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Wie Kretschmer und Habeck die Wirtschaft zum wachsen bringen wollen

Der finanzielle Spielraum des Staates ist kleiner geworden, der Investitionsbedarf wird größer - wie damit umgehen? Der Bundeswirtschaftsminister und Sachsens Ministerpräsident haben da unterschiedliche Antworten.

Von Nora Miethke
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Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und Sachsens Ministerpräsident  Michael Kretschmer auf den 5. Transformationsgesprächen am Montag in Berlin.   Foto:www.imago-images.de
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer auf den 5. Transformationsgesprächen am Montag in Berlin. Foto:www.imago-images.de © www.imago-images.de

Die deutsche Wirtschaftsleistung ist im vergangenen Jahr um 0,3 Prozent geschrumpft. In diesem Jahr sagen die Ökonomen ein Mini-Wachstum von 0,2 bis 0,3 Prozent voraus, vielleicht werden es auch 0,5 Prozent. Auf jeden Fall zu wenig, um all die staatlichen Ausgaben vom Bürgergeld, über die Ertüchtigung der Bundeswehr, in Kitas und Schulen bis zu den Subventionen für den Agrardiesel zu bezahlen. Diese Wachstumsschwäche muss überwunden werden, um den Verteilungsspielraum zu vergrößern. Darin waren sich Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) bei ihrem "Transformationsgespräch" zur Zukunft des deutschen Wirtschaftsstandorts Montagabend in Berlin einig. Doch beim „wie“ gehen sie getrennte Wege.

Kretschmer sieht die Hauptursachen für die Stagnation in einer „unkalkulierbaren Energiepolitik“, zu viel Bürokratie und dem Arbeitskräftemangel. Er forderte am Montag neue Gesetze mit zusätzlichen Berichtspflichten wie das europäische Lieferkettengesetz auf Eis zu legen. Auch eine Reform der Arbeitszeitgesetze sei vonnöten , um der zunehmenden Teilzeitarbeit Einhalt zu gebieten. „Hier muss jeder 40 Stunden in der Woche arbeiten“, so Kretschmer.

Beim Arbeitskräftemangel als größter Wachstumsbremse stimmte Habeck ihm zu, vermisste jedoch einen Lösungsweg – Geld. „Unternehmen wie Meyer Burger gehen weg, wenn wir ihnen kein Geld geben. Ohne diese „blöden“ Subventionen aus dem BMWK wäre TSMC nicht nach Dresden gekommen“, sagte Habeck. Die Bundesregierung unterstützt den Bau der Chipfabrik des Weltmarktführers in Dresden mit Subventionen in Höhe von fünf Milliarden Euro. Die Milliarden-Zuschüsse für die Halbleiterindustrie lässt Kretschmer wegen „der enormen Marktverzerrung“ noch gelten, doch prinzipiell hält er Subventionen für „ein Strohfeuer, dass nur zu hoher Verschuldung führt“.

Debatte um Lockerung der Schuldenbremse

So war das eigentliche Thema des Abends , ob die Schuldenbremse zur Finanzierung von Zukunftsinvestitionen gelockert werden sollte oder nicht? Sie war als Lehre aus der schweren Finanzkrise 2009 in die Verfassung aufgenommen worden und erlaubt Bund und Ländern nur eine Neuverschuldung in Höhe von 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Um diese strenge Regel zu umgehen, hat die Politik Notlagen ausgerufen und Sondervermögen geschaffen. Die Verfassungsrichter haben dieser Praxis mit ihrem Urteil zum Klima- und Transformationsfonds einen Riegel vorgeschoben und damit die Debatte um die Schuldenbremse entfacht. Denn der finanzielle Spielraum des Staates ist kleiner geworden, während der Investitionsbedarf mit Blick auf den Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft zur Klimaneutralität, den demografischen Wandel und den Krieg in der Ukraine immer größer wird.

