Deutschland & Welt
Merken

Ein Eiweiß löst das Müllproblem

Kollagen kommt zuhauf in der Natur vor. Forscher machen daraus innovative Folien.

Von Jana Mundus
 5 Min.
Teilen
Folgen
Kollagen sorgt in unserem Körper unter anderem für einen faltenfreien Auftritt. Ein Forscherteam der HTW Dresden macht das Eiweiß nun zum Mittelpunkt eines besonderen Vorhabens. Am Ende könnten sie ein Umweltproblem lösen.
Kollagen sorgt in unserem Körper unter anderem für einen faltenfreien Auftritt. Ein Forscherteam der HTW Dresden macht das Eiweiß nun zum Mittelpunkt eines besonderen Vorhabens. Am Ende könnten sie ein Umweltproblem lösen. © HTW Dresden/Peter Sebb

Es gilt als Garant für ein faltenfreies Aussehen: Kollagen sorgt wie eine Art Gerüst dafür, dass die darüberliegende Haut unseres Körpers straff wirkt. Mit zunehmendem Alter wird dieses Gerüst allerdings immer instabiler. 30 Prozent der Eiweiße im Menschen sind Kollagene. Nicht nur wir verfügen über eine große Menge davon. Als wichtigster Bestandteil von Bindegewebe kommt es auch in den Knochen, Sehnen, Blutgefäßen oder Knochen der Tiere vor. Ein Team von Wissenschaftlern der HTW Dresden hatte noch eine andere Idee, wofür Kollagene in Zukunft genutzt werden könnten. Die Proteine haben das Potenzial, unsere Plastik-Müllberge schrumpfen zu lassen. Aufgebaut in mehreren Schichten können Kollagene die Kunststofffolie ersetzen.

Der Beginn dieses Projekts ist eher untypisch. Swen Günthers Feld sind die Wirtschaftswissenschaften. Er kennt sich aus mit Produktionsprozessen, mit betriebswirtschaftlichen Vorgängen und Herausforderungen im Management. Chemie? Keine Kernkompetenz von ihm. Der Inhaber der Professur für Prozess- und Innovationsmanagement/Betriebswirtschaftslehre an der HTW Dresden weiß jedoch, wie Probleme zu lösen sind. Durch innovative Ideen und Lösungsansätze nämlich.

Er bedient sich dabei einer ganz speziellen Methode: der Triz, einem bereits in den 1950er-Jahren in Russland entwickeltem Konzept für das erfinderische Problemlösen. Das Problem wird dabei abstrahiert, um eine innovative Lösung dafür zu finden. Günther jedoch drehte die Methode um. „Forschende der HTW haben in der Vergangenheit aus ihren Ideen und Forschungsergebnissen viele gute Patente gemacht“, erzählt er. In einem Projekt widmet er sich der Frage, welche Probleme diese Patente noch lösen könnten. Ausgeklügelte Algorithmen unterstützen ihn dabei. Bei einem Patent entstand so ein lohnenswerter neuer Ansatz.

Schichten sorgen für Stabilität

Kathrin Harre, Inhaberin der Professur für Technische Chemie an der HTW Dresden, kann sich noch gut an den Moment erinnern, als Swen Günther mit seinem Einfall vor ihr stand. „Er schlug vor, ein Material, das wir entwickelt hatten, für Lebensmittelverpackungen zu nutzen.“ Ein Gedanke, den auch die Forschungsgruppe von Kathrin Harre schon hatte. Doch weiter verfolgt, hatten sie den Ansatz bis dato nicht. Mehrere Jahre lang hatte die Professorin mit ihren Mitarbeitern an einem formstabilen Material aus Kollagen gearbeitet. „Wir nutzen dafür Kollagen, das als Reststoff bei der Fleischproduktion anfällt“, erklärt sie. Es ließe sich aber auch aus Pflanzen gewinnen.

