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Leipziger Forscher schreiben Ötzis Geschichte neu

Lange Haare, zotteliger Bart, helle Haut - so wurde die Gletschermumie bislang rekonstruiert. Doch das ist falsch. Die Forscher analysierten das Genom und fanden dabei auch heraus, woher Ötzi wirklich kam.

Von Stephan Schön
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Besuch bei Ötzi, den Gletschermann. Im Südtiroler Archäologiemuseum Bozen wird er tiefgekühlt aufbewahrt. Durch ein winziges Fenster kann man in den Kühlraum hineinschauen.
Besuch bei Ötzi, den Gletschermann. Im Südtiroler Archäologiemuseum Bozen wird er tiefgekühlt aufbewahrt. Durch ein winziges Fenster kann man in den Kühlraum hineinschauen. © Südtiroler Archäologiemuseum/Ochsenreiter

Mehr als dreißig Jahre hat der Gletschermann sein eingefrorenes Geheimnis bewahrt. Zig Wissenschaftler, Kriminologen, Künstler und Archäologen versuchten ein Bild davon zu rekonstruieren, wie Ötzi einst ausgesehen hat. Alle lagen sie mit ihren Mutmaßungen daneben.

Weder lange zauselige Haare noch ein zotteliger Bart waren vorhanden. Keine blauen Augen und auch keine helle Haut. Es sind Fehlspekulationen, sagt der Archäogenetiker Johannes Krause. Er hat mit seinem Team das Genom der Gletschermumie neu bestimmt. Besser und exakter als alle Versuche zuvor.

Am 19. September 1991 wurde die Gletschermumie Ötzi in den Ötztaler Alpen am Tisenjoch in 3.210 Metern Höhe entdeckt. Heute steht eine Pyramide an der Fundstelle.
Am 19. September 1991 wurde die Gletschermumie Ötzi in den Ötztaler Alpen am Tisenjoch in 3.210 Metern Höhe entdeckt. Heute steht eine Pyramide an der Fundstelle. © Südtiroler Archäologiemuseum/Ochsenreiter

Mit diesem Resultat: Ötzi hatte anatolische Vorfahren. Dunkle Haut. Und wohl eine Glatze. Die Gene zeigen eine Veranlagung zu Diabetes Typ 2 und Übergewicht, was jedoch dank seines gesunden Lebensstils wahrscheinlich nicht zum Tragen kam.

Johannes Krause ist Professor und Direktor am Leipziger Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie (Eva). Gemeinsam mit Albert Zink, Leiter der Mumienforschung am Eurac Research in Bozen und weiteren Forschenden veröffentlichte er am Mittwochnachmittag diese neuen Studienergebnisse in der Fachzeitschrift Cell Genomics.

Verunreinigte DNA mit Fehlern

So rekonstruierte die Wissenschaft den Gletschermann Ötzi bisher. Er sah aber ganz anders aus, stellt sich jetzt nach neuen Gen-Analysen heraus.
So rekonstruierte die Wissenschaft den Gletschermann Ötzi bisher. Er sah aber ganz anders aus, stellt sich jetzt nach neuen Gen-Analysen heraus. © Südtiroler Archäologiemuseum/Ochsenreiter

Schon einmal, 2012, wurde Ötzis Erbgut komplett von Tübinger Wissenschaftlern veröffentlicht. Es war erst das dritte alte Genom eines Menschen. Johannes Krause war zu jener Zeit noch auf die Neandertaler spezialisiert. Als Doktorand hatte er beim Leipziger Nobelpreisträger Svante Pääbo studiert, der ebenfalls Direktor am Eva ist.

Der Archäogenetiker Krause traut den Tübinger Daten nicht. Da stimmt etwas nicht, berichtet er im Gespräch mit der SZ über seine damaligen Zweifel. Heutige Europäer haben die Gene der Jäger und Sammler von vor Zehntausenden Jahren in sich. Dazu kamen die Gene der anatolischen Ackerbauern und schließlich die der Steppenhirten aus dem Osten. Doch Ötzi lebte in den Südalpen, lange bevor die Steppenhirten hier ankamen. Wie aber kamen dann Steppengene in ihn?

