Leben und Stil
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Traumstrand am Bergesrand

Wer Lenggries hört, denkt zuerst an Wintersport. Und was hat die Gemeinde in Oberbayern im Herbst für Familien zu bieten? Wir haben es getestet.

Von Anja Sohrmann
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Ein Hauch von Norwegen im tiefsten Bayern: Der Sylvensteinsee wurde künstlich angelegt.
Ein Hauch von Norwegen im tiefsten Bayern: Der Sylvensteinsee wurde künstlich angelegt. © Christian Bäck/Tourismus Lenggries

Wir schweben ins Nichts. Ringsherum herrscht so dichter Nebel, dass wir absolut keinen Durchblick haben. Würden wir nicht ab und zu die Pfeiler der Bergbahn passieren, hätte das Ganze hier Potenzial für einen zünftigen Gruselschocker.

Es ist Mitte Oktober, wir verbringen ein verlängertes Wochenende in Lenggries. Wer den idyllischen Ort in den Bayerischen Voralpen, etwa 60 Kilometer südlich von München, besucht, muss natürlich auch das Brauneck erklimmen. Der 1.555 Meter hohe Gipfel ist zu Fuß in rund zweieinhalb Stunden erreichbar. Eigentlich ein Klacks, aber dem Kind zuliebe nehmen wir die Bergbahn.

Meine Wetter-App hat diese gewaltige Nebelwand nicht vorhergesehen. Da wir aber alle drei Tage schon fest verplant haben, wollen wir trotzdem eine Almwanderung wagen. Oben ist an Aussicht nicht zu denken. Schade, soll man doch von hier aus über den Starnberger See hinaus bis zur Münchner Allianz-Arena blicken können.

So ein Nebel - herumgeistern auf dem Brauneck in Lenggries.
So ein Nebel - herumgeistern auf dem Brauneck in Lenggries. © Anja Sohrmann
Mit der Bergbahn geht's auf das Brauneck - neben dem Geierstein der Hausberg von Lenggries.
Mit der Bergbahn geht's auf das Brauneck - neben dem Geierstein der Hausberg von Lenggries. © Anja Sohrmann
Wer die Wahl hat... Hütten-Schwemme auf dem Brauneck.
Wer die Wahl hat... Hütten-Schwemme auf dem Brauneck. © Anja Sohrmann

Aber das Wandern im Nebel hat auch etwas Faszinierendes. Wenn es nur nicht so kalt und nass wäre. Ungläubig nehmen wir zur Kenntnis, wie viele Almhütten es hier oben gibt. Immer wieder tauchen am Wegesrand Hinweisschilder für weitere Lokale auf, bestimmt an die 20. Irgendwann können wir nicht mehr widerstehen und kehren in die nächste Hütte ein. Die herrlich cremigen Käsespätzle mit Salat schmecken wunderbar.

Am nächsten Tag ist der Wettergott deutlich besser drauf: Die Sonne strahlt, als wir zur ersten E-Bike-Tour unseres Lebens aufbrechen. Zu Hause bin ich leidenschaftliche Radfahrerin – ohne E, der Umwelt zuliebe, und weil ich die sportliche Herausforderung mag. Doch hier, wo es mitunter ganz schön steile Anstiege gibt, lohnt sich die elektronische Unterstützung schon. Und das Kind freut sich wie Bolle, weil es sich nicht so anstrengen muss.

Die letzte große alpine Wildflusslandschaft Deutschlands

Die Tour führt zunächst zum Sylvensteinsee. Der in den 1960er-Jahren zum Hochwasserschutz angelegte Stausee befindet sich zwölf Kilometer südlich von Lenggries. Mit seinem türkisblauen Wasser, eingerahmt von Bergen, erinnert er uns an einen Fjord. Bei großer Trockenheit soll man sogar die Reste des Dorfes Fall im Wasser sehen können, das für den Bau des Stausees geflutet werden musste.

Weiter geht es entlang der Oberen Isar. Der Fluss gilt mit seinen Auen als die letzte große alpine Wildflusslandschaft Deutschlands. Über 200 gefährdete Tier- und Pflanzenarten sind hier zu Hause, manche findet man nur noch hier. Zum Beispiel brüten Flussregenpfeifer und Flussuferläufer an der Isar. An ihren Ufern wachsen Enzian, Mehlprimel und Alpenfettkraut. Auffallend wenig Wasser fließt in dem breiten Kiesbett, denn ein Großteil davon wird zur Energiegewinnung für das Walchenseekraftwerk abgeleitet. Am Ufer sitzen Menschen beim Picknick, Sonnenbaden oder Angeln. Eine herrliche Idylle. Wir würden so gern auch hier verweilen, aber unser ambitionierter Tagesplan lässt das nicht zu: Schließlich wollen wir noch vor Einbruch der Dunkelheit zurück in Lenggries sein.

Die Obere Isar: viel Kies, wenig Wasser
Die Obere Isar: viel Kies, wenig Wasser © Anja Sohrmann

Einen Stopp legen wir schließlich noch in Wallgau ein. Wir haben großen Hunger, und trotz E-Bike sind wir nach knapp 40 Kilometern ziemlich platt. Das Dorf liegt inmitten imposanter Berghänge und bezaubert durch seine alten, zum Teil aufwendig bemalten Bauernhäuser. Der Ort selbst wirbt mit dem Fakt, dass hier die Wiege der Weltklasse-Biathletin Magdalena Neuner stand. Selbst einen nach ihr benannten Wanderweg gibt es. Im Garten vom Café „Holzer’s Alpenblick“ lassen wir uns selbst gemachtes Eis und eine Rohrnudel mit Zwetschgenfüllung schmecken. Dann schwingen wir uns wieder auf die Räder.