Durch ein spezielles Schichtverfahren entsteht aus Kollagen eine Folie. Swen Günther (l.) und Kathrin Harre wollen damit ein Müllproblem klären.
Durch ein spezielles Schichtverfahren entsteht aus Kollagen eine Folie. Swen Günther (l.) und Kathrin Harre wollen damit ein Müllproblem klären. © HTW Dresden/Peter Sebb

Die Idee dazu entstand, als ein Zellträger für das Testen von Medikamenten gegen Arterienverkalkung gesucht wurde. Ethisch ein wichtiger Ansatz, weil dadurch Tierversuche minimiert werden könnten. „Wir hatten es mit anderen Materialien versucht, aber die dünnen Filme rissen immer.“ Es entstand die Idee, Kollagen zu schichten. Darauf war bis dahin noch niemand gekommen. Es funktionierte. Kathrin Harre ließ die Idee patentieren.

Mit dem Vorschlag von Swen Günther ergab sich ein vollkommen neues Betätigungsfeld für die Wissenschaftler. Das Themenfeld Verpackungsmaterial ist riesig, beschreibt es die Chemikerin. Sie ist davon überzeugt, dass Kollagen viele neue Anwendungen möglich macht. Aktuell testen die Forscher, wozu genau es sich eignet und wie es dafür verarbeitet werden muss. „Als Erstes können wir natürlich Folien herstellen“, beschreibt sie. Dünner oder dicker, alles hänge davon ab, wie viele Schichten zusammengebracht werden. Das ist jedoch nicht alles. Auch bestimmte Formteile können durch spezielle Verfahren daraus produziert werden. Schalen zum Beispiel, in denen später Obst und Gemüse verkauft werden könnte. Aber auch die Produktion zu Röhren oder Tuben wäre denkbar. Großer Vorteil: Das Material würde sich zersetzen, riesige Müllberge wären ausgeschlossen.

Ideal für den Kleingarten

Im Gegensatz zu vielen handelsüblichen Biomaterialien und Biokunststoffen ist das geschichtete Kollagen vollständig kompostierbar. Labortests haben das bereits gezeigt. Beim Abbau entstehen demnach keinerlei schädliche oder giftige Rückstände. Ursprünglich gelb-bräunlich gefärbt, erlaubt das Einbringen biobasierter Farbstoffe auch schwarze oder braune Folien. „Es wäre auch denkbar, Funktionsschichten einzubauen“, erklärt Kathrin Harre weiter. Gerade im Lebensmittelbereich könnte das eine Rolle spielen, wenn einige Lebensmittel besonderen Schutzes bedürfen. Die Wissenschaftler denken jedoch weiter. „In der Landwirtschaft oder im Gartenbau wären unsere Kollagen-Folien auch zur Abdeckung von Pflanzen geeignet.“ In daraus hergestellten Tütchen sind Samen für die Aussaat gut geschützt. Landet die Verpackung auf dem Kompost – kein Problem.

So breit eine mögliche Anwendung als Verpackungsmaterial auch ist. Bis das klappt, müssen noch wichtige Fragen geklärt werden. Wie etwa reagiert das Material auf unterschiedliche Temperaturen? Lässt es Wasserdampf durch? Bleiben Aromastoffe in der Verpackung? Das alles wird momentan im Rahmen einer sogenannten Validierungsförderung mit der finanziellen Unterstützung des Freistaats Sachsens untersucht. „Wir hoffen, einen Industriepartner zu finden, mit dem wir eine Anwendung testen können“, sagt Günther.

Nicht nur Folien sind möglich, auch Schalen wären denkbar.
Nicht nur Folien sind möglich, auch Schalen wären denkbar. © HTW Dresden/Peter Sebb

Nicht nur Folien und Schachteln sollen in Zukunft mithilfe von Kollagen produziert werden. Gemeinsam mit Sensorik-Experten der TU Dresden finden die HTW-Forscher in einem weiteren Projekt heraus, inwieweit sich das neue Material als Träger für Sensoren eignet, die in der Medizin Einsatz finden. Sie sollen später die Wundheilung überwachen oder automatisch Körperwerte aufzeichnen und analysieren. Biokompatible Materialien wären dafür ein Gewinn. „Es ist toll, wenn wir nun sehen, wie sich Idee und Material immer weiterentwickeln“, schätzt Günther ein. Die Triz-Reverse-Methode wird indessen weiter perfektioniert. Damit sich noch mehr Lösungen für Probleme finden lassen.