Leben und Stil
Merken

Reisetipp Ostsee: Der Reiz von Kühlungsborn im Winter

Eine steife Brise, gefräßige Wogen und viele Möglichkeiten zum Einkehren und Zurückziehen: In Mecklenburgs größtem Seebad stört selbst schlechtes Wetter nicht.

 6 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Das Appartementhaus „Meeresblick“ in Kühlungsborn-West ist ein besonders schöner Vertreter der Bäderarchitektur in bester Lage.
Das Appartementhaus „Meeresblick“ in Kühlungsborn-West ist ein besonders schöner Vertreter der Bäderarchitektur in bester Lage. © Ekkehart Eichler

Von Ekkehart Eichler

Der Strand ist verschwunden. Wo sonst ein 20 Meter breiter Streifen Puderzucker die Ostsee von der Düne trennt, wüten heute gefräßige Wogen. Ein steifer Nordnordwest peitscht sie unablässig ans Ufer, wo sie an Sand und Bewuchs nagen. Gischt schwappt bis auf die Promenade und bespritzt die Handvoll Mutigen, die sich ins Inferno getraut haben. Selbst die sturmerprobten Möwen suchen heute Schutz auf den Holzfiguren vor der Kunsthalle und spektakeln übers Wetter.

Mit anderen Worten: Es ist ein toller Tag an der See. Wo sonst kann man so unmittelbar entfesselte Natur erleben? Wo das dramatische Wechselspiel von Wolken und Wasser so intensiv genießen? Als Spielball des Windes dahintreiben als hilfloses Küken. Sich durchpusten lassen. Durchlüften bis in die Seele. Durchfrieren bis auf die Knochen. Umso wohliger fließt anschließend unterm Reetdach wahlweise Grog oder Sanddorn mit Schuss durch den tiefgekühlten Körper.

All das kann man im Winterhalbjahr überall an der Ostsee haben. Besonders beliebt aber ist in dieser Zeit „Kübo“, wie alle Welt Mecklenburgs größtes Seebad Kühlungsborn liebevoll nennt. Zum einen wegen der Infrastruktur. Anders als anderswo herrscht hier niemals tote Hose. Ob einfache Ferienwohnung oder anspruchsvoller Wellness-Tempel, ob simples Heringsbrötchen oder Gourmet-Fischpfanne, ob schlichte Keramik oder ausgefallener Bernsteinschmuck – selbst in der magersten Nebensaison halten viele Hotels, Restaurants, Cafés und Boutiquen Türen und Tore offen.

Gratis-Sauerstoff-Therapie in bester jodhaltiger Salzluft

Zweites Plus ist der einmalige Ortscharakter. Die Stadt Kühlungsborn entstand erst 1938 durch Zusammenschluss der Orte Brunshaupten (heute Kühlungsborn-Ost) und Arendsee (Kühlungsborn-West), sodass es hier vieles doppelt gibt: zwei Zentren mit zwei Geschäftsstraßen fürs Bummeln, Essen und Einkaufen; zwei Konzertgärten für Kultur, Kino und Musik; zwei Bahnhöfe für die nostalgische Schmalspurbahn „Molli“, die seit über 130 Jahren zischend und fauchend über das älteste deutsche Seebad Heiligendamm in die Kreisstadt Bad Doberan mit dem berühmten Münster schnauft.

Drittens und passend für praktisch jedes Wetter sind drei exzellente Verbindungen zwischen den Ortsteilen. Erstens der sechs Kilometer lange Sandstrand. Wer an der Seebrücke in Ost zum Spaziergang startet, hat eine einstündige Gratis-Sauerstoff-Therapie in bester jodhaltiger Wellness-Salzluft vor der Brust und dabei stets zwei schöne Landmarken im Blick: den markanten Turm vom Appartementhaus „Meeresblick“ und das „Schloss am Meer“. Kein anderes Haus steht hier so exponiert und dicht am Wasser; außerdem ist es ein Unikat der Bäderarchitektur. Weißer Putz und dunkles Fachwerk, Pfeiler und Gesimsbänder aus unverputztem Backstein sowie über Eck gestellte Loggien und Balkone – so etwas gibt es nirgendwo sonst.

Weg Nummer zwei führt über Deutschlands längste Strandpromenade. In elegantem Bogen folgt sie der Uferlinie unmittelbar hinter dem dichten Dünengrasbewuchs und erlaubt dabei jederzeit unverstellte Blicke auf Meer und Strand, bevor sie nach exakt 3.150 Metern in Kühlungsborn-West in den Baltic-Platz mündet.

