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Personalexpertin erklärt: Warum sind so wenige Ostdeutsche Chefs?

Die Personalexpertin Constanze Buchheim erklärt, warum es vielen Ostdeutschen schwerfällt, Verantwortung zu übernehmen, und warum Macht etwas Gutes ist.

Von Nora Miethke
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Constanze Buchheim, 1981 in Querfurt (Sachsen-Anhalt) geboren, ist Gründerin der Personal- und Organisationsberatung i-Potentials. Sie sucht im Auftrag von Unternehmen Führungskräfte für den digitalen Wandel.
Constanze Buchheim, 1981 in Querfurt (Sachsen-Anhalt) geboren, ist Gründerin der Personal- und Organisationsberatung i-Potentials. Sie sucht im Auftrag von Unternehmen Führungskräfte für den digitalen Wandel. © Annette Koroll

Frau Buchheim, Sie haben in einem Artikel für das Handelsblatt einen Trend zu mehr Impact-Gründungen im Osten als im Westen ausgemacht. Woran stellen Sie das fest?

Die großen Finanzierungsrunden 2022 zeigen, dass in Ostdeutschland im Unterschied zu München und Berlin immer häufiger in technologiebasierte Innovationen investiert wird, die ein gesellschaftliches Problem betreffen. Wir sehen bei Umwelttechnologien mehr Aktivität unter den Gründern in Ostdeutschland. Statistische Erhebungen gibt es dazu allerdings noch nicht. Warum das so ist? Dazu gibt es erst recht keine Erhebung, auch weil der Osten in der Vergangenheit oft ein blinder Fleck war.

Was hat das jetzt mit Impact-Gründungen zu tun?

Ostdeutsche haben eine sehr gute technologische Grundausbildung. Während in den Start-up-Hotspots Businessplan- und BWL-Gründungen überwiegen, sind es im Osten echte technologische Ideen, bei denen die Gründer Lösungen für ein Thema finden wollen. Das ist eine ganz andere Motivation. Wir hören ganz oft: „Das mache ich nicht für den Exit.“

Zur Person:

  • Constanze Buchheim ist Gründerin und Managing Partner von i-potentials, der führenden deutschen Executive-Search-Boutique im Kontext von Digitalisierung, Entrepreneurship und Innovation.
  • Sie begann ihre Karriere 2006 nach dem BWL-Studium in Leipzig als Assistentin des Vorstandsvorsitzenden von Spreadshirt, baute dort den HR-Bereich auf und begleitete in den Jahren danach den Aufbau und die Skalierung zahlreicher bekannter Start-ups.
  • Als anerkannte Expertin für Recruiting & Führung prägt sie seither die Führungs- und Organisationsstrukturen von Unternehmen und berät die Bundesregierung als Mitglied der Monopolkommission. Sie ist auch als Aufsichtsrätin tätig, seit 2021 auch im Aufsichtsrat der Handelshochschule Leipzig.

Sind Ostdeutsche wirklich interessierter an der Lösung von Umweltproblemen? Ist das nicht eine Frage des Alters? Ich nehme wahr, dass viele ältere Ostdeutsche die Aufmerksamkeit für Nachhaltigkeit übertrieben finden.

Das stimmt, das kann ich aus meinem Bekanntenkreis bestätigen. Der Grund dafür ist, dass viele meist ältere Ostdeutsche zu wenig aus dem eigenen Netzwerk heraustreten, zu wenig Offenheit entwickeln dafür, was im Rest der Welt passiert. Im Fokus steht häufig, wie ich damit klarkomme, was hier vor Ort und bei mir passiert und da bin ich schon so herausgefordert, dass ich mich nicht noch um andere Themen kümmern kann, vor allem Themen, die mein Leben noch schwerer machen könnten. Dieses Verhalten sehe ich an ganz vielen Stellen. Deshalb sind Gründungszentren so wichtig, weil da unterschiedliche Eindrücke und Einflüsse zusammenkommen und dadurch neue Ideen entstehen.

Verbessert sich die Finanzierungssituation für technologisch getriebene Startups? Und ist das eine besondere Chance für den Osten?

Ich sehe eine Veränderung, aber noch keine Trendwende. Was sich aktuell beobachten lässt, ist aber Folgendes: Nicht mehr die Unternehmen, die am schnellsten wachsen und skalieren, sind die großen Gewinner, sondern die, die es schnell schaffen, profitabel zu sein und eine Unternehmensführung haben, die darauf hinlenkt und führt. Es wird stärker und bewusster in Technologien investiert, die nicht so schnell unter Druck geraten, weil sie schlechter kopierbar sind. Das ist eine Chance für Ostdeutschland, wo die Ingenieurskunst ausgeprägter ist. Unglaublich, welche spannenden Dinge an der TU Dresden, in Ilmenau oder Jena entstehen, doch sie müssen es auch aus ihren Blasen heraus schaffen.

Wie lässt sich das ändern?

Unsere kulturelle Prägung im Osten ist: Ich konzentriere mich darauf, worin ich gut bin und dann wird sich das schon herumsprechen und Menschen werden auf mich zukommen. Aber in einer Welt der Informationsüberflutung, in der Netzwerke immer relevanter werden, um Informationen in die richtige Richtung zu schicken, reicht das nicht. Es gibt oft keine Fähigkeit und Bereitschaft zur Selbstvermarktung. Denn auch dafür brauche ich Netzwerke, weil glaubwürdige Informationen über Beziehungen fließen. Ich beobachte, dass im Osten oft die Kompetenz fehlt, strukturiert Netzwerke aufzubauen. Das lässt sich lernen.

