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Das sind Sachsens neue Tiere

Jedes Jahr siedeln sich neue Tierarten in Sachsen an. Sehr oft ist das völlig unproblematisch, doch manchmal auch gefährlich.

Von Jana Mundus
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Weltenbummlerin, die den Weg nach Sachsen fand: Die Büffelzikade sieht aus wie aus dem All, stammt aber aus Nordamerika.
Weltenbummlerin, die den Weg nach Sachsen fand: Die Büffelzikade sieht aus wie aus dem All, stammt aber aus Nordamerika. © 123rf

Ein paar der neusten Einwohner des Freistaats hocken gelangweilt in der Ausstellung rum. Dicht gedrängt machen sie es sich auf einer Zitruspflanze gemütlich. Um sie herum ein Netz, das verhindert, dass sie ausbüxen. Es ist der erste dokumentierte Aufenthalt der Australischen Wollschildläuse in Sachsen.

2022 gelangten sie mit der aus Italien stammenden Pflanze über Bayern nach Dresden. Derzeit sind die einen Zentimeter kleinen, weißen Insekten im Foyer des Biologie-Gebäudes der TU Dresden daheim. Bis zum 21. Dezember ist dort die öffentliche Ausstellung „Schillern. Saugen. Segeln. Neozoen in Sachsen“ zu sehen. Sie thematisiert Tierarten, die mittlerweile in Sachsen leben, obwohl sie ursprünglich in anderen Gegenden der Welt heimisch sind. Das ist nicht immer unproblematisch.

Falls ein Hollywood-Regisseur einen neuen Alien-Film plant – die Büffelzikade hätte gute Chancen auf die Hauptrolle. Mit ihrem sechseckigen Kopf und den nach außen stehenden Augen sieht sie tatsächlich aus wie ein Wesen von einem anderen Stern. Nur gut, dass sie dabei nur knapp acht Millimeter misst. „Ihr Aussehen ist schon sehr besonders“, sagt Stefanie Wiedmer, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Fakultät Biologie und eine der Organisatoren der Ausstellung. Die Büffelzikade kam wohl um 2008 nach Sachsen. Ursprünglich stammt sie aus Nordamerika.

Reiste wahrscheinlich hunderte Kilometer mit dem Auto an: die Südliche Eichenschrecke.
Reiste wahrscheinlich hunderte Kilometer mit dem Auto an: die Südliche Eichenschrecke. © 123rf

„Sie gehört damit zu den Neozoen“, erklärt die promovierte Biologin. Arten, die vor 1492 – also vor der Entdeckung Amerikas – bei uns auftauchten, nennt die Wissenschaft Archäozoen. Alle Neuankömmlinge danach heißen Neozoen. Zu den bekanntesten gehört wohl der Waschbär, der 1968 erstmals in Sachsen gesichtet wurde. Ungefähr zur gleichen Zeit wanderte hierzulande auch der Marderhund ein. Seine eigentliche Heimat sind das östliche Russland oder China. Bei den beiden weiß die Forschung: Sie sind invasive Arten, bedrohen die einheimische Tier- und Pflanzenwelt. Der Waschbär etwa frisst Vögel und Fledermäuse oder jagt auch Europäische Sumpfschildkröten, die sowieso schon vom Aussterben bedroht sind. „Bei vielen Neozoen ist aber noch vollkommen unklar, ob ihre Ansiedlung negative Folgen hat oder nicht“, sagt Stefanie Wiedmer.

Eigenschaften der Neulinge sind entscheidend

Die Folgen für nordamerikanische Süßwasserfische haben Wissenschaftler des Zentrums für datenintensive Systemforschung Casus am Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf (HZDR) nun intensiver erforscht. Invasive Arten gelangen über Schifftanks unbeabsichtigt in neue Regionen der Welt oder werden von der Fischereiwirtschaft und Anglern bewusst eingeführt. Das ist gefährlich. Die eingeschleppten Tiere verdrängen einheimische Fischarten und führen zu deren lokalem Verschwinden. Sie bringen Krankheiten mit oder verändern das Gleichgewicht des Ökosystems. Die Forscher fanden heraus, was ihren Erfolg wahrscheinlich macht: Demnach sind es einerseits eine hohe Fruchtbarkeit, eine längere Lebensdauer und die Größe der Art, die mitentscheidend für deren Überleben sind.

