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12.000 Kilometer mit dem Fahrrad auf der Suche nach Geschichte(n)

Klaus Preißler aus Gaußig hat seine Leidenschaft für Sport und das Interesse für seine Wahlheimat vereint. Für seine Recherchen zu Wegkreuzen im sorbisch-katholischen Gebiet gab es jetzt einen Preis.

Von Miriam Schönbach
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Klaus Preißler aus Gaußig ist auf der Suche nach sorbischen Wegkreuzen über 12.000 Kilometer durch den katholisch-sorbischen Teil der Oberlausitz geradelt.
Klaus Preißler aus Gaußig ist auf der Suche nach sorbischen Wegkreuzen über 12.000 Kilometer durch den katholisch-sorbischen Teil der Oberlausitz geradelt. © Steffen Unger

Gaußig. Knapp 20 Kilometer liegen zwischen Gaußig und dem kleinen Dorf Prautitz in der Gemeinde Crostwitz. Klaus Preißler fährt die Strecke allzu gern mit dem Fahrrad – wegen eines besonderen Details. „Die spätbarocke Auferstehungssäule wurde 1810 auf dem Lehmannschen Gut errichtet. Auf dem Kapitell steht die Figur des auferstandenen Christus. An so kleinen Denkmalen kann ich mich einfach erfreuen. Es gehört zu den schönsten Bildstöcken in der Oberlausitz“, sagt der 68-Jährige.

Und er muss es wissen, denn in den vergangenen Jahren hat er sich auf die Suche nach all diesen religiösen Mini-Monumenten in der katholisch-sorbischen Oberlausitz begeben und ihre Geschichte in Foto und kurzen Worten festgehalten. Klaus Preißler setzt sich an den Tisch in seinem Wohnzimmer nur wenige Schritte vom Gaußiger Schloss entfernt. Stillsitzen scheint nicht seine größte Leidenschaft zu sein.

Zu DDR-Zeiten als Geher im Olympia-Kader

Über 200 Marathons hat der gebürtige Mittweidaer bereits absolviert. Zum letzten Mal ist er 2005 bei der „beeindruckenden“ New-York-Variante nach 42,195 Kilometern über die Ziellinie gelaufen. Seine Frau Bärbel ist auch über die Distanz gegangen. 31-mal war Preißler beim Rennsteiglauf dabei. „Das ist unser Kult“, sagt er. Imposant sind auch die unzähligen Wanderplaketten von den Aufstiegen zwischen Schneekoppe und Fichtelberg, die Klaus Preißler zur Erinnerung in ein Holz im Vorgarten genagelt hat.

Bewegung – das ist die Leidenschaft des drahtigen Seniors. In seiner Jugend gehört er 1970 zum Olympia-Kader der DDR in der leichtathletischen Disziplin Gehen. Mit und gegen die Geher-Legende Hartwig Gauder – er ist in den 1980er- und 1990er-Jahren einer der weltbesten 50-km-Geher – hat Klaus Preißler manchen Wettkampf bestritten. Doch wegen gesundheitlicher Probleme ist er schon als junger Mann von der weit geöffneten Tür zur Weltklasse zum Volkssport gewechselt.

Zu allen Wegkreuzen mit dem Fahrrad gefahren

Was wäre wenn? Die Frage stellt er sich nicht. Nur eben stillsitzen, das fällt ihm schwer. Sportler, auch Amateure, brauchen immer ein Ziel. Ein Zeitungsbeitrag weckt bei Preißler das Interesse an den Wegkreuzen. „Was steckt dahinter, was bedeuten sie, wie viele gibt es?“, fragt sich der Zugezogene – und legt seine Wegkreuz-Zusammenstellung auf den Tisch. Sein erster Weg führt Klaus Preißler vor gut 20 Jahren ins Sorbische Institut nach Bautzen. Dort bekommt er eine Karte in die Hand gedrückt mit der Dokumentation von damals 48 dieser Wegkreuzen.

