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Wie Sachsen digitaler Vorreiter bleiben kann

Mit Exzellenz-Unis, Start-ups und Spitzenforschung besitzt Sachsen viel Potenzial. Es muss nur richtig gefördert werden. Ein Gastbeitrag.

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Stephan Klein, Standortleiter für den Softwarekonzern SAP in Dresden, sieht großes Potenzial in Sachsen für eine erfolgreiche Digitalisierung. Foto: PR
Stephan Klein, Standortleiter für den Softwarekonzern SAP in Dresden, sieht großes Potenzial in Sachsen für eine erfolgreiche Digitalisierung. Foto: PR © PR

Von Stephan Klein, Standortleiter von SAP Dresden

Digitalisierung „Made in Germany“ – das heißt auch: Made in Dresden. Seit 2017 ist die sächsische Landeshauptstadt einer von zwölf Exzellenzstandorten in Deutschland, die das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) zu Digital Innovation Hubs ernannt hat. Die Hubs sollen ein starkes Netzwerk bilden sowie technologische und wirtschaftliche Expertise – und natürlich Ideen – untereinander austauschen. Das Ziel: Start-ups mit Wirtschaft und Forschung zusammenbringen, mit neuen Technologien wie Künstlicher Intelligenz oder dem Internet der Dinge Lösungen entwickeln und Antworten auf die Herausforderungen der Digitalisierung finden.

Der Standort ist gut gewählt: 2020 gehörte Dresden gemeinsam mit Leipzig und Potsdam zu den smartesten Städten im Osten der Republik. Beim Ranking der besten deutschen Tech-Standorte liegt das Elbflorenz auf Platz 7 – und damit vor Großstädten wie Frankfurt und Köln. Als digitale Talentschmiede zählt die TU Dresden deutschlandweit zu den Top-Unis für Wirtschaftsinformatik und -ingenieurwesen. Ganz Sachsen beheimatet eine herausragende Digitalisierungsszene. Nicht nur mit den Ballungszentren Dresden, Leipzig und Chemnitz, die mit ihrer exzellenten Forschungslandschaft, Start-up-Relevanz und starken Industrie-Unternehmen ideale Standortvoraussetzungen bieten. Hinzu kommt einzigartige Kompetenz zum Connectivity-Standard der nächsten Generation 5G, der in Sachsen entwickelt worden ist.

Namhafte Global Player wie etwa Bosch, T-Systems MMS, Infineon, Globalfoundries, Volkswagen und SAP haben sich hier angesiedelt. Sie entwickeln das Dresdner IoT-Ökosystem zu einem Wertschöpfungsnetzwerk von Dienstleistern entlang der IoT-Komponenten Software, Hardware und Konnektivität. Und sie könnten Vorbild in Sachen Digitalisierung für das Land sein. Die Automobilindustrie ist ein starker Treiber – Stichwort: autonomes Fahren. Überhaupt hat die hiesige geballte IoT-Kompetenz enorme Strahlkraft und trägt auch zur Attraktivität der Region Dresden/Chemnitz als Ausbildungs- und Arbeitsort bei. Mit einem gesamtheitlichen Konzept ließen sich Sachsens Hightech-Industrien Mikroelektronik, Automobil und Software als Cluster in die digitale Zukunft führen und der internationale Fokus noch mehr auf den Standort „Silicon Saxony“ richten. Doch das wird noch nicht mit der nötigen Konsequenz betrieben.

Digitaler Hub als Treffpunkt für Spitzentechnologie

Ein Beispiel: der Smart Systems Hub, ein Treffpunkt für die Start-up-Szene, Wissenschaft, Forschung, den Mittelstand und Konzerne. Ein Netzwerk aus mehr als 450 Partnern, die sächsische Kompetenz in den Schlüsselbereichen Hardware, Software und Konnektivität mitbringen. Der Schlüssel ist Interdisziplinarität. Ein Vorzeigeprojekt – zumindest in der Theorie. Mit dem Hub hat der Freistaat zwar ein Flaggschiffprojekt geschaffen, um im rasanten Wettbewerb um innovative digitale Entwicklungen und deren Wertschöpfung erfolgreich zu sein. Das geht aber noch zu langsam und zu wenig sichtbar voran. Im Hub müssten deutlich schneller und durchgreifender Szenarien entstehen, die dann auch direkt in Form von neuen Industrieanwendungen und dem Erschließen neuer Märkte in der Wirtschaft Anwendung finden – und nicht nur Pilotcharakter haben.

