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Wie Pilze wegen einer Dresdner Erfindung besser wachsen

Bei Kulturpilzen kommt zum Abdecken Torf zum Einsatz. Das ist bald verboten. Die Lösung kommt aus Dresden.

Von Jana Mundus
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Natalie Rangno testet am Institut für Holztechnologie Dresden neue Abdeckerde für die Champignonzucht. Die kommt ohne Torf aus. Ab 2030 ist der Stoff in Hobby- und Profianbau verboten.
Natalie Rangno testet am Institut für Holztechnologie Dresden neue Abdeckerde für die Champignonzucht. Die kommt ohne Torf aus. Ab 2030 ist der Stoff in Hobby- und Profianbau verboten. © IHD

Die Arbeit von Natalie Rangno sollen ihre Gäste nicht nur sehen, sie sollen sie auch schmecken. Nur so könnten sie wirklich verstehen, worum es der Forscherin vom Institut für Holztechnologie Dresden wirklich geht. Behutsam schneidet sie eine dünne Scheibe vom Kopf eines großen Champignons ab. Den hat sie gerade frisch geerntet – aus einer Kunststoffkiste in einer speziellen Aufzuchtkammer im Keller des Instituts.

"Champignons kann man auch roh essen", sagt die Wissenschaftlerin und reicht das Stück weiter. Das schmeckt intensiv nach Pilz, ist frisch und dabei bissfest. Einfach richtig lecker. Natalie Rangno kennt sich nicht nur mit Champignons aus. Auch andere Sorten wie Kräuterseitlinge oder Florida-Austernpilze lässt sie in exakt temperierten Schränken wachsen. Sie testet neuartige Mischungen für Substrate und Abdeckerden, in denen die Pilze sich entwickeln. Ihr neuestes Projekt könnte nun die Pilzzucht in Deutschland verändern.

Das Büro von Natalie Rangno ist fest in der Hand der Pilze. Im Regal stehen gerahmte Fotos von ihnen, ein kleiner gehäkelter Fliegenpilz hängt daneben, auf einem Schrank liegt ein bemalter Glücksstein mit Pilzmotiv, die Stifte warten in einer mit Pilzen verzierten Schale auf ihren Einsatz. "Sie faszinieren mich schon lange", erzählt die Wissenschaftlerin, die selbst eine Kette mit passendem Anhänger trägt und aus einer Fliegenpilztasse Kaffee trinkt. Wiesenchampignons hätten es ihr schon als Kind in Kasachstan angetan. "Wie diese weißen Wesen aus der Erde kommen, das war toll." An die Pilzzucht wagte sie sich in jungen Jahren jedoch noch nicht. Sie züchtet erst einmal Kakteen. Biologie ist ihr Ding. An mehreren Wettbewerben nimmt sie damals erfolgreich teil.

Nach dem Studium Firmengründung

Im Labor zu arbeiten, das ist ihr großer Traum. Ein Studienplatz für Biologie bleibt ihr jedoch verwehrt, sie beginnt 1991 ein Studium der Agrarwissenschaften in Almaty, der größten Metropole Kasachstans. "Wir besuchten damals ein Labor und dort züchteten die Forscher Pilze." Ihre Leidenschaft ist neu geweckt. Eigentlich will sie gern in diesem Labor mitarbeiten, aber das klappt nicht. Also putzt sie dort zwei Jahre lang. "Da habe ich immer geschaut, welche Bücher und Fachpublikationen da rumliegen, habe mir diese besorgt und mir alles selbst beigebracht."

In ihrer Diplomarbeit beschäftigt sie sich mit der Frage, in welchen Substraten Austernpilze am besten wachsen. Ihre Mutter ist in der Textilindustrie tätig. Das bringt Natalie Rangno auf eine Idee. "Ich habe mit Baumwollresten experimentiert und festgestellt, dass die Pilze darauf wunderbar wachsen." Die Ergebnisse ihrer Arbeit machen Eindruck in der Pilzzuchtwelt ihrer Heimat. Verschiedene Unternehmen wollen von ihrem Wissen profitieren – doch sie gründet mit 20 Jahren lieber selbst eine Firma für die Austernpilzproduktion.

