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Deckname Jakob

Bei Hirschfelde haben Denkmalexperten jetzt ein Stück geheime deutsche Geschichte wiederentdeckt und erfasst.

Von Irmela Hennig
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Einer der Bunker bei Hirschfelde, die von Denkmalschutzexperten des Freistaates jetzt unter die Lupe genommen wurden.
Einer der Bunker bei Hirschfelde, die von Denkmalschutzexperten des Freistaates jetzt unter die Lupe genommen wurden. © Rafael Sampedro/foto-sampedro.de

Sie hießen unauffällig Anke oder Aal, Biber und Gisela, Hecht, Hummer – oder Buchfink. Gemeint sind kriegswichtige Bauvorhaben der deutschen Nationalsozialisten in der Zeit des Zweiten Weltkrieges, vor allem in den Jahren 1943/44. Für ein Objekt in der Nähe von Hirschfelde zwischen Görlitz und Zittau wurde „Jakob“ als Deck- oder Tarnname ausgewählt.

Buchfink hätte auch gepasst. Denn der schmettert lautstark in diesem Waldflecken. Immer im Wechsel mit dem Zaunkönig, ab und zu unterbrochen vom Zilpzalp mit seinem monotonen Zweiklang. Viel leiser lässt sich das Sommergoldhähnchen hören. Zu sehen ist es nicht zwischen den noch zartgrünen Blättern von Ahorn, Linden, Buchen. Ein Naturidyll. In dem mancher Wanderer vielleicht stutzt über große Betonzylinder und andere Bauten, die hier zwischen Sternmiere und Farnen aus dem Boden ragen.

Es ist das, was übrig ist von Jakob, konkret Jakob II. Was hier steht, sind die Betonhüllen ehemaliger Tanklager, die Mitarbeiter des Landesamtes für Denkmalpflege in Sachsen dort kürzlich wiederentdeckt haben. Durch eine Luftbildaufnahme des Geländes war Industriearchäologin Kathrin Kruner aufmerksam geworden auf diese Überreste eines ehemaligen Hydrierwerkes. Das hatten die Nationalsozialisten 1944 gebaut, um hier Flugbenzin aus Braunkohle herzustellen. In der Oberlausitz war es wohl die einzige derartige Einrichtung, zeigen SZ-Recherchen. „44 solche Anlagen gab es im Deutschen Reich“, erzählt Kathrin Kruners Kollege Tom Pfefferkorn. Er hat einst Architektur studiert und arbeitet ebenfalls fürs Denkmalamt. So wie Bauingenieurin Nora Wiedemann. Als Team sächsische Lausitz erfassen sie derzeit mit weiteren Kollegen Anlagen wie das einstige Hydrierwerk. Anlass ist ein Projekt der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien. Darüber sollen Gebäude, Technik, aber auch Kippen, Gruben und Denkmale ermittelt, beschrieben, fotografiert und kartiert werden, die mit der Braunkohleförderung und -nutzung in Verbindung stehen. Denn mit dem Ausstieg aus der Nutzung des fossilen Energieträgers wird all das „historisch“, so sagen Experten. „Eine solche Anlage fällt durch das Rost der Geschichte“, schätzt Tom Pfefferkorn. Um das zu verhindern, läuft das aktuelle Projekt, in allen noch aktiven Braunkohlerevieren.

So sieht es in den Bunkern heute aus.
So sieht es in den Bunkern heute aus. © Rafael Sampedro/foto-sampedro.de

