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Leipziger Forscher entziffern Beethovens Gene und schreiben seine Geschichte neu

Wie lebte Ludwig van Beethoven wirklich und woran ist er gestorben? Sein Erbgut verrät es erstmals. Und auch eine bisher unbekannte Abstammung.

Von Stephan Schön
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Eines der wenigen Gemälde, die Ludwig van Beethoven zeigen. 1820 wurde es von Joseph Karl Stieler geschaffen.
Eines der wenigen Gemälde, die Ludwig van Beethoven zeigen. 1820 wurde es von Joseph Karl Stieler geschaffen. © Beethoven-Haus Bonn/dpa

In das Labor der Leipziger Wissenschaftler kamen Haare. Sehr wertvolle. Die Locken Ludwig van Beethovens. Es ist jenes Institut, das auch den Neandertaler genetisch entzifferte. Jetzt suchte es mit den Methoden der Archäogenetik in den Genen von Beethoven nach Antworten zu seinem Leben.

Die Forscher vom Leipziger Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie (Eva) fanden dabei überraschende Fakten zu den Erkrankungen des Komponisten und zu seinem Tod. Auch zu Beethovens Herkunft.

Gestern nun veröffentliche ein internationales Forscherteam, 32 Wissenschaftler aus acht Instituten, diese neuen Erkenntnisse im Fachjournal Current Biology. Dort maßgeblich dabei und eben für diese alte Genetik zuständig ist Johannes Krause, Genetik-Professor und einer der Institutsdirektoren vom Eva.

Leberzirrhose gilt seit langem als die wahrscheinlichste Ursache für Beethovens Tod im Alter von 56 Jahren, berichtet Krause im Gespräch mit der SZ. Übermäßiger Alkoholkonsum wurde aufgrund historischer Berichte dafür verantwortlich gemacht. Doch die Leipziger Genetiker fanden noch mehr Erklärungen. In Beethovens Genom entdeckten sie gleich mehrere bedeutende genetische Risikofaktoren für eine Lebererkrankung. Der Komponist hatte das Risiko sozusagen vererbt bekommen, berichtet Johannes Krause.

Tristan Begg von der Universität Cambridge und Hauptautor der Studie sagt dazu: „Wenn Beethovens Alkoholkonsum über einen ausreichend langen Zeitraum hoch genug war, stellt die Wechselwirkung mit seinen genetischen Risikofaktoren eine mögliche Erklärung für seine Leberzirrhose dar.“

Was die Leipziger Genetiker außerdem fanden, überrascht dann noch mehr. Ludwig van Beethoven litt an einer Infektion mit dem Hepatitis-B-Virus. Gelbsucht, die einige Monate vor seinem Tod stattfand und die Leber nochmals massiv geschädigt hatte.

Das Beethoven-Denkmal in Wien. Der deutsche Komponist wurde am 17. Dezember 1770 in Bonn geboren und starb am 26. März 1827 in Wien.
Das Beethoven-Denkmal in Wien. Der deutsche Komponist wurde am 17. Dezember 1770 in Bonn geboren und starb am 26. März 1827 in Wien. ©  dpa

„Wir können nicht mit Sicherheit sagen, woran Beethoven gestorben ist, aber wir können jetzt zumindest das Vorhandensein eines erheblichen erblichen Risikos für eine Leberzirrhose und eine Infektion mit dem Hepatitis-B-Virus belegen“, sagt Johannes Krause. Der aus Thüringen stammende Genetiker hatte in Leipzig beim 2022-er Medizin-Nobelpreisträger Svante Pääbo promoviert und mit diesem in Leipzig die DNA der Neandertaler analysiert. Diese DNA-Technologie nutzte Krause nun auch für die Locken von Beethoven.

Einige genetische Vermutungen indes bestätigten sich nicht, sagt Johannes Krause. So gibt es bislang keine genetische Erklärung für Beethovens schwere Magen-Darm-Beschwerden. Eine Gluten- und Laktoseintoleranz wurde nicht festgestellt. Ebenso wenig genetische Ursachen für das Reizdarmsyndrom. Ganz im Gegenteil, hier weisen die Gene von Beethoven sogar einen gewissen genetischer Schutz auf.

Auch Hörverlust Beethovens betrifft, kamen die Forscher nicht weiter. Axel Schmidt vom Institut für Humangenetik des Universitätsklinikums Bonn ergänzt: „Obwohl keine eindeutige genetische Ursache für Beethovens Schwerhörigkeit identifiziert werden konnte, kann man eine solche auch nicht völlig ausschließen.“

Johannes Krause ist Paläogenetiker und Direktor am Leipziger Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie. Er hat die Gene des Neandertaler mit entziffert, und nun die von Beethoven.
Johannes Krause ist Paläogenetiker und Direktor am Leipziger Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie. Er hat die Gene des Neandertaler mit entziffert, und nun die von Beethoven. © Thomas Victor

Ein Familiengeheimnis wird aufgedeckt

Vergleiche mit dem Erbgut heute lebender Menschen zeigen, die stärkste Verbindung gibt es mit jenen aus dem heutigen Nordrhein-Westfalen. Das passt zu Beethovens bekannter Herkunft seiner Vorfahren. Aber eines passt nicht und überrascht selbst den Genetiker Johannes Krause. Es wurden Erbgutanalysen von heute lebenden Verwandten Beethovens in Belgien mit einem nachweislich gemeinsamen männlichen Vorfahren aus den späten 1500-er Jahren gemacht.

