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Gemeinde der Lebensretter: Das kleine Großpostwitz ist Vorbild für ganz Sachsen

Rund um die Uhr zugängliche Defibrillatoren und Helfer, die schnell vor Ort sind: Ein Netzwerk will dafür sorgen, Menschenleben zu retten. Und jeder kann es unterstützen.

Von Miriam Schönbach
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Die Gemeinde Großpostwitz engagiert sich im Lebensretter-Netzwerk. Sie hat Defibrillatoren gut sichtbar außen an Gebäuden angebracht. Das Foto zeigt (v.l.) Rettungsleitstellen-Chef Stefan Schumann, Bürgermeister Markus Michauk und Mike Berger vom DRK.
Die Gemeinde Großpostwitz engagiert sich im Lebensretter-Netzwerk. Sie hat Defibrillatoren gut sichtbar außen an Gebäuden angebracht. Das Foto zeigt (v.l.) Rettungsleitstellen-Chef Stefan Schumann, Bürgermeister Markus Michauk und Mike Berger vom DRK. © Steffen Unger

Großpostwitz. Der Defibrillator hängt unübersehbar gleich links neben dem Eingang zur Sparkassen-Filiale in Großpostwitz. „Region der Lebensretter“ steht darauf geschrieben – und für die Verwaltungsgemeinschaft im Oberland ist das eine Maxime. In den vergangenen Monaten hat die Kommune vier dieser Schockgeber im öffentlichen Raum aufgehängt – und die medizinischen Geräte, die oft hinter verschlossenen Türen zu finden sind, jederzeit zugänglich gemacht. Doch nicht nur das: Die Gemeinde mit 2.700 Einwohnern hat sich auf den Weg gemacht, ein Vorbild für andere zu werden.

Denn die Defibrillatoren sind nicht nur im Ortsbild sichtbar. Dr. Carsten Herkner holt sein Handy raus und zeigt die Standorte auf der App FirstAED. Dahinter verbirgt sich auch eine Ersthelfer-Alarmierung. Hinterlegt sind dort registrierte, medizinisch qualifizierte Personen, die durch die Rettungsleitstellen über den Notfall in unmittelbarer Nähe alarmiert werden können. Zeit ist wichtig: Drei bis fünf Minuten nach einem Herz-Kreislauf-Stillstand entwickeln sich irreversible Hirnschäden.

Plötzlicher Herztod ist eine der häufigsten Todesursachen

In Deutschland ist der plötzliche Herztod eine der häufigsten Todesursachen. Über 50.000 Menschen erleiden jährlich einen Herz-Kreislauf-Stillstand. Das Thema ist weit weg? Nein. „Seitdem die Defibrillatoren hier in der Gemeinde öffentlich zugänglich sind, gab es schon zwei Einsätze. Beim ersten Mal war der Ersthelfer innerhalb von dreieinhalb Minuten vor Ort, im zweiten Fall dauerte es zwei Minuten. Das ist lebensrettende Nachbarschaftshilfe“, sagt Carsten Herkner.

Der Zahnarzt aus Bautzen gehörte 2023 wie Intensivmedizinerin Dr. Karolin Fiedler-List und Stefan Schumann, Leiter der Integrierten Regionalleitstelle Ostsachsen in Hoyerswerda, zu den Initiatoren der „Region der Lebensretter – Ostsachsen“. Karolin Fiedler-List erinnert sich: „Ich hatte eine Kollegin am Zittauer Krankenhaus, Oberärztin, kerngesund. Sie ging 2020 nach einem Arbeitstag nach Hause und hatte einen Herzstillstand." Obwohl der Rettungsdienst nach den vorgeschriebenen Minuten da ist, ihr Mann vorher Herzdruckmassage macht, kann die 58-Jährige nicht gerettet werden.

Dabei wohnen zwei Chefärzte in der Nachbarschaft. Dieses Wissen macht Karolin Fiedler-List wütend. Dem Impuls folgend, holt sich die Medizinerin Partner vom Klinikum Oberlausitzer Bergland ins Boot, um ein System zu schaffen, bei einem Herz-Kreislauf-Stillstand professionelle Helfer in der Nähe orten zu können. Mit der FirstAED-App finden sie ein "Werkzeug", dass bereits erprobt ist.