Das Geschäft läuft, sie verdient gut. "Aber die Wissenschaft lag mir mehr", erinnert sie sich. Die spannende Suche nach neuen Lösungen, das Experimentieren, daran hängt ihr Herz. Mit 25 Jahren zieht sie nach Dresden, denn sie hat familiäre Wurzeln in Deutschland. "Beim Arbeitsamt sagte man mir, als Expertin für Pilzzucht gäbe es hier keine Jobs." Sie entscheidet sich noch einmal für ein Studium – in Biotechnologie an der TU Dresden. Die Entschlüsselung der DNA von Pilzen wird wenig später ihr Spezialgebiet.
2004 kommt sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin ans IHD. Holz steht hier im Mittelpunkt, aber Pilze?

Vom Fußpilz bis zum Waldpilz

Gemeinsam mit der Firma Biotype Diagnostic aus Dresden entwickelt sie einen DNA-Chip, der 27 holzzerstörende Hausfäulepilze erkennt. Mit einem Labor aus Leipzig entsteht die Idee, die Technologie für Hautpilze einzusetzen. Auch das glückt. "Vom Fußpilz zum Waldpilz, das sind quasi meine Themen", sagt sie und lacht.
Das Thema Pilzzucht lässt sie trotzdem nicht los. "Pilze werden in Zukunft eine immer wichtigere Rolle spielen", ist sie überzeugt. Seit Jahrhunderten nutzt der Mensch sie schon als Lebensmittel oder zur Herstellung von Medikamenten, Vitaminen, Giften oder Pigmenten. Künftig könnten sie Kunststoffe, Verpackungsmaterialien oder Dämmstoffe ersetzen. Dafür muss der Anbau ertragreich sein.

Die Reipiko Reitzenhainer Pilzkorb GmbH ist Partnerbetrieb der Forscherin Natalie Rangno vom Institut für Holztechnologie Dresden. Firmengründer Roland Münzner (im Foto) und seine Kollegen bauen dort Champignons ohne Torf an. Foto:IHD
Die Reipiko Reitzenhainer Pilzkorb GmbH ist Partnerbetrieb der Forscherin Natalie Rangno vom Institut für Holztechnologie Dresden. Firmengründer Roland Münzner (im Foto) und seine Kollegen bauen dort Champignons ohne Torf an. Foto:IHD © IHD

Natalie Rangno wagt sich deshalb in eine neue Welt vor: in die Welt der Edelpilzzüchter in Deutschland. Dort ist man zuerst skeptisch, was die Forscherin aus Dresden da vorschlägt: neue Substrate für den Pilzanbau, die einen höheren Ertrag ermöglichen sollen. "Das ist eine komplizierte Sache, weil die Hersteller solcher Substrate alle ihre eigenen Geheimrezepturen haben." Also beginnt sie bei null, setzt nachwachsende Roh- und Reststoffen wie Nadelholzspäne, Hanfschäben, Weide, Pappel oder abgetragene Pilzsubstrate für ihre Mischungen ein und lässt sie von Partnerbetrieben testen. Anhand von Kräuterseitlingen zeigt sich, dass sich der Ertrag dadurch um gut ein Viertel steigern lässt.

Branche braucht neue Abdeckerde

Aktuell widmet sie sich einem weiteren Problem. Ab 2030 ist die Verwendung von Torf in Deutschland in den Abdeckerden verboten. Durch den sonst notwendigen Torfabbau und dessen Nutzung wird der Kohlenstoff im Torf im Laufe der Zeit in das Treibhausgas CO2 umgewandelt und freigesetzt. Ein Problem fürs Klima. Im Verbundprojekt MykoDeck, an dem auch das Dresdner Fraunhofer IKTS und das Unternehmen LAV Technische Dienste beteiligt sind, entwickelt die Forscherin deshalb torffreie Alternativen.

Grundlage für die Mischungen sind biologische Reststoffe aus der Holzindustrie und Landwirtschaft. Auch die lässt sie wieder von Pilzzüchtern, wie etwa der Reipiko Reitzenhainer Pilzkorb GmbH in Marienberg, testen. Die bisherigen Ergebnisse sind vielversprechend. "Die Pilze wuchsen üppig, sogar über fünf Wellen." Fünfmal waren Ernten möglich. Noch ist aber nicht jedes Problem gelöst. Die Pilze wachsen zu dicht, haben dadurch weniger Luft. Die Erde selbst speichert noch zu wenig Wasser. Das soll optimiert werden.

Die torffreie Erde wäre für die Branche ein wichtiger Schritt. Bisher kommen gängige Torf-Varianten aus Polen oder den Niederlanden. "Während der Pandemie haben wir gesehen, dass Lieferketten zusammenbrachen", sagt Natalie Rangno. Eine regionale Abdeckerde könnte genau das verhindern.