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Stephen-King-Stück lässt Zittauer gruseln

Die Romanverarbeitung "Misery" hatte am Sonnabend im Gerhart-Hauptmann-Theater Premiere. Mit guten Ideen, die das Stück aber nicht alle gebraucht hätte.

Von Ines Eifler
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Patricia Hachtel spielt Annie Wilkes, die den Schriftsteller Paul Sheldon (Paul-Antoine Nörpel) gefangen hält.
Patricia Hachtel spielt Annie Wilkes, die den Schriftsteller Paul Sheldon (Paul-Antoine Nörpel) gefangen hält. © Pawel Sosnowski

Schon zu Beginn, als die Bühne noch eine kleine, abgedunkelte Küche zeigt und ein in rote Lichter gerahmtes Porträt an der Wand, erklingt düstere Musik. Wie ein böser Schatten tritt Annie Wilkes aus dem Dunkel, gespielt von Patricia Hachtel, die geräuschlos mit eigener Kraft die Bühne dreht. Und damit ein Zimmer offenbart, in dem ein verletzter Mann mit Bändern ans Bett gefesselt liegt. – Ein starker Anfang einer starken Inszenierung von Grzegorz Stosz.

Von der ersten Minute an versucht das Stück gar nicht erst den Eindruck zu erwecken, es wolle die Geschichte einer mitfühlenden Frau erzählen, die einen Mann vor dem Tod gerettet hat. Schnell wird klar, der Schriftsteller Paul Sheldon (Paul-Antoine Nörpel) befindet sich in der Gefangenschaft einer geistig gestörten, emotional instabilen einsamen Frau. Sie identifiziert sich mit der Titelfigur seiner Romanreihe "Misery" und verbringt ihr Leben in deren fiktiver Welt.

Annie Wilkes (Patricia Hachtel) ist Paul Sheldons (Paul Nörpel) "Fan Nummer eins". Eine persönliche Widmung ist noch das Wenigste, was sie von ihm will.
Annie Wilkes (Patricia Hachtel) ist Paul Sheldons (Paul Nörpel) "Fan Nummer eins". Eine persönliche Widmung ist noch das Wenigste, was sie von ihm will. © Pawel Sosnowski

Die angebliche Krankenschwester hat den Schriftsteller nach einem Autounfall "gerettet", in ihr Haus gebracht und seine Wunden notdürftig versorgt. Er ist von ihr abhängig, weil sie über die Dosis seiner Schmerzmittel bestimmt und seine einzige Chance zum Kontakt in die Außenwelt ist. Und sie kann ihn zwingen, das Buch zu schreiben, mit dem sie, sein "Fan Nummer eins", weiter in Miserys Welt leben kann.

Bühne mit schrägem Boden

Als Stephen King 1987 seinen Roman "Misery" schrieb (deutsch: "Sie"), war der amerikanische Schriftsteller seit Jahren alkohol- und kokainsüchtig. Im selben Jahr bewegte ihn seine Frau dazu, eine Entzugsklinik aufzusuchen. Dort überwand King die Sucht, doch es wuchs auch seine Angst, ohne bewusstseinsverändernde Stoffe nicht mehr schreiben zu können. Den Zusammenhang zwischen Abhängigkeit, Abstinenz und Schreibblockade hat er mehrfach verarbeitet. Über Annie Wilkes schrieb er später, mit dieser Figur habe er die Personifizierung seiner Sucht beschrieben.

Vielleicht wegen dieses autobiografischen Bezugs und Kings Reflexion schaut man als Zuschauer aus der Vogelperspektive in die kleine Welt des Paul Sheldon. Das Zimmer seiner Gefangenschaft ist auf der Bühne von Ulrike Bode und Mario Wenzel gekippt: Der Boden ist eine sehr schräge Ebene, in der Bett, Schreibtisch und Sessel so fest verankert sind, dass sie auch noch einen Menschen tragen können, ohne zu rutschen. Die Bilder brauchen mehr als nur einen Nagel, um schräg an der Wand hängenzubleiben.