"Zu viele Menschen wollen dieses Naturwunder sehen“

Als Nächstes erreichen wir den Walchensee und sind geflasht: Durch seine türkisgrüne Farbe fühlt man sich beinahe in die Karibik versetzt. Jetzt im Herbst bilden die orange, gelb und rot gefärbten Blätter der Bäume einen wunderbaren Kontrast zum See und den grauen Bergriesen des Karwendelgebirges ringsum. Der Walchensee ist einer der tiefsten (bis zu 194 Meter) und größten (16,4 Quadratkilometer) Alpenseen Deutschlands. Und auch der schönste See Deutschlands – glaubt man einer Online-Umfrage. Das hat zur Folge, dass es hier im Sommer oft ganz schön eng und laut werden kann. Reiseblogger Markus Schmidt, der in der Gegend zuhause ist, bedauert das: Die Natur am See in Ruhe genießen „geht mittlerweile im Sommer nicht einmal mehr unter der Woche. Zu viele Menschen wollen dieses Naturwunder sehen.“ Gut, dass jetzt im Herbst nicht mehr so viel Trubel herrscht.

Die bayrische Karibik lässt grüßen: E-Bike-Stop am Walchensee.
Die bayrische Karibik lässt grüßen: E-Bike-Stop am Walchensee. © Anja Sohrmann
Jetzt im Herbst ist es rund um den See lauschig. Im Sommer tobt der Tourismus.
Jetzt im Herbst ist es rund um den See lauschig. Im Sommer tobt der Tourismus. © Anja Sohrmann
Auch der Sylvensteinsee zieht Massen in seinen Bann - in der Hochsaison.
Auch der Sylvensteinsee zieht Massen in seinen Bann - in der Hochsaison. © Anja Sohrmann

Ein Highlight für Kinder gibt es übrigens gleich nebenan im Ort Walchensee. Dort kann man die Filmkulisse des Wikingerdorfs Flake aus Bully Herbigs „Wickie und die starken Männer“ besuchen. Der Film wurde 2008 in dieser Gegend gedreht.

Die Sonne sinkt, die Zeit drängt. Wir lassen den Walchensee schweren Herzens hinter uns und machen uns auf den Heimweg. Immer an unserer Seite: die Isar. Nach 75 Kilometern sind wir zurück in Lenggries, es dämmert bereits.

Am letzten Tag werden wir in unserem Hotel von Marschmusik geweckt. Beim Blick aus dem Fenster – wir übernachten im „Altwirt“ vis-á-vis der Kirche – erblicken wir einen Spielmannszug, dahinter laufen Dutzende Menschen in Zweierreihen in bayerischer Tracht in Richtung Gotteshaus. Erst kommen Frauen in farbenfrohen Dirndln und mit Blumen im Haar, danach Männer mit Trachtenjanker und Gamsbarthüten. Wie wir später im Hotel erfahren, wurde eine Hochzeit gefeiert.

Die Hochzeitsgesellschaft auf dem Weg in die Kirche von Lenggries.
Die Hochzeitsgesellschaft auf dem Weg in die Kirche von Lenggries. © Anja Sohrmann

Zum Abschluss unserer kleinen Reise wollen wir am Streidlhang, am Fuß des Braunecks, Bullcarts fahren – eine Art Gokart mit drei großen, dicken Reifen. Auf dem Vehikel ohne Motor wird man zuerst per Lift nach oben gezogen. Dann klinkt man sich aus und rollt auf einer Schotterpiste ins Tal. Das macht ordentlich Gaudi. Im Bikepark nebenan stürzen sich derweil Mountainbiker über Rampen den Berg hinab. An Freizeitaktivitäten für Familien mangelt es in Lenggries – abseits von Wandern, Radeln und Klettern – offensichtlich nicht. Auch eine Sommerrodelbahn, ein Freibad und ein Hallenbad gibt es.

Der Wanderweg zurück zum Hotel führt wieder an der Isar entlang. Unterwegs beobachten wir Rinder, die übermütig über eine Wiese rennen. Glückliche Kühe, wie schön. Am Fluss lassen wir Steine übers Wasser hüpfen, springen von Insel zu Insel und genießen das warme Wetter. Dann ist unser Kurzurlaub auch schon rum. Das nächste Mal, so nehmen wir uns vor, bleiben wir länger. Damit wir endlich mal sehen, ob das mit der Allianz-Arena wirklich stimmt. Und um ein Picknick an der Isar zu machen. Und Baden in den Seen, das wäre auch mal was.

Sparen mit der Gästekarte:

Anfahrt: mit dem Auto von Dresden rund 550 km, mit der Bahn etwa sechs Stunden (ab 80 Euro für Hin- und Rückfahrt).

Übernachtung: zum Beispiel Hotel „Altwirt“, DZ/F ab 46 Euro p. P.

Bergbahn Brauneck: einfache Fahrt Erw. 11,50 Euro, Kinder (sechs bis 15 Jahre) 6,50 Euro.

E-Bike-Verleih: Im „Altwirt“ gibt es verschiedene Modelle (ab 38 Euro pro Tag).

Bullcart: ab zwölf Jahre, Einzelticket 5 Euro, drei Fahrten 12 Euro.

Gästekarte: kostenlose Busnutzung und weitere Rabatte; kostenlos erhältlich bei den Gastgebern in Hotels, Pensionen und Ferienwohnungen.

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Die Recherche wurde unterstützt von der Tourist Information Lenggries.

www.lenggries.de