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Über 100.000 Sachsen kommen aus dem Niedriglohnsektor heraus

Der Niedriglohn verliert in Sachsen an Bedeutung. Auf der DGB-Armutskonferenz sagt Arbeitsminister Dulig: Geschäfte mit niedrigen Löhnen funktionieren nicht mehr.

Von Georg Moeritz
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Lohnunterschiede prägen noch immer die  Deutschlandkarte - das zeigt Olaf Klenke, Landesbezirkssekretär der Gewerkschaft NGG. Doch der Mindestlohn hat in Sachsen geholfen
Lohnunterschiede prägen noch immer die Deutschlandkarte - das zeigt Olaf Klenke, Landesbezirkssekretär der Gewerkschaft NGG. Doch der Mindestlohn hat in Sachsen geholfen © SZ/Georg Moeritz

Dresden. In Sachsen haben Beschäftigte aus unteren Lohngruppen im vorigen Jahr massiv aufgeholt: Mehr als 110.000 Sachsen konnten den Niedriglohnsektor verlassen. Das lag vor allem am neuen Mindestlohn von zwölf Euro pro Stunde, sagte am Freitag in Dresden der Einkommens-Experte Markus Grabka vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Auf der Armutskonferenz des Deutschen Gewerkschaftsbundes Sachsen (DGB) berichteten Arbeitnehmervertreter davon, jetzt mehr Tarifverträge durchsetzen zu können. Sachsens Arbeitsminister Martin Dulig (SPD) sagte, in Zeiten des Arbeitskräftemangels müssten sich die Chefs darauf einstellen, dass ein Geschäftsmodell mit niedrigen Löhnen "nicht mehr funktioniert".

Laut Forscher Grabka ist die Zeit vorbei, in denen auch die Gewerkschaften Lohnzurückhaltung zur Sicherung von Arbeitsplätzen betrieben. Ihrem Beharren auf Mindestlöhnen sei zu verdanken, dass im Oktober vorigen Jahres nur noch 17 Prozent der sächsischen Beschäftigten zum Niedriglohn arbeiteten. Noch im April davor waren es 23,6 Prozent.

Die Statistik des Berliner Ökonomen zeigt allerdings weiterhin Unterschiede zwischen Ost und West und zwischen Männern und Frauen: 14,7 Prozent der Männer in Sachsen arbeiten zum Niedriglohn, aber 19,4 Prozent der Frauen. In Deutschland insgesamt sind 15 Prozent der Beschäftigten im Niedriglohnsektor. Gemeint sind damit Löhne unterhalb von zwei Dritteln des mittleren Stundenlohns.

Wirtschaftsforscher Grabka: Minijobs tragen zu Armut bei

Die Löhne zwischen Ost und West werden sich laut Grabka "relativ zügig" weiter annähern. Gleiche Rentenwerte gebe es ja seit diesem Jahr. Der Arbeitskräftemangel und der Standortwettbewerb würden dazu beitragen, dass auch Firmen in den neuen Ländern bessere Bedingungen böten. "Wenn in Bayern höhere Löhne gezahlt werden, müssen Sachsen nachziehen", sagte der Wirtschaftswissenschaftler.

Armut trotz Arbeit droht laut Grabka vor allem Alleinverdienern, die nur Teilzeitjobs haben. Eine alleinerziehende Krankenschwester könne kaum 40 Stunden arbeiten gehen, sagte der Berliner Forscher. Minijobs seien gar nicht geeignet, um aus Armut herauszukommen, sie müssten dringend durch Arbeit mit besserer Absicherung abgelöst werden.

Minister Dulig sagte, auch Tariflöhne seien ein Standortvorteil im internationalen Wettbewerb. Gewerkschafter könnten wieder Selbstbewusstsein entwickeln und im Betrieb auch zeigen. Dennoch sei die Stimmung nicht gut, das zeigten auch die Wahlergebnisse. "Die Themen, die uns genannt werden, sind nicht die Löhne, sondern Gendersternchen oder die Frage, ob zu viele Ausländer da sind."

Daniela Kolbe: "Mehr Fleisch auf die Knochen!"

Doch es sei richtig, über soziale Themen zu sprechen. Es gebe künftig weniger Sachsen im arbeitsfähigen Alter. Dieses Problem sei nicht rein mathematisch durch Ersatz zu lösen, sagte Dulig. Digitalisierung und Automatisierung würden einen Teil der Arbeit übernehmen. Nur ein Teil der Lösung sei Zuwanderung. Die neuen Kollegen müssten als "unsere Leute" betrachtet werden. Dafür sprach sich auch Daniela Kolbe, stellvertretende DGB-Vorsitzende Sachsens, aus: "Nur gemeinsam sind wir stark", sagte die Gewerkschafterin. Verschiedene Gruppen zu bilden sei eine Strategie von Arbeitgeberseite.

Daniela Kolbe, stellvertretende Vorsitzende des DGB Sachsen, ist stolz auf die Streikenden.
Daniela Kolbe, stellvertretende Vorsitzende des DGB Sachsen, ist stolz auf die Streikenden. © Foto: Ronald Bonß

Kolbe sagte, obwohl untere Einkommensgruppen "ordentlich nach oben aufgeholt" hätten, fühlten sie sich zum Teil bedroht - etwa durch rasch steigende Heizkosten. Menschen im Osten hätten weniger Reserven als im Westen. Sie benötigten Sicherheit und "mehr Fleisch auf den Knochen". Kolbe wiederholte die Forderung, mehr Tarifverträge abzuschließen und tariftreue Firmen bei Staatsaufträgen mit einem Vergabegesetz zu bevorzugen.

In Sachsen werde gerade viel gestreikt, sagte die stellvertretende DGB-Chefin. Das mache sie "ein bisschen stolz". Das Land könne mutige Beschäftigte brauchen. Beispiele für erfolgreiche Arbeitskämpfe nannte Olaf Klenke, Landesbezirkssekretär der Gewerkschaft NGG Nahrung, Genuss, Gaststätten. Klenke berichtete von starken Lohnerhöhungen in der Molkerei Niesky und im Tiefkühlkostwerk von Frosta in Lommatzsch, mit der Perspektive der Angleichung ans Westniveau. Im Osten seien Tarifverträge zwar seltener als im Westen, aber seit zwei Jahren lasse die Tarifbindung im Osten laut Statistik nicht mehr nach. Die Mindestlohn-Erhöhungen hätten auch den Arbeitnehmervertretern geholfen, bei Tarifverhandlungen "stärker in die Offensive zu kommen".