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Spanier will Elbe Flugzeugwerke zum Weltunternehmen machen

Jordi Boto ist seit April der neue Pilot der Elbe Flugzeugwerke in Dresden. Der Spanier löste Andreas Sperl ab – und er hat in Sachsen Großes vor.

Von Michael Rothe
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Jordi Boto lehnt sich weit raus: Ein Unternehmen von Weltrang will er aus den Elbe Flugzeugwerken machen – und in absehbarer Zeit einen Milliardenumsatz.
Jordi Boto lehnt sich weit raus: Ein Unternehmen von Weltrang will er aus den Elbe Flugzeugwerken machen – und in absehbarer Zeit einen Milliardenumsatz. © Christian Juppe Photography

Den lindgrünen Trabbi seines Vorgängers, viele Jahre Hingucker am Tor der Elbe Flugzeugwerke (EFW), hat der neue Chef nicht geerbt. Dafür hat Jordi Boto von Andreas Sperl ein mehr als intaktes Unternehmen übernommen. Am 1. April, aber kein Scherz. Erst recht nicht seine Vision.

Der Spanier mit deutschem Pass wusste, was auf ihn zukommt, war er in Vorbereitung auf den Job schon gut ein Jahr vorher zu den EFW gewechselt: als Chief Operations Manager. „Nicht der glücklichste Zeitpunkt“, sagt Boto. Aber man könne es auch als Chance sehen. Getreu dem Motto: „Es kann nur besser werden.“ Immerhin war der Umsatz der Flugzeugwerke 2021 mit nur noch 254 Millionen Euro um fast ein Viertel gegenüber dem Vor-Corona-Jahr 2019 eingebrochen.

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Die Luftfahrtbranche war mit am stärksten von der Krise betroffen. Airlines ließen das Gros ihrer Flotte am Boden, viele plagten Finanzprobleme. Das spürte auch der Flugzeugbauer Airbus, Hauptkunde der Dresdner, der seine Fertigung um 40 Prozent zurückfuhr. Mit Folgen für die Komponentenproduktion, die gut die Hälfte vom EFW-Geschäft ausmacht.

Als Erstausrüster in einer Liga mit Boeing und Airbus

In Dresden und bei den Töchtern Acosa und CCI Assembly in Kodersdorf werden Fußbodenplatten, Seitenverkleidungen, Trennwände, Cockpittüren, Toiletten und Schlafkojen für Crews hergestellt. Leichtbauteile von dort kommen auch in Straßenbahnen zum Einsatz. Über 11.000 Airbusse sind mit Fußbodenplatten aus Dresden unterwegs. Daher ist der legendäre Spruch von Sachsens Ex-Ministerpräsident Stanislaw Tillich – wann immer man in einen Airbus steige, betrete man sächsischen Boden – nicht übertrieben.

Nach der Umrüstung vom Passagier- zum Frachtflieger kann ein Airbus A330 statt zuvor etwa 300 Passagieren (je nach Airline) in der Folge 58 Container, verteilt auf zwei Decks, transportieren - in Summe 62 Tonnen Fracht. Im Bild hebt eine umgebaute Maschin
Nach der Umrüstung vom Passagier- zum Frachtflieger kann ein Airbus A330 statt zuvor etwa 300 Passagieren (je nach Airline) in der Folge 58 Container, verteilt auf zwei Decks, transportieren - in Summe 62 Tonnen Fracht. Im Bild hebt eine umgebaute Maschin © Elbe Flugzeugwerke

Ferner reparieren und warten die Flugzeugwerke neben Airbussen auch den Hubschrauber NH-90 der Bundeswehr. Und dann gibt’s noch das Recyclingprojekt am Flugplatz Rothenburg bei Niesky. Dort werden ausgediente Flieger ausgeschlachtet, Ersatzteile aufgearbeitet und Verbundwerkstoffe wiederverwertet.

Botos Managerleben ist von industriellen Themen geprägt. Er bringt gut 20 Jahre globaler Erfahrung in der Luftfahrt mit. Der 53-Jährige war bei Airbus in Schlüsselpositionen tätig, leitete dort mit Power8 das größte Restrukturierungsprogramm in der Branche. Zuletzt hatte er seit 2012 die PFW Aerospace Speyer aus der Fast-Pleite zum erfolgreichen Anbieter von Rohrsystemen und Tanks für die Luftfahrt geführt und ihren Verkauf an die Total-Tochter Hutchinson begleitet.

Nun also die EFW, von Umsatz und Beschäftigten her vergleichbar. Doch wenn es nach dem Katalanen geht, dann werden die Sachsen die Pfälzer bald weit hinter sich lassen. Die Dresdner seien „eine der ältesten Garagen der Luftfahrt und hoch anerkannt“. Sie wandelten sich nun „vom Wartungs- und Komponentengeschäft im Auftrag Dritter in einen echten OEM“, sagt Boto. Als Erstausrüster spiele man die gleiche Rolle wie Airbus und Boeing, liefere an der Elbe, in Singapur, Schanghai, Mobile (Alabama), San Antonio (Texas) gebaute Frachter „als denkender und agierender Kopf“. Alles laufe über Dresdner Konten, so der Manager. Boto peilt dieses Jahr einen Umsatz von 500 Millionen Euro an – und schielt bereits auf die Milliarde.