Der Hub wird stark von Start-ups aus Dresden und Sachsen getrieben. Auch SAP war bei der Entwicklung des Konzepts mit an Bord. Zum Konzept gehört allerdings deutlich mehr, zum Beispiel eine physische Repräsentanz. Ein One-Stop-Shop, in dem sich die verschiedenen Teilnehmer von Innovationsprojekten auch tatsächlich treffen können. Wo Start-ups gemeinsam arbeiten können, wo Wirtschaft und Wissenschaft zusammenkommen und Investoren mit ins Boot genommen werden. Aktuell gibt es nur ein kleines Büro, das SAP als Startpunkt bereitgestellt hat. Wenn das Land ein solches Konzept mit Nachdruck umsetzt, ließe sich viel schaffen. In Sachsen gibt es neben den weithin sichtbaren Leuchtturm-Start-ups wie Wandelbots eine große Vielfalt an jungen, innovativen Unternehmen. Der Hub wird außerhalb der Start-up-Szene allerdings momentan noch zu wenig wahrgenommen.

Investitionen in die digitale Infrastruktur

Darüber hinaus ist die digitale Infrastruktur in Sachsen ein wichtiges Thema, auf das wir den Fokus richten müssen. Bei der Umsetzung von Digitalisierungsthemen und der daraus folgenden Modernisierung und Integration von Prozessen in der Wirtschaft, dem öffentlichen Sektor und letztlich im privaten Bereich hängen wir zunehmend im Weltmaßstab zurück – und das gilt für Deutschland insgesamt. Es gibt da keineswegs große Unterschiede bei der Digitalisierung zwischen Ost und West – es handelt sich eher um ein Gefälle zwischen Metropolregionen und ländlichem Raum.

Nehmen wir mal ein ganz aktuelles Beispiel: In deutschen Küchen und Kinderzimmern quälen sich Eltern und Kinder derzeit mit Hausaufgaben und Homeschooling. Wieso fängt der Freistaat Sachsen an dieser Stelle nicht schon an, indem er Digitalisierung in den Schulen wirklich durchgängig einführt, digitale Lerninhalte und Medien in innovative Unterrichtskonzepte einbindet? Zudem: Solange auf dem Land immer noch Lücken im Funknetz und der Internet-Abdeckung existieren, besteht die Gefahr, dass gerade diese Regionen in Sachen Mobilität und Digitalisierung weiter abgehängt werden. Es ist Aufgabe des Staates, die Infrastruktur für die Digitalisierung flächendeckend bereitzustellen und gezielt in die digitale Befähigung des Mittelstands zu investieren. Nötig ist hier der Aufbau eines mittelstandsorientierten Ausbildungsprogramms für digitale Produkte und Services – als Schmiede für digitale Experten. Denn Deutschland lebt von seinen kleinen und mittleren Unternehmen; sie sind der Innovationsmotor, auf den das Land stolz sein kann. Und den meisten jungen Unternehmern wäre übrigens schon sehr geholfen, wenn es bei Neugründungen weniger Bürokratie gäbe.

Vorhandenes Potenzial ausschöpfen

Genügend helle Köpfe sind vor Ort: Die hervorragenden Unis in Sachsen sind ein großer Ressourcen-Pool, auch SAP rekrutiert dort intensiv. Betriebe sollten ihrerseits moderne Arbeitszeitmodelle berücksichtigen, denn kommende Generationen haben ihre eigenen Vorstellungen, wie sie ihr Arbeitsleben gestalten möchten. Die Corona-bedingten Homeoffice-Regelungen haben die Richtung bereits vorgegeben. Neben einer modernen Arbeitsumgebung zählt aber auch, wie sich ein Unternehmen in puncto Nachhaltigkeit und Nutzen für die Gesellschaft aufstellt. Wenn sich also der Mittelstand bereitwilliger für die Digitalisierung öffnet und das Land die Infrastruktur und Angebote wie den Smart Systems Hub schafft und gezielt unterstützt, kann Sachsen digitaler Vorreiter in Deutschland bleiben.

Zum Autor: Stephan Klein ist seit 2009 Standortleiter für die Niederlassung des Softwarekonzerns SAP in Dresden. Der Standort, der im vergangenen Jahr sein 30. Jubiläum feierte, hat derzeit rund 800 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen.