Etwas versteckt hinter alten Bäumen und doch nicht zu übersehen ist die große Villa kurz hinter dem Löbauer Platz in Zittau. Zartrosa leuchten die Mauern hinter dem übermächtigen Grün hervor. An der Tür nicht nur eine, sondern vier Klingeln - je eine für jedes Stockwerk. Gleichbedeutend mit 17 Untermietern, die sich in dem riesigen, unter Denkmalschutz stehenden Haus verteilen. "Im Moment sind alle Zimmer belegt", sagt Marie Mühlich und hebt bedauernd die Schultern. Sie selbst wohnt im sogenannten "Mitteldeck". Statt der irdenen "Etagen" hat man für die Unterscheidung der Stockwerke die maritime Bezeichnung gewählt. "Das gefällt uns eben besser."
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Die um das Jahr 1900 erbaute Villa gehört zu den schönsten in der an repräsentativen Gebäuden aus jener Zeit nicht gerade armen Stadt. Und doch sticht sie aus der Vielzahl Zittauer Villen heraus: Das hat neben der interessanten baulichen Gestaltung vor allem mit dem hier praktizierten Wohnkonzept zu tun. Vermieter ist der Verein Studentisches Wohnen. Er hat Grundstück und Gebäude vom Eigentümer des Anwesens - der in Süddeutschland lebt - gemietet und gibt einzelne Räume an Untermieter ab, vor allem Studenten.
"2024 feiern wir 20-jähriges Bestehen", so Marie Mühlich. Sie ist 2015 hier eingezogen. Von den Anfängen hat sich die 32-Jährige, die selbst mehrere Jahre im Vereinsvorstand tätig war, von ihren Vorgängern berichten lassen. "Das Projekt ist aus einer studentischen Initiative der Zittauer Hochschule entstanden. Die Gründer aus der Fachrichtung Ökologie und Umweltschutz suchten damals ein geeignetes Objekt, in dem sie gemeinsam wohnen, aber auch ihren Idealen nachgehen konnten."
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Dabei stießen sie auf die Villa an der Löbauer Straße. Der Besitzer lässt dem Betreiberverein seitdem weitgehend freie Hand. "Was für das Anwesen sehr vorteilhaft ist", findet Marie Mühlich, die 2019 für die Grünen als Zittauer Direktkandidatin bei der Landtagswahl angetreten war. "Denn so ist Leben drin. Wir sind sozusagen Hausmeister rund um die Uhr, kümmern uns um viele kleine Mängel. Allerdings", mahnt sie, "müssten grundsätzliche Dinge an der Werterhaltung endlich angepackt werden." So sei das Dach nicht ganz dicht, der repräsentative Balkon im Eingangsbereich könne das viele Wasser bei Regengüssen gar nicht mehr fassen. Damit leide die Bausubstanz.
Trotzdem ist das Wohnen in der "Studenten-Villa" heiß begehrt. Warum? "Das hat sich vor allem in der Corona-Zeit herauskristallisiert: Man ist nie allein, kann immer auf die Unterstützung der anderen bauen." Außerdem gebe es eine Fülle von Freizeitmöglichkeiten. Fitnessraum, Kino, Gemeinschaftsküche, Kletterwand, Beete und Wiesen im Garten, jedes Jahr im November eine große Party. "Unsere Villa ist bunt, ein Ort der Begegnung", stellt Marie Mühlich die Vorzüge heraus. Entsprechend breit gefächert ist die Altersspanne der Bewohner. Sie reicht von 21 bis 37 Jahren, wobei etwa 20 Prozent keine Studenten mehr sind. Aber auch fertig studierte Berufseinsteiger wissen den günstigen Mietpreis und die netten Menschen um sich herum zu schätzen.
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Natürlich gebe es auch Reibungsflächen, räumt Marie Mühlich ein. "Das sind aber solche Konflikte, an denen man als Mensch wachsen kann." Die Vorzüge der Gemeinschaft, meint die junge Frau, überwögen. Entscheidend sei die innere Bindung und die Konzentration auf das Wesentliche. Denn Ökologie und Nachhaltigkeit spielen in dem Wohnprojekt nach wie vor eine entscheidende Rolle. Ein paar Beispiele gefällig? "Im Garten verwenden wir nur ökologischen Dünger. Brauchen wir irgendwelche Materialien, bemühen wir uns um gebrauchte Dinge, die wir nachnutzen können." Gleiches gilt für Möbel und elektrische Geräte.
Bleibt bei so viel Gemeinschaftssinn nicht das Persönliche auf der Strecke? Das glaubt die Zittauerin, die den Bachelor für Ökologie und Umweltschutz in der Tasche hat und gerade mit dem Aufbau ihrer Selbstständigkeit im Bereich Social Media und Web Design beschäftigt ist, nicht. "Viele aus der jüngeren Generation wollen nichts Neues, Eigenes aufbauen", ist sie überzeugt. "Ihnen geht es eher ums Teilen, um menschliche Aspekte, ums Interagieren und Integrieren." So zu leben, ist auch Marie Mühlichs persönlicher Wunsch für die Zukunft. Sicherlich nicht dauerhaft in der Zittauer Studenten-Villa. Aber anderswo, unter ähnlichen Vorzeichen. "Viele gute Freunde werden dann meine Nachbarn sein."