SZ + Zittau
Merken

Warum es nie langweilig wird, ein Osterreiter zu sein

Andreas Posselt sitzt am Ostersonntag schon zum 38. Mal auf dem Pferd und reitet durch Ostritz. Aufwand und Verantwortung sind groß, um Teil einer jahrhundertealten Tradition zu sein.

Von Frank-Uwe Michel
 4 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Rund 70 Saatreiter werden am Ostersonntag an der Prozession in Ostritz teilnehmen. Dabei passieren sie auch das Kloster Str. Marienthal.
Rund 70 Saatreiter werden am Ostersonntag an der Prozession in Ostritz teilnehmen. Dabei passieren sie auch das Kloster Str. Marienthal. © Archiv/Matthias Weber

Freizeit hat Andreas Posselt in diesen Tagen so gut wie keine. Denn jede freie Minute investiert er in die Vorbereitung der Saatreiterprozession. In Ostritz ist sie seit mehreren hundert Jahren Tradition. 2024 begeben sich die Reiter mit ihren Pferden schon zum 395. Mal auf die Strecke durch die Stadt und über die umliegenden Felder. Für den 64-Jährigen selbst ist es der 38. Ritt. "Ohne diese Teilnahme könnte ich mir Ostern gar nicht vorstellen", stellt er klar.

Dass er an dem für Christen so wichtigen Wochenende nie zu Hause sein würde, habe er seiner Frau schon vor der Hochzeit mitgeteilt, schmunzelt er. "Seitdem toleriert sie es, obwohl ihr das sicher nicht immer leicht fällt", so Posselt. Schon zu DDR-Zeiten erbat er hoch zu Ross, bekleidet mit Frack und Zylinder, den Segen für Flur und Feld. "Das war von der Obrigkeit nicht unbedingt gewünscht. Deshalb bin ich mir sicher: Wir wurden intensiv beobachtet. Aber für mich war das immer ein Glaubensbekenntnis - und ist es bis heute geblieben", betont der Ostritzer.

Langweilig oder gar zur Routine ist der Ausritt der Saatreiter für Andreas Posselt nie geworden. "Es geht hier um Tradition. Wir wollen ja das fortsetzen, was unsere Vorfahren einst begonnen haben. Und ich glaube, das ist heute wichtiger denn je." Denn die Ostritzer Reiter singen und beten während ihrer rund dreistündigen Tour. Vor allem auf dem Markt und im Klosterhof, aber auch an den verschiedenen Kreuzen in und außerhalb der Stadt. "Dass die Samen aufgehen und das Getreide auf den Feldern wächst, wird angesichts des Klimas schwieriger, sich dafür einzusetzen deshalb immer wichtiger", ist der Ostritzer überzeugt.

Gut kann sich Posselt noch an seine Jugend erinnern. Da war er als Reiter zusammen mit seinem Vater unterwegs. Inzwischen hat sein Sohn den Platz neben ihm eingenommen. Aus Überzeugung. "Nicht, weil wir uns vor tausenden Leuten in unserem Outfit zur Schau stellen wollen. Das bleibt nicht aus, weil es die Menschen interessiert. Für uns ist das aber kein Event. Wir sehen den ursprünglichen Sinn darin, wollen mit unserem Ritt dazu beitragen, dass im Herbst möglichst viel geerntet wird."

Der Ostritzer weiß, dass die Teilnahme an der Prozession für viele Reiter keine Selbstverständlichkeit ist. Auch bei ihm sind die Tage kurz vor Ostern richtig vollgepackt. "Von Donnerstag bis Sonntag sieht mich meine Familie nicht. Da bin ich beschäftigt mit den Tieren, mit Schmücken, mit der eigenen Kleidung, mit Absprachen und vielem anderen mehr, was aber einfach dazu gehört." Bei allem sei die Eigeninitiative der Reiter gefragt. "Der eine schafft es, der andere nicht - aus den unterschiedlichsten Gründen. Deshalb wissen wir tatsächlich erst am Sonntagmorgen, wie viele wir sind."

Andreas Posselt nimmt am Sonntag zum 38. Mal an der Ostritzer Saatreiter-Prozession teil.
Andreas Posselt nimmt am Sonntag zum 38. Mal an der Ostritzer Saatreiter-Prozession teil. © SZ/fum

Zum zeitlichen Aufwand kommt ein finanzielles Problem. Denn jeder Teilnehmer muss selbst die Kosten tragen. Da komme einiges zusammen, zählt Andreas Posselt auf. "Wer kein eigenes Pferd besitzt, muss sehen, wo er eins herbekommt. Die Tiere stammen oft aus Ställen in Görlitz, Löbau oder dem Oberland. Die Nachfrage ist groß, deshalb nicht immer klar, dass es auch klappt. Außerdem ist das nicht umsonst, so wie der Transport." Dazu kämen Versicherung, außerdem Frack und Zylinder. "1.000 Euro sind da schnell beisammen."

Und wer nicht allein reitet, sondern noch mit dem Sohn - "das geht dann richtig ins Geld." Er kenne Fälle, in denen Leute das ganze Jahr sparen, damit sie zu Ostern Teil der Prozession sein können. Oder junge Männer, die auf Sozialhilfe angewiesen sind, aber unbedingt mitreiten wollen. "Denen bezahlt's dann der Opa. Wer dieses Gefühl erlebt hat, durch sein Mittun eine Tradition fortzusetzen, der will darauf einfach nicht verzichten."

Apropos Männer. Frauen sind als Teilnehmerinnen der Reiterprozession bisher ausgeschlossen. Posselt hat eine mehrschichtige Meinung dazu. "Wer fordert, Frauen müssten beteiligt werden, der bekommt von mir ein klares Nein." In Ostritz wie insgesamt in der katholischen Kirche sei man da sehr konservativ. Aber: Die Kirche befinde sich im Wandel. Deshalb schränkt er zum Teilnahmeverbot für Frauen ein: "Im Moment ist das noch so." Trotzdem, lobt er, würden sie eine wichtige Rolle spielen: "Sie werden gebraucht, damit der Reiterzug so starten kann, wie man ihn kennt."

Für Andreas Posselt selbst wird das Osterwochenende wieder eins, an dem die Tage viel zu schnell vergehen. Wegen der Aufgaben, die bis zum Sonntag zu erledigen sind. Und wegen der Tradition, die nach drei Stunden schon wieder zu Ende ist. "Dann freue ich mich eben auf das nächste Jahr." Da heißt es wieder: reiten, singen, beten.

Start der Prozession am Ostersonntag ist um 13 Uhr an der katholischen Kirche. Das Kloster St. Marienthal erreichen die Reiter gegen 14 Uhr. Am Markt werden sie etwa um 15.45 Uhr erwartet.