Jene kleinen religiösen Denkmale – auch Bildstock, Betsäule oder Sühnekreuz genannt – finden sich ursprünglich am Wegesrand, meist weisen sie auf ein Ereignis – von Blitzschlag bis hin zu Mord – hin. Gefertigt wurden sie aus Holz oder auch Sandstein, manche können Steinmetzen zugordnet werden, andere nicht. „Oft haben sie einen Fuß, eine mit Weinlaub berankte Säule und einen Kopf mit den christlichen Figuren, sie sind jedoch nicht zu verwechseln mit den Kruzifixen, obwohl es auch Mischformen gibt“, sagt der Heimatforscher. Für sein Geschichtsprojekt setzt sich Klaus Preißler schließlich in den Zweirad-Sattel und beginnt, alle bereits aufgelisteten Wegkreuze anzufahren.

Knapp 60 Denkmale erfasst, auch das für ein ermordetes Mädchen

Doch das reicht dem Sportler – und auch bei diesen Erkundungen ist seine Frau oft dabei – lange nicht. Er recherchiert nach, kommt mit Menschen in den Dörfern ins Gespräch. Schließlich sind manche der steinernen Zeitzeugen auch im Laufe der Jahrhunderte verschwunden oder haben einen neuen Platz gefunden, weil zum Beispiel alte Feldwege weg gepflügt wurden.

„Man lernt so viel, ich habe mich auch mit christlichen Dingen beschäftigt. Darüber hinaus kennen wir uns in der Gegend jetzt wirklich gut aus, haben wunderschöne Ecken in der sorbischen Oberlausitz neu entdeckt“, sagt Klaus Preißler. Mehr als 12.000 Kilometer ist er zwischen Dörgenhausen im Norden, wo sich ein Bildstock mitten auf einem Feld befindet, und zum Beispiel Prautitz geradelt.

Der Bildstock in Prautitz bei Crostwitz gehört zu den Lieblingsdenkmalen von Heimatforscher Klaus Preißler aus Gaußig.
Der Bildstock in Prautitz bei Crostwitz gehört zu den Lieblingsdenkmalen von Heimatforscher Klaus Preißler aus Gaußig. © Steffen Unger

Knapp 60 Kleinstdenkmale versammelt Preißlers Aufstellung. Für sein Projekt gab es jetzt den Sächsischen Preis für Heimatforschung. „Eigentlich könnte man über jeden einzelnen Bildstock ein ganzes Buch schreiben, so viel gibt es zu erzählen. In Kotten zum Beispiel gibt es ein Denkmal für ein ermordetes Mädchen“, erzählt der Chronist. Die Dorfbewohner nennen den Ort auf Sorbisch bis heute „Mortwa holčka“.

Nach dem Dreißigjährigen Krieg wird Marija, einzige Tochter des Dorfschulzen – also des Bürgermeisters –, aus Cunnewitz wegen ihres Münzschmucks dort gemeuchelt. Das Mädchen ist in der Tracht der Druschka/Brautjungfer und reich beschmückt auf dem Weg zu einer Taufe, als sie ihrem Mörder in die Hände fällt. Anfang des 19. Jahrhunderts errichtet der Lehrer und Pfarrer Johann Scholze an der Stelle des Mordes die Gedenksäule.

Abgeschlossen ist das Projekt für Klaus Preißler noch nicht ganz. Nach der Neuauflistung der Bildstöcke liegt dem Gaußiger auch ihr Erhalt am Herzen, zum Beispiel eines fast vergessenen Denkmals in Neudörfel. Und dann gibt es schon neue Ideen, um weiter (radelnd) die Region zu erkunden. Den ältesten Bäumen in der Oberlausitz hat er schon Besuche abgestattet, Kirchen fotografiert. Da Stillsitzen keine Option ist, findet der Senior garantiert ein neues Ziel für sein Heimatgeschichtsinteresse.