Ein attraktiver Mix für alle Jahreszeiten

Die Ostseeallee schließlich ist die städtische Flaniermeile schlechthin. Getrennt und geschützt von Promenade und Strand durch einen schmalen Streifen Wald, reiht sich an ihr eine alte Villa an die andere. So gut wie alle wurden mit großem Aufwand restauriert, sodass Jugendstil- und Bäderarchitekturfassaden fast ausnahmslos wie anno 1920 erstrahlen. Nur ein letztes Kronjuwel wartet noch auf seine Wiedergeburt – die neobarocke „Villa Baltic“ in Kübo-West. Nach sehr langem Stillstand soll im denkmalgeschützten einstigen Prachtstück 2025 endlich die Sanierung beginnen.

Egal also, wo und bei welchen Außenbedingungen man sich aufhält in Kühlungsborn, man hat immer und sofort eine Möglichkeit zur Einkehr und zum geordneten Rückzug bei miserablem Wetter. Tourismus-Chef Stephan Köhl erwähnt darüber hinaus das gute Preis-Leistungs-Verhältnis und den attraktiven Mix, der auch außerhalb des Sommers dafür sorgt, dass die Gäste „unser Ostseebad erholt, gut gelaunt und oft auch begeistert wieder verlassen“.

Neben dem Dauerbrenner Wellness mit vielen Angebote verweist der Touristiker auf die Gourmetwoche im November, die Festtage mit Silvester-Feuerwerk an der Seebrücke und das Neujahrs-Anbaden sowie regelmäßige Klassik- und Kammerkonzerte, Jazz-Abende, Kabarett-Tage, Ausstellungen, Lesungen, Vorträge. „Alle Vorteile, die ein Gast genießt, sei es am Strand oder an Erlebnissen, müssen auch den Einheimischen zur Verfügung stehen“, so Köhl.

Trippelschritte, Drehung und das ganze noch einmal

Zurück zum großen Schauspiel, das die Ostsee täglich aufführt und deren einzige Konstante der stete Wechsel ist. Der Sturm ist inzwischen abgeflaut, am Strand weht nur noch ein laues Lüftchen. Sanft wie in einer Lagune plätschern die Wellen ans Ufer; vergoldet von der sinkenden Sonne spiegelt sich der Turm vom „Meeresblick“ in kleinen Prielen und Senken. Eine einsame Lachmöwe zeigt eingemummelten Touristen, wie elegant sie durch die Luft segeln kann.

Als der Mond schließlich die Sonne ablöst, landet plötzlich wie aus dem Nichts ein ganzer Schwarm Möwen genau vor unseren Füßen und beginnt sich in einem rätselhaften gruppendynamischen Prozess zu bewegen. Ein paar Trippelschritte nach links, ein paar nach rechts, eine Drehung, und alles noch einmal vorn. Zugegeben: Das klingt jetzt ein bisschen kitschig. Aber was will man machen – so ist er halt auch, der Winter an der Ostsee in Kühlungsborn.

Gut zu wissen

  • Anreise: Per Pkw über die Ostseeautobahn A20 (Ausfahrten Bad Doberan oder Kröpelin). Mit dem Zug über Rostock nach Bad Doberan, von dort mit dem Bus oder der Schmalspurbahn „Molli“ nach Kühlungsborn.
  • Lage: Sechs Kilometer feinsandiger Strand und die flach abfallende Ostsee sind besonders ideal für Familien mit Kindern. Die lange Strandpromenade, vorbei an Dünen, reetgedeckten Cafés und Spielplätzen lädt genauso zu ausgedehnten Spaziergängen ein wie der 133 ha große Stadtwald direkt hinter dem Strand oder die „Kühlung“, ein Landschaftsschutzgebiet mit Hügeln, Schluchten, Tälern und Bächen.
  • Übernachtung und Essen: 17.500 Betten in 56 Hotels, Pensionen und Ferienwohnungen. Rund 100 Restaurants, Cafés, Bars mit Fokus fangfrischer Fisch und regionale Spezialitäten.
  • Aktivitäten (Auswahl): Kübomare Meerwasserschwimmhalle mit Sauna- und Wellness-Welt: Mo-So 10-21 Uhr, ab 17 Euro; Münster Bad Doberan: Mo-So 11-16 Uhr, drei Euro/U18 frei, www.muenster-doberan.de; Winterwandern: 25/50 Kilometer auf dem Ostseewinterweg am 17. Februar; Wismar: Phantechnikum (Technisches Landesmuseum MV), Di-So 10-17 Uhr, 10/6 Euro; Rostock: Darwineum (Abenteuer Evolution) im „Besten Zoo Europas“ tägl. 9-16 Uhr, 21/10 Euro
  • Infos: Tourismus, Freizeit & Kultur GmbH Kühlungsborn: 038293 8490; www.strandgut-kuehlungsborn.de
  • Die Recherche wurde unterstützt vom Tourismusverband Mecklenburg-Vorpommern und Tourismus, Freizeit & Kultur Kühlungsborn.