SZ + Deutschland & Welt
Merken

Warum Köln keine Blutspenden aus Ostdeutschland will

Wer sich länger als 48 Stunden in Berlin und einigen ostdeutschen Orten aufgehalten hat, darf an der Uniklinik in Köln kein Blut spenden. Was ist da los? Eine Spurensuche.

 5 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Personen, die sich länger als zwei Tage in einem deutschen West-Nil-Virus-Gebiet aufgehalten haben, dürfen 28 Tage lang kein Blut spenden.
Personen, die sich länger als zwei Tage in einem deutschen West-Nil-Virus-Gebiet aufgehalten haben, dürfen 28 Tage lang kein Blut spenden. © dpa

Von Farangies Ghafoor

Was haben Berlin und die Landkreise Sömmerda, Salzlandkreis, Anhalt-Bitterfeld, Meißen und Wittenberg gemeinsam? Sie liegen alle in Ostdeutschland. Und sonst? Eine weitere Verbindung erzeugt ausgerechnet das westdeutsche Köln: Denn wer sich in den oben genannten Orten länger als 48 Stunden aufgehalten hat, darf an der Uniklinik Köln vier Wochen lang kein Blut spenden. So steht es jedenfalls auf einem Hinweiszettel, der auch noch bis Mitte Februar auf den Gängen hing.

Dabei sind Blutspenden dringend benötigt. Aber warum will man dort kein Blut aus dem Osten? Sind nun auch Spendezentren vom West-Ost-Konflikt betroffen?

Wahrscheinlich nicht. Der Grund ist derselbe, der auch Touristen betrifft, die aus Bergamo, Valencia, Österreich und Ägypten zurückkommen: das West-Nil-Virus (WNV).

Was ist das West-Nil-Virus?

Das Virus betrifft normalerweise nur Vögel: Wird ein erkrankter Vogel von einer Mücke gestochen, kann diese das WNV auf der Suche nach der nächsten Mahlzeit auf einen anderen Vogel übertragen. Manchmal sticht die Mücke aber auch andere Säugetiere wie Pferde oder Menschen und infiziert sie dabei mit dem Erreger.

Mittlerweile gibt es weltweit Fälle, in denen sich Menschen durch Mücken mit dem Virus infiziert wurden. Ursprünglich stammt WNV aus den Tropen und gelangte aber durch Zugvögel auch nach Süd- und Osteuropa. „Wir beobachten in den letzten Jahren eine deutliche Ausbreitung in Richtung Mitteleuropa: Schon vor 2018 war der Erreger in Österreich und Tschechien etabliert. Von dort wurde das Virus dann wahrscheinlich über den Vogelzug oder infizierte Stechmücken nach Deutschland eingeschleppt“, sagt Renke Lühken. Der Ökologe erforscht am Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin in Hamburg Viren, die durch Insekten übertragen werden.

Vor sechs Jahren trat der Erreger erstmals in Rostock über den mittleren Osten bis nach München auf. „Seitdem zirkuliert er dauerhaft in Deutschland, vor allem im mittleren Teil Ostdeutschlands“, so Lükhen. Aber warum hat sich WNV ausgerechnet in Ostdeutschland etabliert? Das habe mit den Temperaturen in der Region zu tun: „Das Virus braucht hohe Temperaturen. Im Osten sind die Bedingungen sehr günstig, aber wir sehen schon, dass sich das West-Nil-Virus, wenn auch sehr langsam, in andere Teile Deutschlands ausbreitet.“

Heißt das also, dass Berlin nicht nur Touristenmagnet ist, sondern auch WNV-Stechmücken anzieht? „Berlin ist nicht unbedingt der Verbreitungsschwerpunkt, sondern gehört mit angrenzenden Bundesländern zu einem großen Zirkulationsgebiet. Aber in Berlin leben fast vier Millionen Menschen, also können sich auch potenziell mehr Menschen infizieren.“

Wie kann man sich schützen?

