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In Turow wird weiter gebaggert

Die EU warnt Polen davor, trotz Abbau-Stopp weiter Kohle zu fördern. Hohe Strafgelder drohen. Polen verhandelt mit Tschechien, der Bund prüft Klage-Beitritt.

Von Anja Beutler & Petra Laurin & Klaus-Peter Längert
 6 Min.
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Im Tagebau Turow wird trotz des Abbaustopps, den der Europäische Gerichtshof erlassen hat, normal weitergearbeitet.
Im Tagebau Turow wird trotz des Abbaustopps, den der Europäische Gerichtshof erlassen hat, normal weitergearbeitet. © Rafael Sampedro (Archiv)

Der polnische Premierminister Mateusz Morawiecki hat es bereits kurz nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) klar gemacht: Polen wird der Einstweiligen Anordnung des EuGH zur sofortigen Stilllegung des Braunkohletagebaus Turow nicht folgen. "Wir werden das Leben, die Gesundheit und die Sicherheit der polnischen Bürger nicht gefährden, weil jemand im Europäischen Gerichtshof dies oder jenes entschieden hat", zitiert ihn nach der Entscheidung am Freitag unter anderem die Online-Zeitung Money.pl.

In der Tat, so berichten Augenzeugen, läuft der Grubenbetrieb in Turow als wäre nichts geschehen. Auch am Wochenende standen die Maschinen nicht still, berichtet ein Augenzeuge, der in der Nähe wohnt und viele Leute kennt, die im Tagebau arbeiten. Ganz so entspannt scheint die polnische Regierung dann aber doch nicht zu sein. Zumal es auch in Polen Kritik an der bisherigen Haltung gibt. So sagte der ehemalige Parlamentssprecher Marek Borowski: "Wenn wir nicht gehorchen, wird der EuGH wahrscheinlich Tagessätze verhängen, die wir bezahlen müssen."

EuGH kann Zwangsgelder verhängen

Damit könnte er recht behalten, denn genau das hat die EU-Kommission jetzt angedroht, berichtet die Nachrichtenagentur dpa. Auch Tschechien macht deutlich, dass man "dem Gericht ein Bußgeld vorschlagen" werde, "das Polen dazu motivieren wird, die Entscheidung des Gerichts zu respektieren", heißt es in einer Pressemitteilung des tschechischen Umweltministeriums. In der Tat hängt in diesem Fall viel von Tschechien ab, bestätigt Balasz Lehóczki von der Presseabteilung des Europäischen Gerichtshofes. Der Abbaustopp gelte ab sofort und grundsätzlich obliege es der Tschechischen Republik, zu prüfen, ob Polen sich an die EuGH-Anordnung hält. Sollte dies nicht so sein, könne das Land einen Antrag beim Gerichtshof einreichen, der den Verstoß feststelle.

Die Folge wären Zwangsgelder. Für Polen wäre das nicht neu: Bereits beim Streit um das Abholzen im Bialoweza-Waldes musste Polen 100.000 Euro pro Tag zahlen und stellte die Arbeiten dann ein. So weit soll es gar nicht erst kommen, denn zwischen Polen und Tschechien gibt es Bewegung: Noch am Pfingstmontag begannen auf Initiative der polnischen Seite Gespräche: Der Hauptman der Region Liberec, Martin Půta, und der Marschall der Provinz Niederschlesien, Cezary Przybylski, sowie Regierungsmitglieder beider Seiten kamen zusammen. Es sei um die Bedingungen gegangen, unter denen die Tschechische Republik bereit wäre, die Klage gegen Polen endgültig zurückzuziehen.

"Es wurde keine Einigung erzielt, die Klage bleibt bestehen, es wurde nichts vereinbart, die polnische Seite ist in Bewegung", teilte Tschechiens Ministerpräsident Andrej Babiš an diesem Dienstag als Quintessenz der Beratungen mit. Dennoch gibt es offenbar Mut machende Entwicklungen, die Hauptmann Půta als "ein gutes Signal für eine erfolgreiche Lösung der gesamten Situation" bezeichnete. Und auch in Polen kursierten bereits Aussagen, man stünde vor dem Durchbruch.