Johannes Krause weiß um die Exaktheit seiner Technologie in den Reinsträumen des Leipziger Instituts. Er wollte daher dem Ötzi noch einmal in die Gene schauen. 2016 konnte er schließlich mit seinen Bozener Kollegen eine Probe aus dem Knochen bekommen. 30 bis 40 Milligramm Knochen zwar nur. Aber die reichten. „Wir wissen heute durch Analysen, dass die von uns untersuchte DNA nur von einer einzigen Person stammt.“

Offenbar muss daher bei der Analyse von 2012 eine Verunreinigung mit heutiger menschlicher DNA stattgefunden haben. Mit dem Fazit, dass viele damalige Schlussfolgerungen so nicht mehr haltbar sind. Ötzi hatte keine Borrelien-Infektion wie bisher angenommen, und auch sonst keine Infektionskrankheiten. Aber, dieser frühe Europäer hat im Vergleich mit seinen Zeitgenossen einen sehr hohen Gen-Anteil von den aus Anatolien eingewanderten Frühbauern. 92 Prozent. Nur acht Prozent stammen von den frühen Jägern und Sammlern. Und wie zu erwarten nichts von den Steppenhirten.

Auch der Zeitpunkt der Ankunft von Ötzis Urahnen in Europa lässt sich nun genetisch bestimmen. Sie müssen demnach 50 Generationen vor ihm hier angekommen sein, also 1.500 Jahre vor seinen Lebzeiten und 6.800 Jahre vor heute.

Aus Anatolien eingereist

Wenn sich aber in 50 Generationen so gut wie nichts am Erbgut verändert hat, dann lässt das nur einen Schluss zu: Die anatolischen Frühbauern haben sich kaum mit den hier schon siedelnden Menschen getroffen. Sie hatten bis zu Ötzis Zeiten so gut wie keine gemeinsamen Nachfahren. „Aber wir finden auch keinerlei Anzeichen von Inzucht“, berichtet Johannes Krause. „Diese Gruppe war offenbar groß genug mit mehreren Tausend Individuen, die eine Fortpflanzungsgemeinschaft gebildet haben.“

Inzwischen wurden von hunderten frühen Menschen der Kupferzeit die Genome analysiert. Ein Vergleich zeigt, wie außergewöhnlich Ötzi ist: Unter hunderten frühen europäischen Menschen, die zur selben Zeit wie Ötzi lebten und deren Genome zur Verfügung stehen, hat Ötzi die meisten bäuerlichen Ahnenanteile. „Genetisch sieht er so aus, als seien seine Vorfahren direkt aus Anatolien gekommen“, erklärt Johannes Krause.

Ötzis Hauttyp, schon in der ersten Genom-Analyse als mediterran bestimmt, war noch dunkler als bisher angenommen. „Es ist der dunkelste Hautton, den man in europäischen Funden aus derselben Zeit nachgewiesen hat“, erklärt Albert Zink, der Anthropologe aus Bozen.

Ein Replikat des 1991 in den Ötztaler Alpen entdeckten Steinzeitmenschen Ötzi. Diese Kopie vom Mann aus dem Eis befindet sich in einer nachgebildeten Kältekammer im Museum für Naturkunde.
Ein Replikat des 1991 in den Ötztaler Alpen entdeckten Steinzeitmenschen Ötzi. Diese Kopie vom Mann aus dem Eis befindet sich in einer nachgebildeten Kältekammer im Museum für Naturkunde. © dpa-Zentralbild

Wie aber können die Wissenschaftler auf eine Glatze bei Ötzi schließen? Auch das steht in den Genen. Ötzis Gene zeigen eine sehr starke Veranlagung zur Glatzenbildung, sagt Zink. „Das ist ein relativ eindeutiges Ergebnis und könnte auch erklären, warum bei der Mumie fast keine Haare gefunden wurden.“

Wir in Mitteleuropa haben heute noch einiges mit Ötzi gemeinsam. Diese anatolische Komponente im Genom ist hierzulande in der Regel am stärksten vorhanden. „50 Prozent des Genoms stammt von den frühen Ackerbauern, die damals hier eingewandert waren“, sagt Johannes Krause. Aber auch Jäger- und Sammler-Gene blieben in uns erhalten, die jüngsten Gene der Steppenhirten sowieso. Das sei relativ gut untersucht. „Was jetzt indes spannend wird, das ist der Vergleich mit den Genen weiterer damaliger Menschen.“