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Rubas Traum vom Fahrradfahren

Als Ruba Osman aus Syrien nach Deutschland kam, staunte sie über Frauen auf Fahrrädern. Jetzt will sie selbst fahren – und ist damit in Bautzen nicht die Einzige.

Von Theresa Hellwig
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Ruba Osman lernt gerade Fahrradfahren - Anne Krumbholz, Projektkoordinatorin bei der Kreisverkehrswacht Bautzen, hilft ihr dabei.
Ruba Osman lernt gerade Fahrradfahren - Anne Krumbholz, Projektkoordinatorin bei der Kreisverkehrswacht Bautzen, hilft ihr dabei. © SZ/Uwe Soeder

Bautzen. Als es ihr das erste Mal gelang, ein Stück zu fahren, ohne dass jemand das Fahrrad festhielt, flossen die Tränen. „Das war vor Freude“, sagt Ruba Osman. „Das waren nur ein paar Sekunden, aber ich habe mir damit einen Traum erfüllt!“ Erst ein paar Tage ist dieser Moment her. Denn Ruba Osman lernt gerade das Fahrradfahren. Das Besondere daran: Ruba Osman ist schon 33 Jahre alt. Und sie ist nicht die einzige Migrantin in Bautzen, die sich dieser Tage immer wieder aufs Rad schwingt – auf der Suche nach dem Gleichgewicht. Etwa 15 Frauen aus Syrien, Irak, dem Iran und anderen Ländern machen mit.

Die Caritas und die Arbeiterwohlfahrt haben das Projekt gemeinsam mit der Bautzener Verkehrswacht ins Leben gerufen. Die Idee dafür stammt aber von Ruba Osman, die vor etwa sechs Jahren aus Syrien geflohen ist – und mittlerweile selbst in Bautzen bei der Caritas arbeitet. „Ich habe bei meinem Freiwilligendienst erzählt, dass ich gerne Radfahren können würde“, sagt sie. „Das ist mein Traum, und ich wusste, dass es in Dresden solche Kurse gibt – und habe mich gefragt, warum nicht hier!“

Fahrradfahren können bedeutet Freiheit

Dabei kam es ihr vor noch gar nicht allzu langer Zeit eher seltsam vor, so viele Leute in der Stadt Fahrrad fahren zu sehen – vor allem Frauen. „Ich habe da am Anfang immer ungläubig geguckt“, erzählt Ruba Osman. „Hier fahren alle Rad, egal ob Arzt oder Ingenieur – oder auch Frauen.“ In Syrien sei das anders gewesen. „Ein Arzt hat dort ein Auto“, sagt sie. Und: „In Syrien würde ich nicht Fahrrad fahren – das würden alle komisch finden. Ich hatte dort nicht einmal die Idee, dass ich das mal wollen würde.“

Nun ist Ruba Osman aber in Deutschland – und möchte es auch können. „Meine Kinder und mein Mann können Fahrradfahren“, erzählt sie. „Sie machen dann zusammen Ausflüge, fahren zusammen mit dem Rad zum Stausee. Und ich kann nicht mit.“ Das möchte sie durch den Fahrradkurs ändern. „Ich möchte auch gerne schnell zur Arbeit kommen – oder zum Einkaufen.“ Außerdem sei es doch gesund, sich zu bewegen. „Ich möchte meinen Kindern da auch ein Vorbild sein“, sagt sie. Überhaupt gehe es ihr darum, auch etwas selbstständiger zu sein. Und um mehr Freiheit. „Ich mache auch gerade meinen Führerschein“, erzählt Ruba Osman.

Einige Frauen können schon recht gut fahren - aber Dietmar Zanke (r.), Vorsitzender der Kreisverkehrswacht Bautzen, weiß auch, wie er den anderen helfen kann.
Einige Frauen können schon recht gut fahren - aber Dietmar Zanke (r.), Vorsitzender der Kreisverkehrswacht Bautzen, weiß auch, wie er den anderen helfen kann. © SZ/Uwe Soeder

Ein paar Mal habe sie schon versucht, Rad zu fahren – mit ihrem Mann. „Aber meine Kinder haben dann gelacht“, sagt sie – und sie muss selbst lachen, als sie sich daran erinnert. „Und die Leute haben gestarrt – so wollte ich das nicht.“

Der Kurs, der jetzt bei der Verkehrswacht stattfindet, ist da ein sicherer Raum für die Frauen. Aber warum eigentlich nur für Frauen? „In meiner Heimat werden Männer und Frauen ab der vierten Klasse getrennt unterrichtet“, erzählt Ruba Osman. „Das ist dort einfach so – und es ist für uns beispielsweise bei den Sprachkursen wirklich komisch, wenn wir alle zusammen unterrichtet werden.“ Aber da gibt es auch noch einen anderen Grund: „Viele Männer in den arabischen Ländern können Rad fahren, nur die Frauen nicht“, sagt Ruba Osman.

Aber wie bringt man einem erwachsenen Menschen das Radfahren bei? Mit Stützrädern und bunten Fähnchen am Rad? Antworten darauf hat Dietmar Zanke von der Bautzener Kreisverkehrswacht – und er schüttelt den Kopf, als er nach den Stützrädern gefragt wird. „Das ist die falsche Methode, so lernt man Fahrradfahren nicht mehr.“

Theorie-Einheiten gehören auch dazu

Stattdessen starte man mit einem Laufrad – oder nutze das Rad als solches. Füße auf dem Boden, mitlaufen, Gleichgewicht finden. Dann nehme man nach und nach mehr die Füße hoch. „Damit man gleich vorwärts fährt und sich nicht auf Stützräder verlässt“, erklärt Dietmar Zanke. Geübt wird deshalb zunächst mit kleineren Fahrrädern, die hat das Mehrgenerationenhaus Bautzen zur Verfügung gestellt. Zwischen den praktischen Übungen gibt es Theorieeinheiten, in denen es darum geht, was ein sicheres Rad alles braucht – und was all die Schilder am Straßenrand und Markierungen auf dem Boden zu bedeuten haben.

Etwa die Hälfte der Teilnehmerinnen startet wirklich ganz am Anfang, berichtet Dietmar Zanke. So auch Ruba Osman. Als sie von ihren ersten Fahrversuchen erzählt, beginnt sie immer wieder zu lachen. „Kinder lernen das sicher schneller“, sagt sie. „Ich brauche die ganze Zeit jemanden, der mich hält“, berichtet sie an ihrem ersten Kurstag. Das Gleichgewicht hat sie noch nicht ganz gefunden. „Und ich dachte, um zu lenken, muss ich an der Bremse ziehen“, erzählt sie und lacht wieder. „Aber das Rad blieb stehen!“

So blieb es am ersten Tag für Ruba Osman bei diesem einen kurzen Moment, ein paar Sekunden geradeaus rollen – ganz alleine. Aber sie ist ihrem Traum damit näher gekommen. Sie geht mit Freude an die Sache, lässt sich nicht unterkriegen. Sie besitzt sogar schon ein Fahrrad. Es steht im Keller und ist ziemlich beeindruckend groß, sagt sie. Eine Frau, der sie mal geholfen hat, habe es ihr geschenkt. Noch konnte sie es nicht nutzen – bald soll das anders aussehen. Wohin ihre erste Fahrt gehen wird? – Die Antwort kommt wie aus der Pistole geschossen: „Mit meiner Familie zum Bautzener Stausee!“