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Wie Pocken, Pest und Typhus Bautzen plagten

Die jetzige Pandemie ist bei weitem nicht die erste für die Oberlausitz. Stadtführer Heinz Henke kann viel Interessantes berichten - auch zu verheerenden Folgen.

Von Miriam Schönbach
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Heinz Henke ist einer der ältesten Stadtführer von Bautzen. Er weiß viel zu berichten über Pandemien in früheren Jahren.
Heinz Henke ist einer der ältesten Stadtführer von Bautzen. Er weiß viel zu berichten über Pandemien in früheren Jahren. © Steffen Unger

Bautzen. Quarantänen, Maskenpflicht, Kontaktbeschränkungen, Einreisestopps und immer wiederkehrende Aufrufe zum Impfen - das sind keine Erfindung der aktuellen Pandemie. Bei seinen Recherchen zu den Napoleonischen Kriegen und der Schlacht bei Bautzen 1813 ist Heinz Henke, einer der ältesten Stadtführer Bautzens, auch auf dieses Kapitel der „Plagen“ in der Region gestoßen. Denn Bonaparte und seine Soldaten bringen nicht nur das Zivilgesetzbuch, Hausnummern und den Abschied vom Zoll mit. In ihrem Gepäck tragen viele eine „epidemische Nervenkrankheit“. Dieser Typhus wütet unter anderem im Frühjahr 1813 in Bautzen.

Nach Napoleons Niederlage in Russland im Winter 1812 passieren Anfang des folgenden Jahres die Reste des von Hunger und Kälte fast aufgeriebenen französischen Heeres und seiner Verbündeten Bautzen. Die große Zeit der Einquartierungen beginnt und führt zu einer sehr schwierigen Situation in der Stadt und im Umland. Dazu kommt die reelle Angst vor ansteckenden Krankheiten.

Ratsherren verlassen die Stadt, Arme bleiben zurück

Per Gesetz wird es verboten, durchziehende Soldaten in Privathäusern aufzunehmen. Ein sogenannter Etappenarzt entscheidet, wohin die Erkrankten gebracht werden. Erhard Hartstock schreibt in seinem Buch „Die Geschichte der Plagen in der Oberlausitz“, dass neben umfangreichen Quarantänemaßnahmen der Bevölkerung strikte Hygienevorschriften befohlen wurden. Und während die Seuche allerorts in der Region tobt, verlieren auf dem Schlachtfeld bei Wurschen zehntausende Soldaten ihr Leben.

Nach dem Leben trachtet ab dem 14. Jahrhundert auch der Schwarze Tod. In der Oberlausitz sichere Nachrichten über die Pest liegen zum ersten Mal aus der Zeit um 1365 vor. Zwei Jahrhunderte bestimmt die Epidemie das Leben im Mittelalter. Als zum Beispiel 1506 die Pest in Bautzen ausbricht, verlassen die Ratsherren die Stadt in die Ratsdörfer, zurück bleiben die Armen.

1568 folgt die nächste Seuchen-Welle an der Spree. Für einen großen Pest-Ausbruch in Kamenz 1584 soll eine Bautzener Händlerin gesorgt haben. In jenem Jahr ordnet der Landesherr an, dass von der Kanzel Anordnungen zur Pestabwehr verlesen werden müssen.

Händler werden zu 40 Tagen Quarantäne gezwungen

Im 17. Jahrhundert bietet Kursachsen der Pest die Stirn, und zwar mit mehr als Gebet. Am 16. Dezember 1679 wird die Errichtung von Schlagbäumen an den Landesgrenzen zur Abwehr der Pest beschlossen. Hartstock schreibt: „Das einzusetzende Wachpersonal hatte ‚sorgsame Anstalt‘ zu treffen damit die Personen und Güter ohne Vorzeigung eines beglaubeten Scheines von ihrer Obrigkeit, dass sie innerhalb 40 Tagen an keinem infizierten Ort gewesen wären, nicht ins Land gelassen würden.“ Zugleich wurden Händler mit Pelzen, Leinwand oder Wolle zu einer 40-tägigen Quarantäne gezwungen – vor den Grenzen des Markgrafentum in Böhmen und Schlesien. Zum letzten Mal flammt der Schwarze Tod 1680/81 in Oberlausitz auf.

