als Wahrzeichen und Blickfang an Promenade und Seebrücke keinerlei Konkurrenz fürchten muss.

Ein Schmuckstück aber ist es in der Tat – diese Ikone der Bäderarchitektur, die wie kein anderes Haus in Binz mit der Geschichte des Ostseebades verwoben ist und vor einigen Jahren einer millionenschweren Schönheitskur unterzogen wurde. In den Mauern des Prachtbaus mit seinen zwei Fronttürmen, die sowohl vom Strand als auch von der Seeseite als markante Landmarken weithin sichtbar sind, geht man auf Zeitreise zurück ins Kaiserreich. Spürt Glanz und Rausch der goldenen 20er-Jahre. Atmet Tradition und Flair in jedem Winkel des weitläufigen Ensembles.

Den weißen Diven ganz nahekommen

Ein Knüller zum Beispiel sind die vielen großformatigen Schwarz-Weiß-Fotografien aus alten Zeiten. Ob in Atrium oder Zimmerfluren – Stunden könnte man hier verbringen mit Impressionen von einstigem Sommerspaß und in Gesellschaft hübscher Frauen, die kokett mit der Kamera flirten oder in züchtigen Kostümen dem sittsamen Bade frönen.

Alles in allem jedenfalls ein Pfund, mit dem Binz jedes Jahr im Mai ganz besonders wuchert, wenn der Ort seine Bäderarchitektur den ganzen Monat ausgiebig feiert. „Fülle und Konzentration unserer Villen auf vergleichsweise kleinem Raum plus ihr hervorragender Zustand sind herausragende Charakteristika“, schwärmt Tourismusdirektor Kai Gardeja, „und damit verfügen wir zugleich über eine komplexe und zumindest auf Rügen einzigartige Erlebniswelt, die wir unseren Gästen nahebringen wollen.“ Im Wonnemonat Mai kann jedermann in besonderer Weise den weißen Diven noch einmal ganz nahekommen.

Alle diese wunderbaren Bauten reihen sich in Binz wie Perlen an einer Kette. Sie demonstrieren zugleich, dass Bäderarchitektur ein unglaubliches Sammelsurium an Stilen und Epochen ist.
Alle diese wunderbaren Bauten reihen sich in Binz wie Perlen an einer Kette. Sie demonstrieren zugleich, dass Bäderarchitektur ein unglaubliches Sammelsurium an Stilen und Epochen ist. © Ekkehart Eichler
© Ekkehart Eichler
© Ekkehart Eichler
© Ekkehart Eichler
© Ekkehart Eichler

Bäderarchitektur bestimmt den Mai

  • In Binz steht der Mai im Zeichen der Bäderarchitektur. Mit Führungen, Vorträgen, Straßenkunst, Ausstellungen wird das Badeleben zu Beginn des 20. Jahrhunderts gefeiert.
  • Veranstaltungen (Auswahl): Täglich: Seebrückenausstellung; dienstags: „Hereinspaziert in die Villen“ – geführte Touren mit Blick hinter die Fassaden; mittwochs: Führung „Auf den Spuren der Bäderarchitektur“; freitags: historischer Spaziergang „Vom Dorf zum Seebad“
  • Termine: 1. Mai: Anbaden und Saisonauftakt-Konzert;
    3./24./31. Mai: Reiseromanlesung „Elizabeth auf Rügen“;
    6./21./29. Mai: Ortsspaziergang „Binz um 1900“ – Zeitreise;
    9.-12. Mai: Gartentheater-Festival mit Kleinkunst in den Villen-Vorgärten;
    23.-26. Mai: Straßenfestival „Süß und salzig“ im Ortskern; individuell und ganzjährig: Villenspaziergang mit QR-Code-Scan an Bäderstil-Villen (idealer Startpunkt: Haus des Gastes im ehemaligen Warmbad)
  • Binzer Bucht Card für kostenlosen Verkehr sowie viele andere Vergünstigungen/Rabatte.
  • Tourismusverband Mecklenburg-Vorpommern, Telefon: 0381 4030550
  • Die Recherche wurde unterstützt von der Gemeinde Ostseebad Binz, dem Travel Charme Kurhaus Binz und vom Tourismusverband Mecklenburg Vorpommern.