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Busfahrer muss Kinder im Schneetreiben laufen lassen

Seit im Kreis Görlitz der Busfahrplan umgekrempelt ist, ist der Schulweg für manche Kinder aus dem Zittauer Gebirge eine Weltreise - im Winter mit Risiko.

Von Jana Ulbrich
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Die Brüder Dennis (13) und Domenik (10) gehören zu den Kindern aus Lückendorf, für die der Schulweg eine Gebirgsrundreise mit Risiko geworden ist.
Die Brüder Dennis (13) und Domenik (10) gehören zu den Kindern aus Lückendorf, für die der Schulweg eine Gebirgsrundreise mit Risiko geworden ist. © Rafael Sampedro/foto-sampedro.de

Dennis und Domenik sind coole Jungs. Die beiden Brüder wohnen im Zittauer Gebirgsort Lückendorf. Sie lieben den Winter. Kälte, Eis und Schnee machen ihnen nichts aus. Strengere Winter als anderswo sind Gebirgskinder schließlich gewöhnt. Aber das, was die beiden - und mit ihnen alle anderen Lückendorfer Schulkinder - seit der viel diskutierten Groß-Umstellung des Busfahrplans im Landkreis Görlitz jetzt erleben, daran wollen sie sich nicht gewöhnen.

Dennis und Domenik lernen am Zittauer Christian-Weise-Gymnasium. Seit der Fahrplanumstellung gibt es für sie und die anderen Schüler aus Lückendorf keine direkte Busverbindung mehr zur und aus der Schule. Für den Heimweg drehen sie eine Gebirgsrunde mit der Linie 16. Ihr Bus fährt zuerst alle Haltestellen in Olbersdorf ab, durchquert die gesamte Grundbachsiedlung, fährt dann über Niederoybin hoch hinauf auf den Hain und von dort über die Kammstraße nach Lückendorf. Fast eine Stunde sind die Kinder aus Lückendorf auf dieser Tour unterwegs.

Aber das ist nur die eine Seite des Problems. Die kurvige und teils steile Kammstraße, berühmt und berüchtigt nicht nur durch das Lückendorfer Bergrennen, ist für Busse bei Schnee und Eis schlichtweg nicht zu bewältigen. Schon beim ersten Wintereinbruch Mitte November bekamen die Lückendorfer Kinder das zu spüren. Domenik sitzt an jenem Dienstag im 12-Uhr-Bus.

"Der Busfahrer hat uns gesagt: Das Kammloch ist zugeschneit, ich kann nicht hochfahren." Auf dem Hain müssen die Kinder aussteigen. "Der Fahrer hat uns gefragt, ob wir unsere Eltern anrufen können und wollte auch so lange warten. Es waren aber ältere Schüler dabei, die haben gesagt: Wir laufen. Da bin ich eben mitgelaufen", erzählt der Zehnjährige. Im Schneetreiben machen sich die Kinder mit ihren schweren Ranzen auf den rund fünf Kilometer langen Heimweg. "Es ging schon", sagt Domenik, "nur meine Füße waren eiskalt, weil meine Schuhe klitschnass geworden sind." In die Schule fahren die Kinder ja nicht in ihren dicken Winterstiefeln.

Zwei Stunden später sitzt Domeniks großer Bruder Dennis auf der Heimfahrt im Bus der Linie 16. Auch dessen Fahrer muss die Kinder auf dem Hain aussteigen lassen. "Der Fahrer war aber sehr nett, er hat gewartet, bis wir jemanden erreicht haben, der uns abholt", erzählt der 13-Jährige. Dennis ruft seine Tante an, die die Lückendorfer Schulkinder schließlich ins Auto lädt. "Gut, dass wir ein Handy haben", sagt Dennis im Nachhinein.

"Aber das kann doch nicht die Lösung sein", findet Thomas Wintzen, der Vater der Jungs. "Der Winter hat erst angefangen. Und schon im letzten Winter hatten wir ein paarmal diese Situation." Aber was soll der Busfahrer machen? Das fragt Alfons Dienel, der Geschäftsführer der Kraftverkehrsgesellschaft (KVG) Dreiländereck. "Der Fahrer hat die Verantwortung, dass die Kinder sicher nach Hause kommen. Er muss das Risiko abwägen." So ein Bus wiegt 16 Tonnen. Man kann sich vorstellen, was passiert, wenn er mit Kindern an Bord auf der Seite liegt, erklärt der KVG-Chef. Er könne da nur um Verständnis bitten. Und vor allem auch um einen regelmäßigen Winterdienst auf Strecken wie diesen.

Schülerverkehr wird vom Landkreis organisiert

Der Winterdienst auf der Straße über den Gebirgskamm ist Sache des Landkreises. Genauso wie die Tourenplanung der Schülerlinien. "Warum die Kinder aus Lückendorf überhaupt diesen langen Umweg und die Fahrt über den Kamm auf sich nehmen müssen, das erschließt sich uns allen nicht", sagt Thomas Wintzen, der für den Ortsteil auch im Oybiner Gemeinderat sitzt. Auf der jüngsten Sitzung hat er das Problem zur Sprache gebracht. Und die Gemeinderäte sind sich einig, dass hier dringend nachgebessert werden muss. "Selbst wenn es nur ein einziges Kind betreffen würde", sagt Oybins Bürgermeister Tobias Steiner (SPD).

Schon Anfang vorigen Jahres, als die Pläne des Landkreises für die Fahrplanumstellung auf den Tisch kamen, hatten die Oybiner und Lückendorfer protestiert. "Der Schülerverkehr, der gut funktioniert hat, ist weggestrichen worden zugunsten der Taktbusse, weil die aus einem anderen Topf bezahlt und gefördert werden", sagt Steiner. "Das kann doch nicht sein." Jetzt hat sich der Bürgermeister, der auch Kreistags-Mitglied ist, erneut an den Landkreis gewandt. Nach einem Jahr müsse das ganze Netz im Süden des Kreises auf den Prüfstand, findet er. "Und dort, wo Nachbesserungsbedarf erkannt ist, muss auch nachgebessert werden."

Thomas Wintzen sieht beim Schülerverkehr übers Gebirge noch ein ganz anderes Problem: "Die Linie 16 bringt alle Kinder aus Jonsdorf, Olbersdorf, Oybin, Lückendorf und Hain von Zittau nach Hause - ein normaler Bus ist da heillos überfüllt, vor allem der Bus gegen 12 Uhr", schildert der Vater. Sein großer Sohn Dennis sei schon zweimal gleich an der Haltestelle in Zittau stehen gelassen worden und habe auf den nächsten Bus warten müssen. "Im Sommer mag das nicht so schlimm sein, aber im Winter bei zehn Grad minus funktioniert das nicht", sagt er. Von einer Ansteckungsgefahr im überfüllten Bus - gerade jetzt in der starken vierten Corona-Welle - sei da noch gar nicht die Rede.

In der Kreisverwaltung ist das Problem zumindest schon mal angekommen: Man werde sich zu dieser Thematik zeitnah mit der Gemeinde Oybin abstimmen, teilt eine Sprecherin mit. Eine Nachbesserung bei diesem Einzelfall sei denkbar. Grundsätzliche Beschwerden oder Kritik aus dem südlichen Teil des Landkreises seien der Behörde hingegen nicht bekannt, so die Sprecherin. Man sehe deshalb auch keinen Grund, den Fahrplanwechsel als Ganzes auf den Prüfstand zu stellen. Anregungen und Verbesserungsvorschlägen werde die Kreisverwaltung aber nachgehen.