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Der lange Weg zur Wissenschaft

Viele Jahre lang stieg die Zahl der Studienanfänger kontinuierlich. Inzwischen sinkt sie leicht, vor allem aus demografischen Gründen. Doch wie sieht es mit den Karrierechancen für Nachwuchsforscher aus?

Von Annett Kschieschan
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Promotion geschafft und nun? Wer in den Wissenschaftsbetrieb einsteigen will, braucht einen langen Atem. Ein Grund dafür sind befristete Verträge.
Promotion geschafft und nun? Wer in den Wissenschaftsbetrieb einsteigen will, braucht einen langen Atem. Ein Grund dafür sind befristete Verträge. © AdobeStock

"Warten. Darauf, dass Existenzängste einer sicheren Perspektive weichen. Darauf, dass dauernde Ortswechsel ein Ende haben. Darauf, endlich ankommen zu dürfen. Wir warten & warten, oft bis unser halbes Leben um ist, nur um festzustellen: Umsonst gewartet“. Unter dem Hashtag „IchbinHanna“ schrieb das kürzlich Amrei Bahr auf dem Kurznachrichtendienst Twitter. „IchbinHanna“ steht dort für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die trotz Engagement und guter Abschlüsse in prekären Arbeitsverhältnissen leben, sich von einem befristeten Vertrag an einer Universität zum nächsten hangeln und irgendwann oft entnervt aufgeben. Ausgangspunkt für „IchbinHanna“ war ein Video des Bundesforschungsministeriums, in der 2021 eine fiktive Wissenschaftlerin namens Hanna die Vorzüge des deutschen Wissenschaftszeitvertragsgesetzes anpries – sehr zum Ärger jener Forscherinnen und Forscher, die sich dank der wissenschaftlichen „Zeitarbeit“ in zunehmend prekäreren Lebenslagen wiederfinden und nicht selten der Universität ganz den Rücken kehren. Die freie Wirtschaft sucht ja ohnehin händeringend nach Fachkräften, auch akademischen.

Aber was bedeutet das für den wissenschaftlichen Nachwuchs, der tatsächlich forschen und lehren möchte? Amrei Bahr geht dieser Frage gemeinsam mit Kristin Eichhorn und Sebastian Kubon in Form einer Streitschrift nach, die 2022 im Suhrkamp-Verlag erschienen ist.

Doch das Thema zieht längst weitere Kreise, denn obwohl der höheren Bildung ein immer höherer Wert zugeschrieben wird, ist ein Berufsweg hier oft eher Hürdenlauf als Karriereleiter.In Deutschland studieren gegenwärtig knapp drei Millionen Menschen. Die Zahl der Studienanfänger sinkt seit 2018 leicht, nachdem sie zuvor stetig gestiegen war. Vor allem demografische Gründe – es gibt schlicht weniger junge Menschen – sind die Hauptursache für den leichten Rückgang in der jüngeren Vergangenheit, dazu kommt der pandemie-bedingte Rückgang der Immatrikulationszahlen ausländischer Studentinnen und Studenten.

Das Gros der Studierenden wird einen Berufsweg außerhalb der Forschungs- und Universitätslandschaft einschlagen. Aber welche Chancen haben die, die bleiben wollen? Ein erster Blick auf die Zahlen wirft ein recht positives Licht auf den Wissenschaftsbetrieb. So verweist das Statistische Bundesamt (Destatis) darauf, dass die Anzahl der Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler zwischen 2005 und 2018 deutlich gestiegen ist – bei den bis 35-Jährigen um 78 Prozent und bei den bis Mitte 40-Jährigen um 43 Prozent.

Viele freie, aber befristete Stellen

Allerdings zeigt die Bundesstatistik auch: „Mit fortschreitender Qualifizierungsstufe sinkt der Anteil der Frauen in der Wissenschaft“. Und die jüngsten Studien im Rahmen des Bundesberichts „Wissenschaftlicher Nachwuchs“ stellen klar: „Kinder von Eltern mit akademischen Abschlüssen promovieren häufiger als Kinder von Eltern ohne akademischen Abschluss. Auch Männer promovieren häufiger als Frauen.“ Spätestens mit der Familienplanung begraben auch im Jahr 2023 noch viele Frauen ihre akademischen Ziele zugunsten einer sichereren beruflichen Perspektive. Neun von zehn Nachwuchswissenschaftlerinnen und - wissenschaftlern sind befristet beschäftigt – das betrifft demnach über 90 Prozent des hauptberuflichen wissenschaftlichen und künstlerischen Personals an Hochschulen unter 45 Jahren. Die durchschnittliche Vertragslaufzeit liegt bei etwa zwei Jahren, bei Promovierenden bei 22 Monaten, bei Post-Docs – gemeint sind damit Wissenschaftler, die bereits den Doktorgrad erlangt haben – bei 28 Monaten.

So viel Unsicherheit ist gerade mit Berufseinsteigern heute zunehmend nicht mehr zu machen. Viele Nachwuchswissenschaftler bewerben sich inzwischen lieber im Ausland als hierzulande jahrelang auf eine Festeinstellung mit Perspektive zu warten. „Für die Beschäftigten bedeutet das, dass sie sich bis Mitte 40 in der Regel von Zeitvertrag zu Zeitvertrag hangeln, ohne zu wissen, ob es weitergeht und dann ausscheiden müssen zu einem Zeitpunkt, wo sie eigentlich zu alt sind, um sich woanders neu zu orientieren. Studierenden fehlen damit zuverlässige Ansprechpartner“, so Kristin Eichhorn, Mitautorin der Streitschrift, in einem Interview mit dem NDR. Die aktuellen Regelungen zur wissenschaftlichen Zeitarbeit seien alles andere als ein Aushängeschild für den deutschen Wissenschaftsbetrieb.

Dabei sucht der durchaus Verstärkung. Viele Hochschulen, auch in Sachsen, schreiben gegenwärtig freie Stellen aus. Gesucht wird in nahezu allen Bereichen von der Lebensmittelchemie bis zur Erziehungswissenschaft. Aber auch hier finden sich viele befristete Angebote. Sie mögen als Einstieg für viele Nachwuchsforscherinnen und Forscher durchaus hilfreich sein, sollten aber spätestens nach der zweiten Runde zu einer Festeinstellung führen. Auch vielen Hochschulen ist daran durchaus gelegen. Vor allem aber die Wissenschaftler selbst wünschen sich eine weitere Anpassung des zuletzt 2016 geänderten Wissenschaftszeitvertragsgesetzes, damit der Weg zum Job in der Wissenschaft kein Marathon bleibt.