Dr. Carsten Herkner gehört zu den Initiatoren der „Region der Lebensretter – Ostsachsen“ - und unterstützt die Gemeinde Großpostwitz bei dem Projekt.
Dr. Carsten Herkner gehört zu den Initiatoren der „Region der Lebensretter – Ostsachsen“ - und unterstützt die Gemeinde Großpostwitz bei dem Projekt. © Steffen Unger

Finanziert wird der Anlauf des Projekts durch eine Spendenaktion. 20.000 Euro braucht es dafür im Jahr. „Jeden Tag gibt es in Ostsachsen jemanden, wo das Herz stillsteht. Jeden Tag gibt es einen Einsatz über die App. Wir haben 850 Helfer im System und sind die erste Region in Sachsen, die so gut aufgestellt ist“, sagt Stefan Schumann. Jede Gemeinde in den Landkreisen Bautzen und Görlitz sei aber auch angehalten, das Sicherheitsnetz weiter zu verdichten.

An dieser Stelle kommt die Gemeinde Großpostwitz ins Spiel. Deren Bürgermeister Markus Michauk (Offene Liste Großpostwitz) winkt bei Superlativen wie Lebensretter-Gemeinde ab. Er hat eingeladen, „um ein Beispiel zu geben, was passiert, wenn alle zusammenarbeiten. Es gilt, Netze dichter zu knüpfen“, sagt er. Ein Kamerad der Feuerwehr, der die Ersthelfer-Ausbildung absolviert hat, habe ihm den Anstoß gegeben – und den Kontakt zu Carsten Herkner hergestellt.

Defibrillatoren hinter verschlossenen Türen nutzen nichts

Dessen erster Auftrag heißt: Es nützt nichts, wenn Defibrillatoren hinter verschlossenen Türen liegen. Im Fall von Großpostwitz: Gut zehn Jahre gab es die Geräte, im Einsatz waren sie nie. Das sollte sich im vierten Quartal 2023 ändern. Für das Anbringen draußen braucht es eine Extra-Box. Bei der Finanzierung unterstützt die örtliche Reha-Salus-Klinik als großer Gesundheitsdienstleister die Gemeinde. Bei der Beschaffung ist das DRK ein Partner, zu den bereits existierenden Defis kommen zwei weitere Geräte dazu. Sie sind in Großpostwitz an der Sparkasse, in Rascha und Eulowitz jeweils an der Feuerwehr und in Obergurig - die Nachbargemeinden Obergurig und Großpostwitz bilden eine Verwaltungsgemeinschaft - an der ehemaligen Sparkassen-Filiale zu finden.

3.500 Euro kostet die Anschaffung eines Geräts. Über 60 davon sind in der App verzeichnet. Darüber hinaus hat das DRK bereits gut 100 Helfer für das FirstAED-System ausgebildet. „Das ist die Hilfe, die wir leisten können. Und unser großes Potential sind dazu 200 hauptberufliche Kollegen im Rettungsdienst, die natürlich prädestiniert sind, Helfer zu sein, sowie viele Ehrenamtler“, sagt Mike Berger, Leiters des DRK-Rettungswachenbereiches Bautzen. Im April 2024 wird es in Großpostwitz eine weitere Weiterbildung für das Lebensretter-Projekt bei den Interessenten von der Feuerwehr geben.

Viele Gemeinden schaffen aktuell Defibrillatoren an

„Es zeigt: Wir sind viele, und wir wollen anderen Gemeinden Mut machen“, sagt Markus Michauk. Und das Beispiel scheint Schule zu machen. Viele Gemeinden beschaffen aktuell mit Hilfe des DRK Defibrillatoren, zum Beispiel Doberschau-Gaußig oder Kubschütz.

Zusätzlich möchte Romy Reinisch, Beigeordnete im Landkreis Bautzen, das Thema mit in die regelmäßig stattfindenden Bürgermeisterrunden mitnehmen. Und noch ein Versprechen gibt sie beim Ortstermin in Großpostwitz: Sie will sich dafür starkmachen, dass der Landkreis Bautzen 10.000 Euro aus dem Haushalt dazu gibt, damit das Lebensretter-System in Ostsachsen weiter betrieben werden kann.