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Im 20-Minuten-Takt: Amtsgericht Bautzen urteilt über Corona-Verstöße

Die Corona-Pandemie ist Geschichte. Aber nicht am Amtsgericht Bautzen. Dort verteidigen die Richter weiter die längst aufgehobene Corona-Notverordnung.

Von Tim Ruben Weimer
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Für viele ist die Corona-Pandemie mit all ihren Einschränkungen längst Geschichte. Aber am Amtsgericht in Bautzen wird immer noch zum Thema Infektionsschutz verhandelt.
Für viele ist die Corona-Pandemie mit all ihren Einschränkungen längst Geschichte. Aber am Amtsgericht in Bautzen wird immer noch zum Thema Infektionsschutz verhandelt. © Steffen Unger

Bautzen. Ein Sachsenlogo prangt im Bautzener Amtsgericht an der Wand über der Richterin. Hölzerne Tische mit mintgrüner Oberfläche. Aktenstapel. Heute: 13-mal Ordnungswidrigkeit wegen Infektionsschutzgesetz. Rechts die Anklagebank. Auf der linken Seite der Vertreter des Landratsamtes. Er verfolgt stillschweigend, wie Richterin Sophia Linsmann die von ihm verhängten Bußgelder eins nach dem anderen zurücknimmt. Ein Protokoll.

9.00 Uhr. Ein 39-Jähriger aus Löbau. Vor fast zwei Jahren, am 29. November 2021, demonstrierten 250 Personen auf dem Kornmarkt in Bautzen gegen die Impfpflicht. Erlaubt waren zehn. "Wir sind das Volk!" Die Polizei löst die Versammlung auf und kesselt 59 Personen am Beginn der Rosenstraße ein. Der Löbauer ist einer von ihnen. Bußgeld 250 Euro. Einspruch. Nun steht er vor Gericht. "Ich möchte nichts sagen." Richterin Linsmann sagt: "Für die Polizei war das alles noch Neuland." Fotos wurden damals keine gemacht. "Ich habe keine Anhaltspunkte, um Sie zu verurteilen." Das Verfahren wird eingestellt.

Auf Schnäppchenjagd bei Edeka am Kornmarkt

9.20 Uhr. Ein 56-Jähriger aus Kamenz. Auch er einer der Eingekesselten. "So wie Sie's geschrieben haben, so war es auch", sagt er mit Blick auf das, was im Bußgeldbescheid stand. Er habe seiner Schwägerin in Bautzen Stollen bringen wollen, danach zum Edeka am Kornmarkt, weil dort etwas im Angebot war. "Das war ein dummer Zufall, dass wir ausgerechnet zu dem Zeitpunkt da waren", sagt er. "Mich überzeugt Ihre Aussage, ich glaube Ihnen, dass es irgendwie blöd gelaufen ist", sagt die Richterin. "Es ist nun auch schon fast zwei Jahre her." Das Verfahren wird eingestellt.

9.40 Uhr. Der nächste Angeklagte schreibt: "Ich muss mich in eine vierwöchige medizinische Behandlung begeben. Ich ersuche das Gericht um eine Terminverschiebung." Richterin Linsmann fehlt die Bestätigung vom Krankenhaus. "Der Einspruch wird verworfen." Der Mann muss das Bußgeld zahlen, dazu die Kosten für das Gerichtsverfahren.

10.00 Uhr. Die Frau des 56-Jährigen aus Kamenz. Begleitet vom Kamenzer Rechtsanwalt und CDU-Politiker Maik Weise. Er blättert bloß in seinen Akten. "Wie gesagt, wir wollten in den Edeka ..." Richterin Linsmann fragt: "Haben Sie sich nicht über die Umkesselung gewundert?" Darauf die Frau: "Ich habe mich nicht damit befasst. Die Situation war zu aufregend für mich." Das Verfahren wird eingestellt. Alle Kosten trägt der Staat, auch die des Rechtsanwalts.