Bessere Hygiene, strenge Restriktionen, aber auch erste Medikamente, schaffen es, der Pest den Garaus zu machen. Überhaupt beschäftigt sich die Medizin immer mehr mit den Bekämpfungen von Seuchen wie Polio, Diphterie, Masern, Typhus und Pocken, auch Blattern genannt. Bald wächst das Wissen über die Übertragungswege durch Viren und Bakterien. Ein Pionier bei der Pockenimpfung kommt sogar aus Bautzen und ist ein Sprössling der Franckensteinschen Mühle, weiß Stadtführer Heinz Henke. Christoph Probst (1716 – 1793) studiert an der Universität Oxford Medizin, arbeitet als Arzt im Königlichen Hospital zu London und ist als Schiffs-Chirurg bei der englischen Flotte im Einsatz.

Stadt-Physicus fordert zum Impfen auf

Nach einen Nordamerika-Abstecher kommt Probst 1750 zurück nach Bautzen und praktiziert bis zu seinem Tod als Arzt in der Stadt. 1781 erhält er den Auftrag, den sächsischen Kurfürsten Friedrich August III., dessen Brüder und die Prinzessin Marie Amalie gegen Pocken zu impfen. Ein Jahr später impft er 300 Kinder erfolgreich gegen die Blattern. In seinem Nachruf in den „Budissinschen wöchentlichen Nachrichten“ steht 1793: „... was ihn besonders auszeichnet, ist: dass er der erste Medicus war, welcher in unserer Provinz die Blattern-Inoculation einführte“. Sechs Jahre später geht der englische Arzt Edward Jenner mit seiner ersten Pockenimpfung in die Medizin-Lehrbücher ein.

Jenners erfolgreicher Impfung folgt in vielen Staaten die Impflicht: 1807 führt sie Bayern ein, es folgen unter anderem Preußen, das Königreich Württemberg, das Königreich Hannover. Sachsen dagegen erlässt bis 1870 kein Pocken-Impfgesetz. Stattdessen machen sich Mythen über die Entstehung der Krankheit breit, unter den Menschen kursieren Schreckensmeldungen über die Folgen der Impfungen: Der Bautzener Stadt-Physicus Christian Friedrich Buchheim appelliert deshalb in den Budissinischen Nachrichten an die Eltern, ihre Kinder impfen zu lassen.

So schreibt der Mediziner am 18. November 1815: „...Da gegenwärtig die natürlichen Blattern immer mehr Verwüstungen unter den Kindern zu großem Jammer und später Reue der Eltern anrichten, ..., wiederhole ich dieselbe Aufforderung mit der Erklärung: daß ich alle arme Kinder nicht nur unentgeltlich impfe, sondern auch sie, im Fall ihnen zu der Zeit etwas zustoßen sollte, bis zu ihrer völligen Genesung mit nötiger und zweckmäßiger Arznei umsonst versorgen will.“

Bei Spanischer Grippe ist die zweite Welle am stärksten

1824 wiederholt Buchheim den Aufruf – und zieht ein bitteres Resümee: „Auf 33 Dörfern wurden insgesamt 179 Kinder geimpft. Außerdem kamen noch 22 Kinder von anderen Jurisdiktion, diese Gelegenheit benutzend, zur Impfung.“ Weiter heißt es: „Dessen ungeachtet sind ...mehrere Kinder von der Impfung zurückgeblieben, da dieselbe kein Zwang ist, sondern der Willkür eines jeden allein überlassen bleibt, eine Sache, welche der sächsischen Regierung ungemein zum Ruhme ... gereicht, indem sie damit offenbar bestätigt, welche Hochachtung für sie persönliche Freiheit hat, und welches feste Vertrauen sie auf die Verständigung ihrer Untertanen setzt.“

In der Geschichte lassen sich häufig Parallelen ziehen, weiß Heinz Henke aus den Quellen auch von der Spanische Grippe vor 100 Jahren nach dem Ersten Weltkrieg. „Die erste Welle verlief harmlos zum Vergleich zur zweiten Welle, die am stärksten war. In Bautzen brach diese Influenza-Pandemie wahrscheinlich im Kriegsgefangenenlager an der Barbarakaserne aus“, sagt er.

Eine Zahl der Verstorbenen dieser Epidemie findet sich noch nicht, wohl aber gibt es für den 1918er-Jahrgang zwei Personenstandsbücher im Standesamt, die Geburten, Hochzeiten und eben auch Sterbefälle verzeichnen. „Es gibt immer nur ein Buch, außer für die Jahre 1918 und 1944“, sagt 76-Jährige. Weltweit tötete die Spanische Grippe zwischen 1918 bis 1920 schätzungsweise bis zu 50 Millionen Menschen.

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