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Abschied von Bautzener Theaterlegende: Zum Tod von Schauspieler Michael Lorenz

Michael Lorenz spielte am Deutsch-Sorbischen Volkstheater Bautzen über 200 Rollen und inszenierte rund 50 Stücke. Am 6. Dezember 2023 ist er gestorben. Ein Nachruf.

Von Miriam Schönbach
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Der Bautzener Schauspieler Michael Lorenz ist am 6. Dezember 2023 nach schwerer Krankheit gestorben. Dieses Archivfoto zeigt ihn bei einer Podiumsdiskussion 2009.
Der Bautzener Schauspieler Michael Lorenz ist am 6. Dezember 2023 nach schwerer Krankheit gestorben. Dieses Archivfoto zeigt ihn bei einer Podiumsdiskussion 2009. © Archivfoto: SZ/Uwe Soeder

Bautzen. „Traumrollen habe ich mir abgewöhnt, ich verliebe mich in jede“. Es ist ein Satz, der bleibt, genauso wie das Lebenswerk von Michael Lorenz auf und für die Bautzener Bühnen. Am Deutsch-Sorbischen Volkstheater spielte er in fast 50 Jahren über 200 Rollen, inszenierte gut 50 Stücke in sorbischer oder deutscher Sprache. Nach der Wende kämpfte er um den Erhalt seines zweisprachigen Theaters. Er vertrat seine Meinung laut. Auf der Bühne aber beherrschte er auch die leisen Töne. Am 6. Dezember 2023 ist der Schauspieler nach schwerer Krankheit im Alter von 84 Jahren friedlich eingeschlafen.

Michael Lorenz ist Bautzener Theatergeschichte. Im August 1963 spielte der Schauspieler seine erste Rolle am frisch gegründeten Deutsch-Sorbischen Volkstheater, das aus dem Stadttheater und dem Sorbischen Volkstheater hervorgegangen war. Es ist die Figur des Arnold von Melchthal - ein jugendlicher Heißsporn in Friedrich Schillers „Wilhelm Tell“. Anlässlich der Wiedereröffnung des Bautzener Haupthauses 2006 erinnerte er sich an diese Zeit des Aufbruchs: „Es wurden alle sorbischen Schauspieler für das neue Haus geworben – mit Wohnungsangeboten“.

Michael Lorenz im Stück "Iphigenie auf Tauris".
Michael Lorenz im Stück "Iphigenie auf Tauris". © Archivfoto: Miroslaw Nowotny

Der Absolvent der Leipziger Theaterhochschule kam gern. Nicht nur das in Aussicht gestellte warme Zimmer ließ Michael Lorenz sein Engagement im Meininger Theater kündigen. Vor allem überzeugte ihn die Idee, dass deutsche und sorbische Schauspieler gemeinsam auf der Bühne stehen. Das Sorbische, seine Muttersprache, bekommt er in die Wiege gelegt.

In Schleife, auf Sorbisch Slepo, wurde Michael Lorenz am 18. September 1939 geboren. Der Vater war Holzkaufmann, die Mutter legte Wert auf die künstlerische Ausbildung der Kinder. Der Großvater war der bekannte sorbische Schriftsteller Jakub Lorenc-Zalěski. Das Abitur absolvierte Michael Lorenz am Sorbischen Gymnasium in Cottbus. Dort gab es erste Berührungen mit dem Theaterspiel, jedoch träumte er vorerst von einer Karriere am OP-Tisch als Chirurg. Als er statt in der medizinischen Fakultät in der Produktion in Krauschwitz landete, bog er nochmals anders ab. Er studierte zwei Rollen ein, fuhrt 1958 zum Eignungstest nach Leipzig - und bestand.

Seine erste Rolle im Studium? Auf solche Fragen konnte Michael Lorenz immer schnell eine Antwort geben. Schließlich begleitete ihn sein ganzes Schauspielleben lang ein kleines Notizheft, die erste Eintragung stammte aus dem ersten Studienjahr: „5. Matrose von links, Theaterhochschule Leipzig, Matrosen von Cattaro“ ist zu lesen. Als Gast und in seiner letzten Rolle stand Michael Lorenz 2013 auf der Bühne in der Uraufführung "Die Mittagsfrau“. Dazwischen liegen für das Bautzener Theaterpublikum unzählige bewegende Schauspielmomente.

