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Auftakt nach Maß: Gold für Deutschland bei Rodel-WM in Altenberg

Julia Taubitz, das Gesicht dieser Rodel-WM in Altenberg, überrascht sich und die gesamte Konkurrenz - und fährt zum Sprintsieg. Der alte Spruch, dass am Ende meist die Deutschen gewinnen, gilt trotzdem nicht mehr.

Von Tino Meyer
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Die Hände zum Himmel! Julia Taubitz gewinnt zur eigenen Überraschung das WM-Sprintrennen. Es ist für sie und die Organisatoren in Altenberg ein Auftakt nach Maß.
Die Hände zum Himmel! Julia Taubitz gewinnt zur eigenen Überraschung das WM-Sprintrennen. Es ist für sie und die Organisatoren in Altenberg ein Auftakt nach Maß. © dpa/Jan Woitas

Altenberg. Rodeln ist, wenn wagemutige Frauen und Männer auf einem Schlitten mit weit über 100 km/h den Eiskanal hinunterfahren - und am Ende die Deutschen gewinnen. In etwa so lautet eine gängige Definition, jedenfalls ist das jahrelang der Fall gewesen - besonders bei den Frauen. Dass deutsche Siege längst nicht mehr selbstverständlich sind (und es ehrlicherweise auch nie waren), hat der erste Wettkampftag bei der WM in Altenberg gezeigt.

Die Bilanz nach den ersten vier von insgesamt neun Entscheidungen: Fünf Medaillen für Lettland, drei für Österreich, darunter jeweils einmal Gold. Erst dann kommen die Deutschen mit einem ersten (Julia Taubitz) und einem zweiten Platz (Max Langenhan).

Also von wegen deutsche Übermacht, von wegen Heimvorteil. Den von vielen Seiten prognostizierten Zweikampf mit Österreich gibt es stattdessen auch in Altenberg, und Bundestrainer Norbert Loch behält ebenfalls Recht. "Lettland wird hier ein gewaltiges Wörtchen mitreden", sagte er im Vorfeld des Saisonhöhepunktes. Von wegen aber auch, diese Sprint-Rennen sind quasi bedeutungslos.

Zwei gekreuzte Arme: Julia Taubitz kommt aus dem Erzgebirge und jubelt nach ihrem WM-Sieg im Sprint stilecht.
Zwei gekreuzte Arme: Julia Taubitz kommt aus dem Erzgebirge und jubelt nach ihrem WM-Sieg im Sprint stilecht. © dpa/Jan Woitas

Die Emotionen im Ziel sprechen Bände. Es gibt Freudentränen, nicht zu überhörende Jubelschreie, aber auch leere Blicke - und Kampfansagen für die "normalen" Rennen am Wochenende. So oder so: Dieser Sprint-Freitag von Altenberg hat es in sich.

Dass es diese Wettbewerbsform, bei der die Zeitnahme erst nach gut 100 Metern einsetzt und lediglich ein Lauf gefahren wird, vor allem auch deshalb gibt, um der Dominanz der stets startstarken Deutschen etwas entgegenzusetzen, ist unbestritten. Dass einige Athletinnen und Athleten mit der vor knapp zehn Jahren eingeführten Disziplin unverändert fremdeln, ist ebenso offensichtlich. Ein weiterer Trainingslauf sei das, sagen sie - und liegen nicht ganz falsch.

Ein richtiger, offizieller Titel ist der WM-Sieg im Sprint dennoch - und ein wichtiger noch dazu, speziell für die Lokalmatadorin Taubitz. Das muss sie gar nicht bestätigen, das ist ihr deutlich anzusehen. Handküsse wirft die deutsche Vorzeige-Rodlerin ins Publikum, drückt innig das Bahn-Maskottchen und stellt glücklich fest, dass es kein Stein ist, der ihr vom Herzen fällt. "Das ist ein Felsen, eine echte Last, wirklich krass, erst recht noch mal nach dieser Woche", sagt sie und spricht von einem der schönsten Momente in ihrer Karriere. "Auf meiner Heimbahn dann wirklich auch WM-Gold mit nach Hause zu nehmen - das bedeutet mir wirklich sehr, sehr viel", sagt sie.

Es ist das Bild des Sprint-Freitags: Die Schweizerin Natalie Maag reißt ihre Freundin Julia Taubitz vor Freude fast vom Schlitten.
Es ist das Bild des Sprint-Freitags: Die Schweizerin Natalie Maag reißt ihre Freundin Julia Taubitz vor Freude fast vom Schlitten. © dpa/Jan Woitas

Die 27-Jährige aus Annaberg-Buchholz ist das Gesicht dieser Weltmeisterschaft und auf jedem Werbeplakat im Osterzgebirge zu sehen. Auf der Bahn in Altenberg hat Taubitz das Rodeln gelernt, hier fühlt sie sich wohl. Hier ist sie allerdings bei den deutschen Meisterschaften kurz vorm Jahreswechsel auch so stark mit der Bande kollidiert, dass ein Start damals im zweiten Lauf nicht möglich war und sie die Kopfschmerzen vom Aufprall noch Wochen später begleiteten.

