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Wer beim Klimaschutz auf E-Fuels setzt, gaukelt uns etwas vor

Im sächsischen Freiberg werden tausende Liter E-Fuels hergestellt. Der Kraftstoff soll den klimaschädlichen Benziner retten. Das stößt auf Kritik. Ein Gastbeitrag.

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Professor Udo Becker forscht an der TU Dresden zur Mobilität von Morgen.
Professor Udo Becker forscht an der TU Dresden zur Mobilität von Morgen. © TU Dresden, , Andrea Surma

Ein Gastbeitrag von Udo Becker

E-Fuels sind Kraftstoffe, die aus Strom in speziellen Anlagen hergestellt werden. Sie sind faszinierend, weil sie eine hohe Energiedichte haben, 50 Liter E-Fuel bringen ein Auto viel weiter als 50 Kilogramm Batterien. Deshalb sind sie vor allem für den Verkehr sehr gut geeignet. Damit das Ganze aber dem Klimaschutz dient, dürfen E-Fuels eigentlich nur aus regenerativem Strom hergestellt werde, also aus Windkraft oder Photovoltaik. Zurzeit werden regenerative E-Fuels von vielen Parteien als die Problemlösung für den Verkehr der Zukunft angepriesen. Aber immer, wenn etwas nur Vorteile zu haben scheint, muss man genauer hinschauen …

… denn leider ist es auch hier so: Wer uns heute die E-Fuels als Lösung des Problems verkauft, der gaukelt uns etwas vor.

Denn E-Fuels sind nur extrem energieaufwändig herstellbar, sie bräuchten viele neue „E-Fuels-Raffinerien“, die es noch nicht gibt und die man erst noch bauen müsste. Und sie sind vor allem "physikalisch teuer ". Denn dafür braucht man sehr viel regenerativ erzeugte Energie, nicht nur für die Kraftstoffe selbst, sondern eben auch für die Infrastruktur, und natürlich auch für die vielen zusätzlichen Windräder und Photovoltaik-Anlagen.

Durch E-Fuels steigt die Abhängigkeit von anderen Ländern

Wir haben ja schon eine ganze Menge Windräder und Solarzellen, und dennoch reicht diese regenerative Energie noch lange nicht für die stationären Stromverbraucher. Seit Jahren streiten wir uns über die Verspargelung der Landschaft - mit E-Fuels bräuchten wir ein Vielfaches der heute vorhandenen Windparks und Photovoltaik-Anlagen. Die Herstellung von E-Fuels ist aber sehr ineffizient, dort wird viel Sonnenenergie für wenig Ertrag eingesetzt. Nur so als Beispiel: Laut VDE-Berechnungen kann eine Windkraftanlage mit einer Leistung von drei Megawatt zwar 1.600 E-Fahrzeuge versorgen, aber nur 250 Fahrzeuge mit E-Fuels.

Effizient wäre der synthetische Kraftstoff vielleicht, wenn wir ihn in Regionen erzeugen, wo überreichlich Sonne und Wind vorhanden ist, um dort den Kraftstoff klimaneutral herzustellen. Darauf setzt momentan Porsche: Der Autohersteller baut in Chile eine Anlage, um grünes Benzin aus Windkraft zu produzieren. Und die Anlage dort produziert derzeit 130.000 Liter pro Jahr.

Diese Lösung, E-Fuels aus anderen Ländern nach Deutschland zu bringen, macht aber auch nur Sinn, wenn erstens im Erzeugungsland schon alle fossilen Energieverwendungen durch regenerative Lösungen ersetzt wären und wenn zweitens alle Länder dort sowie auf dem Weg hierher mitmachen, ja friedlich agieren. Der russische Angriffskrieg hat uns jedoch gezeigt, was es bedeutet, wenn wir uns von anderen Ländern dermaßen abhängig machen. Und auch, selbst wenn das klappen würde: Allein der Aufbau der „E-Fuel-Fabriken“, die dann die Erdöl-Raffinerien ersetzen, dauert: Es geht nämlich nicht um eine Pilotanlage, sondern um Anlagen für 60 Millionen Fahrzeuge, die 2022 allein in Deutschland 64,5 Milliarden Liter Kraftstoff verbraucht haben. Nur so zur Erinnerung: Wir wollen und müssen bis spätestens 2045 absolut klimaneutral sein, also dann ist Schluss mit Benzin und Diesel.

E-Fuels werden immer teurer bleiben

Technisch wäre das machbar, das wissen wir – aber die Herstellung von synthetischen Kraftstoffen aus regenerativem Strom wird auch teurer bleiben: Eben weil es prinzipiell aufwändig ist und man viele Stufen mit jeweils verschiedenen Wirkungsgraden durchlaufen muss, und auf jeder Stufe treten Verluste auf. Selbstverständlich müssen wir weiterforschen, unbedingt: Wir werden die einzelnen Schritte optimieren, die Anlagengröße wird steigen, die Produktion wird billiger werden. Die Kosten der Pilotprojekte jetzt sind kein Maßstab, sie werden im Laufe der Zeit noch sinken – aber wir werden nie in auf die Preise kommen, die wir heute von Benzin und Diesel gewohnt sind.