Robert Habeck ist klar ein Befürworter einer Lockerung. Die Vorschrift eines ausgeglichenen Haushalts, also dass der Staat innerhalb eines Jahres nicht mehr ausgeben dürfe als er durch Steuern und Abgaben einnehme, verhindere einfache, unbürokratische Investitionsprogramme wie in den USA, betonte der Grünen-Politiker. Der Inflation Reduction Act (IRA), das Förderprogramm der Amerikaner zur Ankurbelung von Investitionen in die Energiewende, funktioniert über Steuerrabatte. Da die US-Regierung nicht weiß, wie stark diese Steuerrabatte in Anspruch genommen werden, wüsste sie nicht, wie teuer der IRA werde, so Habeck. „Ich würde gern ein Steuerrabatt-System einführen, aber da der Haushalt immer ausgeglichen sein muss, sind solche Steuerprogramme nicht möglich“, führte der Wirtschaftsminister aus. Er sei hoch motiviert von seiner Reise aus den USA zurückgekommen, um die Debatte zu führen, kündigte er an. Deutschland stehe bei der Schuldenquote von derzeit 66,1 Prozent im internationalen Vergleich gut da. „Ich rede nicht von einer grenzenlosen Verschuldung wie in den USA. Aber warum bekommen wir nicht eine gewisse Flexibilität bei der Verschuldung im Rahmen von einem Prozent hin“, fragt Habeck. Er weiß die sogenannten Wirtschaftsweisen und andere Ökonomen wie zum Beispiel Michael Hüther, Chef des arbeitgebernahen Instituts für Wirtschaftsforschung in Köln auf seiner Seite.

© iwd

Michael Kretschmer dagegen vermied wie schon kürzlich auf einer Konferenz der Energiewirtschaft in Cottbus klare Aussagen zur Subventionierung von Zukunftstechnologien, obwohl Sachsen stark davon profitiert. Er kommt immer wieder auf das Aussetzen des Lieferkettengesetzes und die 40-Stunden-Woche als Heilmittel zu sprechen. Denn die Spitze seiner Partei CDU lehnt - wie auch die FDP - die Reform der Schuldenbremse strikt ab.

Dabei liegt das nach Ansicht von Finanzexperten auch im sächsischen Interesse. Thomas Lenk, Finanzwissenschaftler an der Universität Leipzig, ist der festen Meinung: „Wir müssen unsere Schuldenbremse anpassen“. Er verwies auf eine Studie seines Instituts, dass allein der kommunale Investitionsbedarf im Freistaat bis zum Jahr 2026 auf fast zehn Milliarden Euro steigen werde. Ein Drittel entfalle auf Schulen und andere Bildungsreinrichtungen. Wie soll das finanziert werden?

Die Lockerung der Schuldenbremse um 0,15 Prozent wäre mit den europäischen Vorgaben durchaus vereinbar, benötigt jedoch eine Grundgesetzänderung, für die es in absehbarer Zeit keine Mehrheit im Bundestag geben wird. „Wir lassen daher jedes Jahr einen einstelligen Milliardenbetrag ungenutzt liegen“, so der Wissenschaftler. Alternativ wäre analog zum Bundeswehrsondervermögen auch ein Sondervermögen, beispielsweise zur Transformation der Wirtschaft und des öffentlichen Sektors möglich. Gerade im Hinblick auf den Investitionsstau bei den Kommunen, sei dies notwendig. Auch hierfür bräuchte es jedoch eine Zwei Drittel-Mehrheit. Angesichts der Herausforderungen in den Bereichen Klimaschutz, Energieversorgung, Verkehr, Digitalisierung und Infrastruktur, aber auch den langfristigen Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt, seien öffentliche Mittel notwendig - in Sachsen wie in ganz Deutschland, so Lenk. Und öffentliche Aufträge würden auch das Wirtschaftswachstum ankurbeln.

Zum Schluss der Diskussion in Berlin fragte ein Student Habeck, wo er 30 Milliarden Euro sparen würde, damit der Haushalt wieder ausgeglichen ist, wie es die Schuldenbremse verlangt. Als Antwort zerpflückte er den Vorschlag der CDU/CSU, den Unternehmenssteuersatz auf das europäische Durchschnittsniveau von 25 Prozent zu senken, um die Wachstumskräfte zu entfesseln. Nach der Rechnung des Wirtschaftsministers würde dies Steuerausfälle von 40 Milliarden Euro im Jahr bedeuten. Um diese auszugleichen, müssten die deutschen Unternehmen 200 Milliarden Euro mehr Gewinn pro Jahr machen. „Das bedeutet Wachstumsraten von fünf Prozent, das ist derzeit undenkbar“. Bleiben also doch nur Subventionen, damit der Wachstumsmotor anspringt? Aus Habecks Sicht wohl schon.