Gerade rechtzeitig vor der WM meldete sich Taubitz nun wieder fit - um im Abschlusstraining am Donnerstagnachmittag wieder einen schweren Fahrfehler zu produzieren. Entsprechend groß sind Druck, Anspannung, Erwartungshaltung, noch dazu bei einsetzendem Regen. "Ich bin so froh, dass es gereicht hat. Fünf oder zehn Minuten später", sagte Taubitz, "hätte das bestimmt nicht mehr geklappt."

Das Wetter ist maximal mäßig, die Stimmung ausgesprochen gut. Rund 2.000 Zuschauer sind am ersten Wettkampftag in Altenberg an der Bahn.
Das Wetter ist maximal mäßig, die Stimmung ausgesprochen gut. Rund 2.000 Zuschauer sind am ersten Wettkampftag in Altenberg an der Bahn. © dpa/Jan Woitas

0,072 Sekunden liegt sie am Ende vor der Überraschungszweiten Natalie Maag aus der Schweiz, die im Zielauslauf ihre Freundin Taubitz vor Freude fast vom Schlitten reißt. "Das ist das Bild des Tages, oder?", sagt Taubitz im Ziel mit tatsächlich leuchtenden Augen im nasskalten Freitagnachmittag-Grau. Auch für solche Momente ist der Sprint-Wettbewerb gemacht. "Es ist unglaublich, das kommt erst langsam bei mir an. Heute früh in der Qualifikation wäre ich fast noch gestürzt", sprudelt es aus Maag heraus.

Für sie, für Taubitz und natürlich auch für die Organisatoren ist es der erhoffte Auftakt nach Maß. "Besser geht es eigentlich gar nicht", sagt Taubitz.

Es ist die Miene zum Tag, zumindest für die erfolgsverwöhnten Deutschen. Bundestrainer Norbert Loch. Die Stärke der Konkurrenz überrascht ihn allerdings nicht.
Es ist die Miene zum Tag, zumindest für die erfolgsverwöhnten Deutschen. Bundestrainer Norbert Loch. Die Stärke der Konkurrenz überrascht ihn allerdings nicht. © dpa

Das ganze Gegenteil erlebt Jessica Degenhardt. Als Titelverteidigerin steht die Dresdnerin mit ihrer Partnerin Cheyenne Rosenthal im Damen-Doppel am Start. Am Ende müssen beide den 14. und damit vorletzten Platz erklären. Wobei den Grund alle gesehen haben: Nach der Ausfahrt aus Kurve neun, der Schlüsselstelle für alle, flippert der Schlitten durch die lange Gerade, von einer Bande an die andere und wieder zurück.

Bei den Fragen nach dem Warum lächelt sie - gequält. "Ein glückliches Lächeln ist es nicht. Das Eis war sehr schmierig, sehr warm ist es außerdem, das hat uns überhaupt nicht in die Karten gespielt. Am liebsten wäre ich nach Kurve neun aufgestanden", sagt Degenhardt.

Und während sie Mühe hat, mit fester Stimme zu sprechen, bleibt ein Duo nach dem anderen hinter der Top-Zeit zurück. Am Ende gewinnen die Italienerinnen Andrea Vötter/Marion Oberhofer, die am Vormittag noch Quali-Platz zehn belegten und am Nachmittag das Glück eines früheren Starts haben.

"Was soll ich dazu sagen", fragt Degenhardt schließlich - und gibt die Antwort selbst: "Morgen noch mal angreifen." Rosenthal nennt das Motto für das Rennen am Samstagvormittag: "Aufstehen, Krone richten und weiter geht's."

Der letzte Teil gilt ebenso für Taubitz, die am Sonntagvormittag im Einzelrennen gefordert ist: "Ich will natürlich daran anknüpfen, keine Frage. Doch das ist dann ein neuer Tag, die Karten werden wieder neu gemischt. Aber ein bisschen Druck ist jetzt weg", sagt Taubitz. Am Samstag bei den Rennen der Damen- und Herren-Doppelsitzer sowie der Herren wird sie dennoch an der Bahn sein, die Kollegen unterstützen, Atmosphäre aufsaugen - und sehr wahrscheinlich auch deutsche Erfolge bejubeln können.

Felix Loch, Bundestrainer-Sohn, Sprint-Titelverteidiger und diesmal Vierter, ist jedenfalls sehr zuversichtlich. "Vom Schlitten her passt's, und morgen ist es wieder trocken. Ich freue mich auf das Rennen. Zweimal gerade runter fahren - dann reicht's schon", sagt er, was gewissermaßen für alle seine Teamkollegen gilt. Die Deutschen, so viel steht fest, mögen nicht mehr die uneingeschränkten Top-Favoriten sein, doch Goldmedaillen auf der Heimbahn sind unverändert ihr Anspruch.