Die Chance, eine ganze Branche mitzugestalten

Zwar sei der Freistaat industriell gut aufgestellt, sagt er, doch die Entscheidungen würden im Westen, in den USA und sonst wo getroffen. Nun böte sich ihm „die einzigartige Möglichkeit, in Sachsen das Headquarter eines Unternehmens von Weltrang zu etablieren“ und eine ganze Branche mitzugestalten.

2020 seien in Dresden mit Mühe drei Airbusse vom Typ A330 ausgeliefert worden, im vorigen Jahr fünf, sagt er. 2022 sollen es zehn Maschinen sein und nächstes Jahr 14. Das sei „die größte prozentuale Steigerung eines Flugzeugbauers in den letzten 20 Jahren“. Perspektivisch sind, alle Standorte zusammengenommen, 60 Flugzeuge aller Typen geplant: A330-300, A330-200, A321 und A320.

Wichtigste Standbeine der EFW sind die Umrüstung von Passagier- zu Frachtmaschinen sowie die Entwicklung und Fertigung von Faserverbundteilen für Flugzeuge und Straßenbahnen. Weitere Geschäftsfelder: Wartung und Reparatur von Airbussen und des Bundeswehr-
Wichtigste Standbeine der EFW sind die Umrüstung von Passagier- zu Frachtmaschinen sowie die Entwicklung und Fertigung von Faserverbundteilen für Flugzeuge und Straßenbahnen. Weitere Geschäftsfelder: Wartung und Reparatur von Airbussen und des Bundeswehr- © © by Matthias Rietschel

"Wir entwickeln uns rasant“, schwärmt der Katalane, aber „überzeugte Europäer“. Die Auftragsbücher seien voll. „Verträge zu unterschreiben, ist angesichts der Konjunktur einfach. Die große Herausforderung ist, sie auch zu erfüllen.“ Er wolle die Wertschöpfung erhöhen, „die Konkurrenz abschütteln, indem wir nicht mehr nur Komponenten, sondern ganze Toiletten- und andere Systeme liefern“. So wolle man sich auch unabhängiger vom Airbus-Wohl machen.

Als Kunstliebhaber hatte Ex-Chef Sperl sein Büro entsprechend gestaltet. „Ich bin eher Ingenieur“, sagt der Nachfolger. „Ich mag auch Kunst, lasse sie aber daheim.“ Nun stünden in seinem Zimmer Flugzeugmodelle und andere Luftfahrt-Trophäen. Boto, der auch als Boss von gut 2.000 Beschäftigten umgänglich und bodenständig daherkommt, nutzt seinen Amtssitz eher als sachlichen Besprechungsaum. Auch das Stehpult, an dem Sperl in Zeitungen blätterte, ist weg. Der Neue hat seine Lektüre in der Hosentasche. Im Unternehmen spüre man eine „Open Door Policy", Botos Tür sei fast immer offen, heißt es.

Ex-Blauhelmsoldat Boto: "Wir haben nichts gelernt"

Derweil wird in der Ukraine geschossen. Boto weiß, was Krieg ist, war Blauhelmsoldat und Hubschrauberpilot in Ex-Jugoslawien und Angola. Erfahrungen wie im zerstörten Mostar belasten ihn noch heute, „und das Erschreckende: Wir haben nichts gelernt“. Es gebe Gespräche, wie sich die EFW mit ihrer Expertise bei Wartung und Umrüstung in Kooperation mit anderen sächsischen Standorten in die Stärkung der Luftwaffe einbringen könne, sagt Boto. Details verrät er nicht.

Die Perspektive für das Unternehmen steht. Und privat? „Nächstes Jahr müssen sich meine Frau und ich die Karten neu legen“, sagt der mit einer Westfälin verheiratete, dreifache Vater. Seine Ehefrau arbeitet bei Airbus im französischen Toulouse. Der große Sohn geht in Dresden zur Schule, die Töchter leben bei Oma in Heidelberg, wo sich die Familie jedes Wochenende trifft. Boto nennt das „suboptimal und eine sportliche Zeit“. Aber das sei der Preis für die erfolgreiche Karriere.

Der EFW-Chef würde gern bis zur Rente an der Elbe bleiben. Doch darüber entschieden zuerst die Shareholder, sagt Boto, der sich schon als Kind fügen musste. „Vater und Großvater waren große Fans vom FC Barcelona und hatten für die Familie ein lebenslanges Sitzplatz-Abo“, erzählt er. So sei er zum Neidwesen vieler jedes zweite Wochenende im Camp Nou gewesen. Das Problem: „Ich hasse Fußball“, sagt der leidenschaftliche Surfer, der lange auch aktiver Fechter war. Er habe in seinem Managerleben gelernt, loszulassen, sagt Jordi Boto. „Ich blicke nicht zurück, bin froh, in Dresden zu sein, und genieße jeden Tag.“