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300 Knöllchen pro Tag - Prozess offenbart Details um Varnsdorfer Blitzer-Skandal

Im Prozess um den Skandal-Blitzer in Varnsdorf, der jetzt in Usti fortgesetzt wurde, präsentieren sich die Angeklagten als Unschuldslämmer mit Gedächtnislücken.

Von Steffen Neumann
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Der inzwischen abgebaute Skandal-Blitzer im Varnsdorfer Ortsteil Studanka.
Der inzwischen abgebaute Skandal-Blitzer im Varnsdorfer Ortsteil Studanka. ©  Matthias Weber (Archiv)

Eine Stadt im Goldrausch. So müssen sich die Repräsentanten der Kleinstadt Varnsdorf (Warnsdorf) direkt an der Grenze zu Sachsen im Jahr 2018 gefühlt haben. Vier Anlagen zur Geschwindigkeitsmessung hatten die Stadt auf einen Schlag reich gemacht. Doch der plötzliche Geldstrom war offenbar nicht legal, versucht die Staatsanwaltschaft derzeit in einem Prozess vorm Bezirksgericht in Ústí nad Labem (Aussig) nachzuweisen.

Reich wurde demnach vor allem die Firma Water Solar Technology (WST), welche die Messgeräte für die Stadt betrieb und pro Bußgeldbescheid eine ordentliche Provision von 300 Kronen (12 Euro) erhielt. Bereichert haben sich laut Staatsanwalt auch der damalige Bürgermeister Stanislav Horáček und sein Stellvertreter Josef Hambálek, welche zudem die Ausschreibung für den Messauftrag so manipuliert haben sollen, dass am Ende der alte Bekannte von Bürgermeister Horáček, Miloš Schubert mit seiner Firma WST, den Zuschlag erhielt.

Im Gerichtsprozess trat nun erstmals der Angeklagte Miloš Schubert auf. Wie schon vorher Bürgermeister und Vizebürgermeister lehnte er es ab, auf Fragen der Staatsanwaltschaft zu antworten und bedachte die Zuhörer im Gerichtssaal stattdessen mit einem langen Monolog über die Geschichte seiner Firma und warum gerade sie für den Auftrag prädestiniert war. Er gab allerdings auch zu, mit Bürgermeister Horáček schon lange bekannt gewesen zu sein. Dass er ihn aber bestochen haben soll, indem er ihm und dessen Lebenspartnerin den Rohbau eines Einfamilienhauses geschenkt hat, wies er ebenso zurück wie Manipulationen um den Auftrag. Laut Schubert lief alles im Rahmen der geltenden Gesetze ab. Einzig, dass er sich jeden gemessenen Geschwindigkeitsverstoß einzeln zahlen ließ, bedauert er heute. Das Innenministerium hatte schon vorher diese Praxis als illegal bezeichnet.

Die Abwicklung des Auftrags inklusive Ausschreibung hatte für die Stadt die Firma Via Consult übernommen. Deren Chef Milan Konečný sagte als Zeuge vor Gericht aus, dass die Firma von der Stadt kontaktiert wurde. „Aber von wem genau, weiß ich nicht“, konnte auch er sich nicht erinnern. Konečný sagte aus, dass die Stadt zwei Firmen für den Auftrag empfohlen hatte, Via Consult eine. Dem widersprach Bürgermeister Horáček und behauptete, dass alle Firmen von Via Consult empfohlen wurden. Konečný wiederum bezeichnete es als Fehler der Stadt, das Auftragsvolumen zu niedrig angesetzt zu haben. Das hatte erst möglich gemacht, den Auftrag nicht offen ausschreiben zu müssen.

Gewisse Gedächtnislücken traten auch bei dem damaligen Stadtrat Rolland Solloch auf, der später Horáček als Bürgermeister ablöste und nun als Zeuge auftrat. Er habe angeblich nicht von stationären Geschwindigkeitsmessungen gewusst. Doch auf einmal gingen bei der Stadt Bußgeldbescheide im Wert von 21 Millionen Kronen ein (840.000 Euro) ein. In kürzester Zeit müssen demnach rund 20.000 Geschwindigkeitsverstöße gemessen worden sein, mehr als 300 pro Tag. Solloch zeigte sich laut Aussage vor Gericht überrascht, aber verdächtig kam ihm das nicht vor. „Ich ahnte zumindest, dass es im Ortsteil Studánka zu vielen Verstößen kommen würde, aber so viel hatte niemand erwartet. Trotzdem stimmte ich für die Auszahlung der Provisionen an WST, da wir dazu vertraglich verpflichtet waren“, so Solloch.

Auch Radek Kříž, bis heute Hauptamtsleiter von Varnsdorf, war sich weder bewusst, dass eine Geschwindigkeitsmessung begonnen habe, noch konnte er als Zeuge vor Gericht sagen, wann sie endete.

Anders die oppositionelle Abgeordnete im Stadtparlament, Lenka Lanková, deren Anzeige letztendlich den Stein der Ermittlungen erst ins Rollen brachte. „Der Druck auf uns war hoch. Die Leute wiederum fragten, warum wir als Stadt für jeden Verstoß zahlen müssen und es zum Beispiel keine Gebühr pro Monat gibt. Sobald jemand wagte, Kritik zu üben, wurde die Person lächerlich gemacht“, schilderte sie als Zeugin vor Gericht.

Vor Gericht geht sie auf einen wesentlichen Aspekt der verdächtigen Abkassierpraxis ein. „Der Versand der Bußgeldbescheide mit vielen Monaten Verspätung hatte überhaupt keinen Erziehungseffekt“, sagt sie. Tausende Autofahrer, auch aus Deutschland fuhren monatelang wiederholt mit erhöhter Geschwindigkeit, ohne die Messungen auch nur zu ahnen. Monate später erhielten sie dann häufig gleich drei oder sogar mehr Bescheide auf einmal.

„Mir ist völlig schleierhaft, wie ein System, das von Anfang an nicht funktioniert hat, nicht sofort nach Auftauchen der ersten Fehler abgeschaltet wurde“, so Lanková und weiter: „Wie ich dann eins und eins zusammengezählt habe, hörte ich auf zu glauben, dass alles nur Zufall war“, sagt Lanková.

Horáček und Schubert als Hauptverantwortliche, die den Deal ausgehandelt haben sollen, drohen im Fall einer Verurteilung fünf bis zwölf Jahre Gefängnis, Hambálek muss mit zwei bis acht Jahren Freiheitsentzug rechnen und die Partnerin von Horáček mit bis zu drei Jahren. Der Firma WST droht eine Geldstrafe. Die Staatsanwaltschaft wirft den Angeklagten Amtsmissbrauch beziehungsweise Beihilfe, dazu Vorteilsnahme in einer öffentlichen Ausschreibung, Bestechung sowie Verstoß gegen Wettbewerbsregeln vor.