Klein im Vergleich zu „Riese“ in Niederschlesien

Im Vergleich mit anderen geheimen Bauvorhaben im Dritten Reich ist das Hirschfelder Projekt klein. Sieben Stahlbetontanks waren wohl geplant. Sechs wurden tatsächlich errichtet. Eine ganz andere Dimension hatte es als beispielsweise das Tunnelsystem des Vorhabens „Riese“ unter dem Eulengebirge oder ein ähnliches Projekt bei Waldenburg, heute Wałbrzych in Polen. Dort waren gigantische Stollen in den Berg getrieben worden, durch die sogar Züge und Lkw fahren konnten und deren Zweck bis heute nicht wirklich geklärt ist. Teile von „Riese“ wurden in den vergangenen Jahren zugänglich gemacht. Es gibt dort unter anderem Führungen, Ausstellungen unter Tage und Vortragsveranstaltungen. Eine stärkere touristische Nutzung für die Braunkohle-Hinterlassenschaften – wo es das nicht schon gibt – können sich auch die Mitarbeiter des Denkmalamtes vorstellen. Zumindest Infotafeln seien denkbar und QR-Codes, also Zeichen, die man mit dem Smartphone scannen kann, um dann etwas über die Orte und Objekte zu erfahren. An den Hydrierwerk-Resten bei Hirschfelde kann man zumindest vorbeiwandern. Die Hüllen der Tanklager stehen hier noch, dazu einige Fundamente. Es gibt Reste einer Verladebrücke sowie ein Betonbecken.

„Die technischen Anlagen sind nach dem Krieg ausgebaut worden“, sagt Kathrin Kruner. Das Übrige diente zeitweise als Lager, zum Beispiel für Teer vom Braunkohlenwerk Hirschfelde. Ein bisschen kann man das noch riechen. Auch Pyrotechnik sei hier aufbewahrt worden. Die DDR-Gesellschaft für Sport und Technik (GST) haben einen der Tanks als Schießstand genutzt. Als Hydrierwerk ging die Anlage in Hirschfelde indes nie in Betrieb. Anders als beispielsweise eine im sächsischen Pirna/Mocketal und Herrenleite. Unter dem Decknamen Carnalitt wurde da aber Erdöl destilliert. Zwangsarbeit durch KZ-Häftlinge und Zivilisten war in Pirna und bei ähnlichen Projekten an der Tagesordnung. Überlebende haben später von fürchterlichen Lagerbedingungen berichtet, von Unterernährung, Schlägen, Ermordungen. Die Fachleute vom Denkmalamt halten es für vorstellbar, dass auch bei Bauarbeiten in Hirschfelde Zwangsarbeiter eingesetzt wurden.

Dass hier überhaupt so etwas entstanden ist, hatte zwei wesentliche Gründe. Zum einen gab es Wasser und die Braunkohle aus dem nahen Tagebau als Rohstoff. Zum anderen herrscht aus Sicht der Nazis die Notwendigkeit, anders als bislang Treibstoff zu produzieren. Denn am 12. Mai 1944 hatte die US Airforce, die achte amerikanische Luftflotte, Raffinerien und Hydrieranlagen im Deutschen Reich angegriffen. Nach Angaben aus privat recherchierten Quellen, geschah das mit 935 Bombern. Leuna, Böhlen, Brüx, Lützkendorf und Zeitz-Tröglitz seien die Ziele gewesen. Auf die Weise sollte vor allem die Treibstoffversorgung der Wehrmacht gestört werden. Ende Mai und im Juni gab es weitere Bombardierungen der Benzinproduktion.

Denn im Jahr fünf des Zweiten Weltkrieges setzten alliierte Kräfte den Aggressor Deutschland zunehmend unter Druck. Die deutsche Ostfront brach im Spätsommer zusammen. Damit verloren die Nationalsozialisten den Zugriff auf rumänische Ölfelder. Dies und der erwähnte Verlust der großen Raffinerien machte die Suche nach Alternativen notwendig. Der Mineralölsicherungsplan wurde schrittweise umgesetzt, auch Geilenberg-Plan benannt – nach seinem Verfasser Edmund Geilenberg. Ein Vertreter der Rüstungsindustrie und später Wehrwirtschaftsführer, der „mit seinen Programmen verantwortlich für den Tod von tausenden Gefangenen“ war, heißt es in einem Text des Alternativen Kultur- und Bildungszentrums Pirna. Für die Stadt ist schon viel zu den einstigen Anlagen geforscht worden. Im Fall von Hirschfelde, das Gelände ist in Privatbesitz, sei da noch einiges zu tun, sagen die Denkmal-Fachleute. Dafür ist das aktuelle Projekt des Bundes aber nicht ausgelegt. Da müsse es andere Wege geben.