Die Feuerlibelle ist seit 1997 auch Sachsen daheim. Negative Folgen hatte das bisher nicht.
Die Feuerlibelle ist seit 1997 auch Sachsen daheim. Negative Folgen hatte das bisher nicht. © 123rf

Oft reisen Neozoen als blinde Passagiere ein. Insekten kommen über Schiffe, Flugzeuge oder in Lkw in andere Länder. Die Südliche Eichenschrecke aus Südwesteuropa beispielsweise klammert sich über Hunderte Kilometer an Autos fest – und schaffte es 2008 auch nach Dresden. Oder die Tiere reisen in Verpackungen, auf Pflanzen oder Lebensmitteln um den Globus. „Manche Arten sind aber auch Arealerweiterer“, erklärt Stefanie Wiedmer. Durch klimatische Veränderungen auf der Welt erweitern oder verlagern sie ihren Lebensraum. Die Feuerlibelle zum Beispiel stammt eigentlich aus dem Mittelmeerraum, ist seit 1997 aber auch in Sachsen daheim. Negative Folgen dieser Entwicklung konnten bisher nicht beobachtet werden, fügt die Biologin hinzu. „Die Feuerlibelle ist ein schönes Beispiel dafür, dass Neozoen die einheimische Tierwelt auch bereichern können.“

Forscher wollen Ansiedlung verhindern

Im Großen Garten herrscht ebenfalls ein gutes Verhältnis zu den neuen Nachbarn. Auf dem Carolasee leben schon seit vielen Jahren Mandarinenten. Mitte der 1950er-Jahre tauchten die südostasiatischen Vögel erstmals in Dresden auf. Mit den einheimischen Stockenten verstehen sie sich prächtig.

Mit den benachbarten Stockenten versteht sich die eingewanderte Mandarinente auf dem Dresdner Carolasee prächtig.
Mit den benachbarten Stockenten versteht sich die eingewanderte Mandarinente auf dem Dresdner Carolasee prächtig. © 123rf

Neben präparierten Exemplaren von Neozoen zeigt die Ausstellung der TU Dresden aber auch krabbelnde Exponate. Bettwanzen tummeln sich in ihrer Vitrine in einem Spielzeug-Bettchen. Ein paar Meter weiter fressen Kartoffelkäfer in einem Terrarium am Grün. In einem Verbundprojekt forschen Wissenschaftler der Fakultät Biologie zurzeit daran, wie Kartoffelpflanzen gegen die Käferart widerstandsfähig gemacht werden können. Durch den jahrelangen Einsatz von Insektiziden haben die Kartoffelkäfer nämlich eine Resistenz gegen diese chemischen Mittel entwickelt. Ein weiterer Kandidat könnte die Ernte künftig zusätzlich in Gefahr bringen. 2008 tauchte in Portugal erstmals der Kartoffelerdflohkäfer auf und breitete sich schnell aus. Es dürfte nur eine Frage der Zeit sein, bis er auch Deutschland erreicht.

Die HZDR-Forscher wollen aus den Ergebnissen zu den nordamerikanischen Fischen Hinweise ableiten, wie mit invasiven Arten umgegangen werden kann – bevor sie sich ansiedeln. Denn eines steht fest: Wenn eine neue Art erst mal Fuß gefasst hat, ist es nahezu unmöglich, dass der Mensch sie wieder aus dem Lebensraum vertreiben kann.

  • Schillern. Saugen. Segeln. Neozoen in Sachsen: Foyer Biologie-Gebäude der TU Dresden, Zellescher Weg 20b; geöffnet Montag bis Freitag 9 bis 16 Uhr, Eintritt frei; Führungen zur Langen Nacht der Wissenschaft am 30. Juni