Allerdings konnte bei keinem eine Übereinstimmung mit dem Erbgut des Komponisten gefunden werden. Das Team kommt zu dem Schluss, dass dies „das Ergebnis von mindestens einem außerehelichen Ereignis“ in Beethovens direkter väterlicher Linie war. Also ein Kind aus einer außerehelichen Beziehung.

Zuvor schon wurden Zweifel an der Vaterschaft von Beethovens Vater geäußert, weil es keinen Taufeintrag gab. Ob Ludwig van Beethoven vielleicht sogar selbst das Kuckuckskind war, bleibt ein Geheimnis. Die Wissenschaftler konnten nur feststellen, dass dies innerhalb der sieben Generationen zwischen 1572 und Ludwig van Beethovens Zeugung im Jahr 1770 geschehen sein muss. Die Locken haben dieses Familiengeheimnis verraten.

Falsche Beethoven-Locken enttarnt

„Insgesamt gibt es 32 Beethoven-Locken, die als historisch bekannt sind“, sagt Krause. Damals, im 19. Jahrhundert, war es üblich, als Gruß an Freunde oder Verwandte eine Locke zu verschicken. Beethoven hat dies auch immer wieder getan. Von den 32 bekannten Locken wurden acht in Leipzig analysiert. Zwanzig Haare waren dies, je zehn Zentimeter ungefähr lang. Das macht zwei Meter Haar von Beethoven, die für die Genanalyse nötig waren. Ein komplettes Genom anhand von so alten Haaren, das sei weltweit erstmals gelungen, berichtet der Leipziger Paläogenetiker. Wesentlich einfacher sei dies mit Knochen.

Die sogenannte Stumpff-Locke Beethovens wird im Leipziger Genlabor vom max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie untersucht.
Die sogenannte Stumpff-Locke Beethovens wird im Leipziger Genlabor vom max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie untersucht. © Anthi Tiliakou/dpa

Wie aber gelang die Genanalyse überhaupt, wo doch Haare an sich keine Zellen und somit auch kein Erbmaterial enthalten? Johannes Krause hat die Erklärung dafür: Es ist die DNA jener Zellen, die auf der Kopfhaut die Haare bilden. Von denen lösen sich einige eher zufällig und werden dann mit eingebaut in die Keratinstruktur der Haare. „Die stecken dann im Haar mit drin und sind faktisch dort gefangen. Sie leben zwar nicht mehr, bleiben aber erhalten und somit auch die DNA.“ Nur, diese DNA ist eben nicht sehr gut konserviert. Sie ist in sehr kleine Bruchstücke zerfallen, kleinere als beim Neandertaler.

Durchschnittlich waren nur noch 25 zusammenhängende Basenpaare vorhanden. Zum Vergleich: Das menschliche Genom besitzt 3,1 Milliarden Basenpaare. Wenn nun die DNA-Bruchstücke zu kurz sind, lässt sich deren Platz im Genom nicht mehr rekonstruieren. Dann lässt sich nicht einmal mehr erkennen, ob dieses Erbgutbruchstück zu dem einen oder doch einem anderen Menschen gehört. 80 Prozent des in Beethovens Haaren gefundenen genetischen Materials waren daher nicht verwertbar, berichtet Johannes Krause.

Diese Zerstückelung passiert ganz generell schon zu Lebzeiten durch Sonne, Umwelteinflüsse und auch chemisch bedingt durch Waschmittel zum Beispiel. „Aber trotz alledem, es ist in sieben von acht Fällen gelungen, die DNA aus der Locke zu rekonstruieren.“ Eine Locke davon weist ein anderes genetisches Profil auf und gehört nicht zu Beethoven. Und eine weitere Locke ist definitiv die einer Frau. Ausgerechnet das war die bis dahin bekannteste, die sogenannte Hiller-Locke. Frühere chemische Untersuchen hatten gezeigt, dass sie Spuren einer Bleivergiftung aufwies. Das mag stimmen, sagt Krause, nur gehörte diese Vergiftung eben nicht zum Leben Beethovens, wie bisher vermutet wurde.

Die sogenannte Hiller Locke entpuppte sich als nicht von Beethoven. Sie stammt von einer Frau.
Die sogenannte Hiller Locke entpuppte sich als nicht von Beethoven. Sie stammt von einer Frau. © Ira F. Brilliant Center for Beethoven Studies, San Jose State University/Photo by William Meredith/dpa

Seit fast zehn Jahren arbeiten die Wissenschaftler an dem Beethoven-Projekt. „Beethoven hatte den Wunsch, dass seine Leiden nach dem Tod ärztlich untersucht und bekannt gemacht werden“, sagt Johannes Krause. Die ärztlichen Protokolle von damals sind nie aufgetaucht „Wir fanden es aufgrund des Wunsches von Beethoven als ethisch vertretbar und wichtig, diese uns heute möglichen Untersuchungen durchzuführen.“

Nach dem Neandertaler nun also Beethoven. Und wann ist Ötzi dran? Johannes Krause schweigt, und grinst, und gibt dann zu: „Schon in Kürze werden wir das veröffentlichen. Ebenfalls mit einigen überraschenden Befunden.“