Und was braucht es noch?

Mehr Mut und Glaube an sich selbst, aber auch eine andere mediale Darstellung des Ostens. Der Fokus muss auf das gerichtet sein, was machbar ist, raus aus der Opferhaltung in eine Schöpferhaltung kommen. Wenn wir einen Gestaltungsanspruch haben, müssen wir uns den nehmen. Neben der Verantwortung der Medien und mehr Gestalterdrang merke ich aber auch eine gewisse Ablehnung von Eliten. Alles, was mich über einen anderen stellt, wird kategorisch abgelehnt.

Der Ostbeauftragte Carsten Schneider sieht den Grund dafür in der ausgeprägten Wir-Orientierung. Führt sie dazu, dass so wenige Ostdeutsche in Führungspositionen sind, weil sie nicht über andere entscheiden wollen?

Genauso ist es. Das ist ein Teil des kulturellen Erbes, das wir tragen. Ich war im vergangenen Juni beim Ostdeutschen Wirtschaftsforum. Ein ganzer Raum voller Entscheider und Entscheiderinnen. Als gefragt wurde, wie viele sich als Elite bezeichnen würden, meldeten sich 15 Prozent. Doch elitär zu sein, ist nichts Schlechtes. Es bedeutet, sich eine Position erarbeitet zu haben, in der man eine besondere Stellung hat. Hätten sie das nicht, wären sie nicht auf diesem Wirtschaftsforum gewesen.

Worauf kommt es also an, um mehr Ostdeutsche in Führungspositionen zu bringen?

Auf mehr Offenheit. Verschlossen bleiben in der eigenen Blase, ist ein Angstverhalten. Ich bleibe in meinem geschützten Raum, den ich kenne, weil mir hier weniger passieren kann. Ich habe ein Misstrauen dem gegenüber, was mir da draußen passieren kann. Dem lässt sich begegnen, wenn ich ein Vertrauen darauf habe, dass ich Probleme lösen kann. Das Etablieren von Selbstwert ist der große, große Hebel, der nicht zu unterschätzen ist. Zu dem muss der Umgang mit Macht und Verantwortung – hier sind die Medien in der Pflicht – neu konnotiert werden. Macht ist im Osten meistens sehr schlecht konnotiert, weil die Menschen im totalitären System sahen, dass wer die Macht hatte, damit nicht sehr verantwortungsvoll umgegangen ist. Daraus entsteht eine Ablehnung der Eliten in Kombination mit der Erfahrung, dass alle zusammenhalten und gleich sind. Nur weil eine bestimmte Gruppe mit der Macht nicht verantwortungsvoll umgegangen ist, heißt das nicht, dass Macht per se etwas Schlechtes ist. Macht ist etwas Gutes, denn es geht um „machen“, wie das Wort schon sagt. Wenn wir medial, in den Schulen und Universitäten die Haltung des Gestaltens neu definieren und sagen, ihr braucht auch Macht, um verändern zu können, lässt sich das Denken ändern. Und bei der Verantwortungsübernahme kann das „Wir“ sogar helfen.

Warum?

Das „Wir“ schütze ich nicht, in dem wir kollektiv in eine Lähmung verfallen, sondern indem „ich“ in Führung gehe, aber bei meinen Handlungen das „Wir“ in den Vordergrund stelle. Ich propagiere das Konzept der reifen Führung. Diese ist erreicht, wenn ich eine Führungsrolle annehme und mich nicht von den eigenen Bedürfnissen leiten lasse, sondern von denen, die im Interesse der Organisation sind, die ich leite. Das ist auch Macht. In der Generation meiner Eltern sehe ich eher die Haltung: Es geht jetzt erst einmal um mich, weil von mir schon genug genommen wurde. Dieses misstrauische ‚Ich bin enttäuscht von der Macht, von der Elite’. Die jüngere Generation will dagegen gestalten. Aus diesem Momentum entsteht das neue Unternehmertum. In der Schule oder an der Universität hat mich nichts von Unternehmertum erreicht. Das muss sich ändern. Wir müssen junge Menschen früher heranführen.

Wie kann die Politik diesen Prozess unterstützen?

Politik muss zum Mutmacher werden. Ich erlebe Politik in Diskussionen oft als desillusioniert, pessimistisch, konzentriert auf das, was nicht funktioniert. Das zieht runter und ist keine Führung. Politik ist gesellschaftliche Führung. Politiker müssen ihre gesellschaftliche Führungsrolle annehmen, eine Vision oder eine Idee entwickeln, wohin sie mit einer Region oder einem Thema wollen. Wenn sie dafür eine Strategie haben, für die sie sich auch bei Gegenwind einsetzen, unabhängig davon, ob ihnen das die Gunst einzelner Gruppen einbringt oder nicht, dann gewinnen sie auch die Gunst von Gruppen. Mit dem Verfolgen einer Vision mithilfe Strategie produzieren sie Ergebnisse und Erfolge, nicht andersherum.

Das Gespräch führte Nora Miethke