Auch beim Bautzener Sommertheater war Michael Lorenz (l.) zu erleben; zum Beispiel 2006 im Stück "In 80 Tagen um die Welt".
Auch beim Bautzener Sommertheater war Michael Lorenz (l.) zu erleben; zum Beispiel 2006 im Stück "In 80 Tagen um die Welt". © Archivfoto: SZ/Uwe Soeder

So schrieb Michael Lorenz Theatergeschichte. Er gehörte nicht nur zum ersten Ensemble des neu gegründeten Deutsch-Sorbischen Volkstheaters. Er war unter anderem am 8. Mai 1975 bei der Eröffnung des Theater-Neubaus in der Seminarstraße sowohl in der deutschen Inszenierung „Der kaukasische Kreidekreis“ als seinerzeit im sorbischen Musical „Karbat“ auf der Bühne zu erleben. Das Datum ist eine wichtige Zäsur für das Deutsch-Sorbische Volkstheater. Das alte Stadttheater wurde 1969 gesprengt, die neue Spielstätte erst nach unendlichen Diskussionen am neuen Ort eröffnet.

Zum Gesicht des Theaters wurde Michael Lorenz spätestens mit der Wende. Nach einem kurzen künstlerischen Abstecher ans Weimarer Theater Anfang der 1980er-Jahre erlebte er im Herbst 1989 mit den Bautzener Kollegen „die Sehnsucht nach Veränderung“. Bereits am 8. Oktober 1989 trat das Schauspiel-Ensemble nach der Vorstellung „Amadeus“ geschlossen vor sein Publikum und formulierte unter der Überschrift „Wir treten aus unseren Rollen heraus“ seine Forderungen. Die Bühne war eine der wenigen Nischen für freie Meinungsäußerungen und Kritik am sozialistischen Staat und der SED.

Michael Lorenz verlas die Protestresolution, an seiner Seite war damals schon seine Frau Eveline Günther, Dramaturgin am Haus. „Es war eine Zeit außerordentlicher Inszenierungen und großen Zuspruchs des Publikums. Das war eine Theaterzeit, die man nur einmal im Leben erfährt“, sagte er in einem Gespräch mit Sächsische.de. Ein ähnlicher Moment des Innehaltens muss für ihn die Premiere des Stückes „Der Sturm“ zur Wiedereröffnung des Theatergebäudes nach dessen Generalsanierung im Februar 2006 gewesen sein. Er spielte den Prospero.

Michael Lorenz als Prospero im Stück "Der Sturm" 2006.
Michael Lorenz als Prospero im Stück "Der Sturm" 2006. © Archivfoto: SZ/Uwe Soeder

„Unser Theater ist ein Wunder“. Auch das ist ein Satz, der von Michael Lorenz bleiben wird. Als Gründer und langjähriger Leiter des Jugendtheaters des Sorbischen Gymnasiums ab 1992 und des Sorbischen Schauspielstudios steckte er den Nachwuchs für das sorbische Berufstheater mit seiner Leidenschaft für leise und laute Töne auf der Bühne an. Von 1998 bis 1999 war der Schauspieler zudem Stellvertreter des Intendanten für Sorbisches Theater. Für seine besonderen Verdienste am Theater und für das Theater wurde ihm die Ehrenmitgliedschaft des Deutsch-Sorbischen Volkstheaters verliehen.

Michael Lorenz (l.) im Stück "Hotel zu den zwei Welten".
Michael Lorenz (l.) im Stück "Hotel zu den zwei Welten". © Archivfoto: Miroslaw Nowotny

In den vergangenen zehn Jahren war es leiser geworden um Michael Lorenz. Als ein großes Geschenk an das Deutsch-Sorbische Volkstheater bleiben nicht nur die zahlreichen Erinnerungen an seine Rollen, sondern auch die mehr als zehnjährigen Recherchen zur Theatertradition in Bautzen. 2013 erschien der fast 600-seitige Band „Bautzener Theatergeschichten“. Außerhalb des Theaters wirkte Lorenz über mehrere Jahre für den Sorbischen Rundfunk als Sänger und Sprecher, für den sorbischen Film und für den Domowina-Verlag als Hörspiel- und Hörbuchsprecher. Nun ist der letzte Vorhang für die Bautzener Theaterlegende gefallen.