Zittau: Bisher zu Diplomatie geraten

Welche Sorge Polen umtreibt, zeigt die erste Reaktion des Marschalls der Region Niederschlesien, Cezary Przybylski, der die EuGH-Entscheidung als "gesellschaftlich und wirtschaftlich ungerecht, leidvoll und schädlich" bezeichnet. Die Folgen bedeuteten "ein Drama für Tausende Bewohner des westlichen Teil Niederschlesiens, die Arbeitsplätze im Turower Revier haben und wirtschaftlich mit der Tätigkeit des Komplexes Turow verbunden sind." Er forderte deshalb eine Lösung, die das Gemeinwohl der Bewohner in Niederschlesien und die energetische Sicherheit Polens berücksichtige. Genau das verhindert Kritikern zufolge die polnische Regierung aber durch ihre bisherige, konservative Kohlepolitik, die es unmöglich macht, dass das Land Gelder aus dem Just Transition Fonds für einen Strukturwandel bekommt.

Auch auf deutscher Seite hat man die EuGH-Entscheidung mit Freude aufgenommen. Oberbürgermeister Thomas Zenker (Zkm) gratulierte "vor allem der tschechischen Regierung". Zenker hofft nun, der Abbaustopp werde auch den Freistaat und die Bundesregierung zum Handeln bringen. „Man hat mir und auch den Landtagsabgeordneten bislang lieber zu mehr Diplomatie geraten“, sagt OB Zenker. Dabei hatten sich aus Zittauer Sicht zuletzt aber Verfahrensfehler und Fehlinformationen von polnischer Seite gehäuft, Aufforderungen zu mehr Information wurden ignoriert. Er betont aber immer wieder, dass es ihm nur darum geht, die Zittauer Interessen zu wahren und nicht den Polen vorzuschreiben, was sie zu tun hätten.

Linke fordert Untersuchung für Zittauer Gebirge

Zittau hatte daraufhin per Stadtratsbeschluss bei der Europäischen Kommission Beschwerde eingelegt und den Freistaat Sachsen um Unterstützung gebeten. Inzwischen hat sich Zenker auch an die Bundesregierung gewandt. Doch noch ist nicht entschieden, wie sich die Bundesrepublik verhalten wird, betont eine Sprecherin des Wirtschaftsministerium, das die Entscheidung mit dem Umweltministerium vorbereitet. Die Frist zur Entscheidung laufe bis 31. Mai.

Zustimmung kommt auch vom klimapolitischem Sprecher der Grünen-Fraktion im Sächsischen Landtag, Daniel Gerber. "Angesichts der wissenschaftlichen Erkenntnisse über die länderübergreifenden negativen Einflüsse des Tagebaus, stehe ich nach wie vor gegen die Ausbaupläne des Tagebaubetreibers“, teilte er mit. Das tun auch die sächsischen Linken und mit der Weißwasseraner Abgeordneten und Sprecherin für Umwelt- und Energiethemen, Antonia Mertsching. In einem aktuellen Antrag fordert die Linksfraktion die Staatsregierung auf, umfassend zu ermitteln, welche Umweltschäden dem Zittauer Gebirge und der gesamten Region infolge der Tagebauerweiterung drohen, und daraus Schlussfolgerungen zu ziehen. Sie verweist auf eine potenzielle Verschmutzung des Grundwassers unter anderem mit Schwermetallen, was sich auch auf die Neiße auswirken könnte. Hinzu kommen die Absenkung des Grundwasserspiegels in einigen Bereichen des Zittauer Beckens und eine stärkere Bodensenkung am Rand der Zittauer Innenstadt. "Die Staatsregierung muss ihre Passivität überwinden und sich für die Zittauer Region einsetzen“, fordert sie.

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