  • Gegen das Westnilvirus gibt es keine Impfung für den Menschen. Da es aber durch Stechmücken übertragen wird, hilft es gegen diese vorzugehen. Zum Beispiel, indem man sich nicht stechen lässt, mithilfe von Mückenabwehrsprays. Oder indem man im Sommer langärmlige Klamotten trägt und die Beine bedeckt.
  • Aber es hilft auch, die Brutplätze von Mücken zu bekämpfen, bevor die Stechmücken-Saison beginnt. So kann ein Deckel auf der Regentonne helfen, um unnötige Wasseransammlung zu vermeiden.

Allerdings passiert das nur, wenn sie von einer Stechmücke gestochen werden, die das Virus in sich trägt. Denn von Mensch zu Mensch kann WNV nicht durch Stechmücken übertragen werden. Übrigens wurden im gesamten ostdeutschen Gebiet laut Robert-Koch-Institut, 2023 sieben WNV-Fälle beim Menschen nachgewiesen.

Wie gefährlich ist das Westnilvirus?

Zudem ist eine Ansteckung mit dem Erreger für den Menschen in der Regel ungefährlich. „80 Prozent der Infizierten merken nichts, knapp 20 Prozent haben ganz leichte Symptome, wie bei einer Sommergrippe“, sagt Lühkhen. Zwar könnten Infizierte auch eine Gehirnentzündung entwickeln, aber passiere sehr selten. Noch viel seltener kommt es vor, dass jemand an einer WNV-Infektion stirbt. „In Deutschland bisher nur ein einziger Fall bekannt.“

Trotzdem kann der Erreger für die Menschen gefährlich werden, die auf Blutspenden angewiesen sind, weil ihr Immunsystem geschwächt ist. Ist das Blut mit WNV infiziert, können die Empfänger unter Umständen schwer erkranken.

Wie sieht es nun aus bei der Blutspende?

Und um genau dieses Risiko zu minimieren, schreibt das Paul-Ehrlich-Institut vor, dass Personen, die sich länger als zwei Tage in einem deutschen WNV-Gebiet aufgehalten haben, 28 Tage lang kein Blut spenden dürfen. Alternativ kann man jede Blutspende auch auf das Virus testen – Menschen, die in Berlin oder anderen WNV-Gebieten leben und eine Blutspende erhalten, müssen als keine Sorgen wegen einer Infektion haben.

Und wie viele Berliner sind auch Stechmücken wenig angetan vom nass-grauen Winter. Die Anordnung gilt daher nur vom 1. Juni bis zum 30. November eines Jahres. „Bisher wurden außerhalb der Saison keine West-Nil-Infektionen festgestellt“, sagt Britta Dimanski, die das Institut für Transfusionsmedizin Berlin/Potsdam leitet. Daher sei es gerade weder nötig, Spender aus Ostdeutschland abzulehnen, noch ihre Spende auf WNV zu testen.

Bleibt die Frage, warum man das in Köln anders handhabt. Vermutlich lässt sich das durch einen schnellen Anruf im Spendezentrum klären: Man halte sich an eine EU-Richtlinie von 2004, die generell empfiehlt, in WNV-Gebieten 28 Tage mit der Spende zu warten, so am Telefon.

Aber warum aber orientieren sich die Kölner nicht an der aktuelleren und für Deutschland präziseren Vorgabe des Paul-Ehrlich-Instituts? Die Antwort des Spendenzentrums ist eine Gegenfrage: „Warum stochern Sie denn hier so herum?“

Eine befriedigendere Antwort blieb aus.

Aber ob Köln oder Berlin oder Sömmerda, einen aktuellen Anlass zur Sorge gibt es offenbar nicht. Aber was viel wichtiger ist: Blutspenden werden weiterhin dringend benötigt. Und spenden kann man auch noch 28 Tage nach dem Urlaub.