Nur so zur Verdeutlichung: Die von Bundesverkehrsminister Volker Wissing mit hohen Zuschüssen geförderte "Großversuchsanlage" in Freiberg kann in vier Jahren 380.000 Liter E-Fuels erzeugen – auch das ist schon technisch eindrucksvoll. Den deutschen Steuerzahler aber kostet jeder dort erzeugte Liter E-Fuel etwa 34 Euro Zuschuss. Und im Endeffekt könnte aus dieser ersten Anlage jeder der derzeit etwa 2,2 Millionen Pkws in Sachsen etwa 0,04 Liter E-Fuel im Jahr beziehen: Das ist weniger als in ein Schnapsglas passt, und ein Auto käme da keinen Kilometer weit.

Kritik an Freiberger Großversuchsanlage

Nun kann man mal rechnen: Wenn ein typisches Auto heute 1000 Liter Benzin im Jahr tankt, und wenn das alles mit E-Fuels erzeugt werden müsste, dann müssten wir für einen völligen Umstieg in den nächsten Jahren über 23.000 dieser E-Fuel-Anlagen von der Größe der Freiberger Großversuchsanlage nur für sächsischen Pkws bauen. Der Lkw-Verkehr ist da noch nicht berücksichtigt. Unstrittig ist: Alle diese Zahlen werden sich noch deutlich verbessern. Aber die Hoffnung, dass E-Fuels irgendwann zu Preisen wie herkömmliches Benzin oder Diesel an der Tankstelle verkauft werden, die ist absolut illusorisch.

Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) und Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU), betanken vor der Großversuchsanlage für E-Fuels der TU Bergakademie Freiberg ein Fahrzeug mit dem synthetischen Kraftstoff.
Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) und Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU), betanken vor der Großversuchsanlage für E-Fuels der TU Bergakademie Freiberg ein Fahrzeug mit dem synthetischen Kraftstoff. © dpa


Und damit komme ich zum entscheidenden Punkt, zur gesellschaftlichen Debatte. Wir in Deutschland haben uns in den vergangenen Jahren einen unglaublichen Luxus zugelegt, was zum Beispiel Reisen, Wohnfläche und Konsum angeht. Und das allermeiste wird mit fossiler Energie erzeugt oder betrieben. Dummerweise verbrennt dabei im wahrsten Sinne des Wortes unser Planet: Wir verfeuern unsere Zukunft, wenn wir so weitermachen. Also müssen möglichst schnell, am besten sofort, alle Maßnahmen konkret umgesetzt werden, die weniger Kohlenstoffdioxid (CO2) erzeugen.

Das ist unbequem, ärgerlich, macht Angst, und am besten wäre es, man könnte alles auf später verschieben. Es wäre ja schön, wenn die fossile Party noch eine Weile weiterginge. Also sagen manche: „In ein paar Jahren wird ganz viel E-Fuel billig verfügbar sein, wir müssen uns keine Sorgen machen, wartet ruhig ab!“

Aber damit verhindern sie alle Schritte zur Energieeinsparung, die wir heute gehen könnten.

Klimaaktivisten protestierten im März in Berlin gegen die Politik der FDP, die den Ausbau synthetischer Kraftstoffe für Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren unterstützt.
Klimaaktivisten protestierten im März in Berlin gegen die Politik der FDP, die den Ausbau synthetischer Kraftstoffe für Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren unterstützt. © www.snapshot-photography.de

E-Fuels als Lösung für Landärzte, Feuerwehr, Flugzeuge

Nochmal: E-Fuels sind eine tolle technische Variante und sie müssen unbedingt weiter erforscht werden. Aber sie dürfen nicht als Argument vorgeschoben werden, um heute keinen Klimaschutz betreiben zu müssen. E-Fuels können vielleicht eine Nischenlösung sein, für Feuerwehren und Landärzte, Expeditionen und Oldtimer, bei Flugzeugen haben wir kaum eine andere Wahl – aber sie sind keine Lösung für die 60 Millionen Fahrzeuge bei uns.

Wir brauchen dagegen mehr Züge und Straßenbahnen, die können Strom viel effizienter nutzen, wir brauchen viele Radwege und Läden in der Nähe, wir brauchen Carsharing und natürlich auch CO2-Steuern, ein Tempolimit sowieso, wir brauchen viele Solarpanels und Windkraftanlagen – und es kann nur klappen, wenn wir auch unser alltägliches Verhalten ändern. Die Zeiten von "Wochenendflug nach Mallorca" und Autos mit 250 km/h sind leider aus physikalischen, aus ökologischen und aus energetischen Gründen vorbei. Statt Millionen in E-Fuels zu stecken, brauchen wir mehr Gelder für die Fußgänger- und Radverkehrsförderung, für Läden, Schulen, Ärzte in der Nähe, sodass wir eben nicht immer so weit fahren müssen. Wir brauchen all das, was uns mobil hält - aber mit weniger Energie als heute. Und wer mit dem Hinweis auf E-Fuels heute Klimaschutz im Verkehr verhindert, der gaukelt uns was vor.

Von Udo Becker, Professor für Verkehrsökologie der TU Dresden