Eine derartige Verhandlung kostet mindestens 55 Euro. "Ich könnte theoretisch auch freisprechen", sagt Linsmann. "Aber dann müsste ich eine Beweisaufnahme führen und die Polizisten hören." Zu umständlich.

Nummer 7 oder Nummer 17 von zehn Teilnehmern?

10.20 Uhr. Der Vater des 56-Jährigen aus Kamenz. "Ich bin ein Schnäppchenjäger", sagt er. Auf seinen Wunsch seien sie zum Edeka. "Haben Sie sich mal gefragt, warum Sie eingekesselt wurden?", fragt ihn die Richterin. "Das Fragezeichen habe ich heute auch noch." Das Verfahren wird eingestellt.

"Dass es die Corona-Notverordnung nicht mehr gibt, macht mir die Argumentation schwieriger", sagt Linsmann. Sie könnte die Verfahren auch ohne Verhandlung einstellen. "Ich möchte aber, dass die Leute auch den Grund dafür erfahren."

10.40 Uhr. Der Beschuldigte erscheint nicht. Linsmann verwirft seinen Einspruch. Der Mann muss zahlen.

11.30 Uhr. Eine 33-Jährige aus Rietschen. Freie-Sachsen-Chef und Rechtsanwalt Martin Kohlmann startet seinen etwas verdreckten HP-Laptop, der leise zu rattern beginnt. Kohlmann: "Sie wollte zur Demo. Da weiß man ja nicht, ob man Nummer 7 oder Nummer 17 der Teilnehmer ist. Sie hat den Polizeianweisungen Folge geleistet und wurde dann umzingelt." Das Verfahren wird eingestellt.

11.50 Uhr. Die Mutter der 33-Jährigen. Kohlmann: "Wir erzählen wieder die gleiche Geschichte. Sie wollte früh da sein, um zu den zehn Mann zu gehören." Eingestellt. "Alles Gute!" Mittagspause.

"Wir standen anderthalb Stunden in dem Kreis"

13.00 Uhr. Ein Mann aus Großdubrau. "Ich würde gerne mal wissen, worum es hier überhaupt geht?", fragt er die Richterin. "Ja", sagt er, "ich war mit da unten, aber damals wohnte ich auch direkt an der Platte. Ich bin raus, um meinen Freunden aus Düsseldorf über Instagram zu zeigen, was hier los ist." Die Richterin: "Ich halte das für glaubhaft." Eingestellt.

13.20 Uhr. Ein 68-Jähriger aus Weigsdorf-Köblitz. "Ich war mit meinem Bruder einkaufen und hatte einen Arzttermin. Es war ein dummer Zufall. Noch ist uns ja nicht vorgeschrieben, wo wir einzukaufen haben." Eingestellt.

13.40 Uhr. Der Bruder des 68-Jährigen. "Was soll ich groß dazu sagen?" Eingestellt.

14.00 Uhr. Eine 39-Jährige aus Bautzen mit zwei Wochen altem Kind im Kinderwagen. Es jammert, sie nimmt es auf den Arm. "Ich bin zur Demo gegangen, weil ich mich gegen die Impfe wehren wollte." Als die aufgelöst wurde, habe sie wieder fahren wollen. Die Polizei hält sie auf. "Wir standen anderthalb Stunden in dem Kreis, es war arschkalt." Linsmann: "Die Maßnahme hat schon erreicht, was ein Bußgeld erreichen soll: Dass Sie die Tat nicht wiederholen." Verfahren eingestellt.

14.20 Uhr. Die Mutter der 39-Jährigen. "Wir waren schon ein paarmal da marschieren. Nach dem Tag hat es mir aber gereicht." Eingestellt.

"Mir reicht es dann auch langsam", sagt Linsmann. Doch die Corona-Prozesse werden sie noch bis weit ins Jahr 2024 hinein beschäftigen. "Das wird dann irgendwann immer komischer, weil der Vorfall dann schon drei Jahre her ist." Verurteilt habe sie bislang deswegen noch niemanden.