Paul Nörpel spielt den verletzten Schriftsteller in "Misery". Hier sieht man den schrägen Boden des Bühnenbilds.
Paul Nörpel spielt den verletzten Schriftsteller in "Misery". Hier sieht man den schrägen Boden des Bühnenbilds. © Pawel Sosnowski

Und Paul Nörpel spielt die Anstrengung des Schriftstellers nicht nur, wenn Sheldon mit seinen zertrümmerten Beinen über den Boden kriecht, er muss sich tatsächlich am Schreibtisch festklammern. Einen Nachteil hat das originelle Bühnenbild jedoch: Wer sich auf dem Sessel in der Mitte halten will, muss vom Publikum abgewandt reden, um nicht herauszurutschen. So ist Patricia Hachtel, wenn Annie Wilkes da sitzt und erregt mit Sheldon spricht, teilweise schwer zu verstehen.

Starke Leistung der Darsteller

Insgesamt gelingt es der Schauspielerin aber, die Widersprüchlichkeit der Annie Wilkes so authentisch zu vermitteln, dass man als Zuschauer immer wieder zwischen Abscheu und Mitleid gerät. Manchmal wird Annie zart wie ein kleines Mädchen, wenn sie versucht, Nähe zu ihrem Idol aufzubauen. Oder wenn sie fragt: "Hab ich das gut gemacht?"

Dann wieder brüllt sie Sheldon an, weil sie ihr Vertrauen missbraucht fühlt oder völlig außer sich darüber ist, was er geschrieben hat. Dann fügt sich der Satz, ihre Mutter hätte ihr den Mund mit Wasser und Seife ausgespült, wenn sie solche Schimpfwörter verwendet hätte, von ganz allein in die Ahnung, in welcher Abhängigkeit Annie wohl aufgewachsen ist und was die Gründe für ihre Störung sein mögen.

Annie Wilkes (Patricia Hachtel) zwingt Paul Sheldon (Paul Nörpel), das Buch zu schreiben, das sie lesen will.
Annie Wilkes (Patricia Hachtel) zwingt Paul Sheldon (Paul Nörpel), das Buch zu schreiben, das sie lesen will. © Pawel Sosnowski

Paul Nörpel spielt wimmernd, schreiend, bettelnd und ebenfalls sehr nachvollziehbar, wie sich die emotionale Lage des Schriftstellers immer weiter verändert: vom Entsetzen darüber, nicht im Krankenhaus, sondern von einer Irren versorgt zu werden, über die Angst, sie könne sein kreatives Werk vernichten, die Hoffnung, er könne Annie überwältigen und sich retten, bis zur trockenen Resignation über die Ausweglosigkeit seines Schicksals. Und natürlich die Sucht nach den Tabletten, für die er sogar zusätzliche Schmerzen in Kauf nimmt.

Tolle Effekte, aber nicht alle müssen sein

Der Horror dieser Verbindung zwischen Gepeinigtem und Peinigerin entfaltet sich bei Stephen King in der deutschen Romanfassung auf über 500 Seiten und ist von Anfang bis Ende spannend. William Goldman hat die Vorlage für den Film "Sie" mit Kathy Bates (1990) und für die zweistündige Bühnenfassung so gerafft, dass diese ebenfalls allein durch die psychologische Verstrickung der beiden Figuren fesselt.

Grzegorz Stosz, der sowohl Regisseur als auch Schauspieler und Filmemacher ist, ergänzt das noch, indem er die Albträume Paul Sheldons als kunstvolle Videos einblendet und das Grauen des Stoffs mit Musik, Donnern, kreischenden Vogelstimmen und Lichteffekten unterstützt. Diese Zusätze braucht es allerdings nicht immer.

Dass etwa der Kampf Paul Sheldons, seine Körperkraft wiederzuerlangen, aus dem Off als Sportwettkampf kommentiert wird, hätte nicht sein müssen. Genau wie das Auftauchen eines Moderators am Ende oder der Metal-Death-Thrash der Liberecer Band "Pikodeath". Die brutale Musik macht zwar die Folter des Schriftstellers deutlich, aber zu Annie Wilkes, so morbide ihre Absichten auch sind, passt sie nicht.

All das sind aber nur Kleinigkeiten: "Misery" ist unbedingt sehenswert, das Publikum war begeistert von der Umsetzung in Zittau.